21.12.2007 –
04.02.2016
August 2010 |
In Gedenken
veröffentliche ich Marlis Bericht heute in meinem neugegründeten
Blog.
Es ist ein
regnerischer, kalter Tag in Wiesbaden.
Mein Kollege und ich
sind unterwegs, Besorgungen machen. Gerade stehen wir auf dem
Parkplatz vor einem Supermarkt, etwas Öl für das Auto besorgen.
Der Welpe, nun den
zweiten Tag bei mir, bleibt derweil alleine im Auto.
Alles ist fremd für
ihn, wir, Auto fahren, alleine bleiben.
Als wir zurück
kommen, ist aber nicht das erwartete Jammern zu hören. Nein, er ist
auf den Sitz geklettert und schläft dort.
Beeindruckend.
Während mein
Kollege Öl nachfüllt, sitze ich im Wagen. Da klingelt mein Handy.
Meine
Taunuskollegin: „Hay.“ sage ich vergnügt.
„Was machst Du?“
Fröhlich berichte
ich, was gerade so geht.
Am anderen Ende ist
schweigen.
Etwas irritiert hake
ich nach.
„Marlis ist tot.“
Die Worte klingen an
mir vorbei, als hätten sie keine Bedeutung.
Mein Hirn sagt, sie
hat nicht gefragt: Was machst du?
Sie hat gesagt:
Marlis ist tot.
Meine Güte habe ich
mich verhört.
Marlis ist tot.
Es bedeutet mir gar
nichts, berührt mich nicht.
Dann fällt mir auf,
dass aus dem Handy gefragt wird, ob ich noch da bin.
„Ja, ja, was?
Wie?“
Marlis hatte wieder
eine Lungenentzündung.
Das wusste ich
schon, sie hatte so schlecht Luft bekommen, dass sie in der
Tierklinik waren. Tropf, Antibiotikawechsel und sie durfte mit Heim.
Nun war es plötzlich
wieder schlimmer geworden, schnell zur Tierklinik.
Sie kam nicht mehr
lebend an.
Da sitze ich im
Auto, das Handy in der Hand und weiß nichts mehr.
Ich spüre...
Was spüre ich?
Nichts.
Oder doch? Oder...
Soll ich jetzt.
Muss ich irgendetwas
sagen?
Mein Mund stammelt
unsinnige Geräusche.
Glaube ich.
„Ich. Ich kann
jetzt nichts sagen. Ich. Ich weiß nicht. Lass uns. Ich. Wir
telefonieren später.“ Meine Stimme bricht und ich merke wie da
Schluchzen ist, mein Schluchzen.
Ich lege auf und
registriere, dass mein Kollege zugestiegen ist.
Was denkt der jetzt?
Hoffentlich nicht,
dass irgendwas entsetzliches passiert ist. Es ist ja nur ein Hund.
Nur ein Hund.
Nur Marlis.
„Marlis ist tot.“
Ich kann ihn nicht
angucken.
Spüre Verständnis.
„Kannst Du für
mich fahren?“
„Natürlich.“
Wir tauschen Plätze.
Ich verstecke mein
Gesicht unter dem Hut, spüre den Schmerz in Wellen, er rollt über
mich, wie die Tränen.
Marlis ist tot.
Einfach so.
Tot.
Dieser Hund, der nie
meiner war.
Etwas was Marlis
völlig anders gesehen hat.
Der Schmerz liegt
auf mir, wie ein Fels.
Zusammen mit Schuld.
Ich fühle mich so
schuldig.
Daran, dass ich ihr
nie das gegeben habe, was sie wollte.
Marlis Wunsch, für
einen der eine Hund zu sein.
Ihr größter
Wunsch, er hatte sich nun erfüllen sollen.
Zwei Woche war sie
für jemanden DER Hund.
Und dann.
Tot.
Es will nicht in
mein Hirn.
Sie kann nicht tot
sein.
Nicht Marlis.
Geboren ist sie
Dezember 2007.
Mit einem Jahr zog
sie in meinen Ursprungsbetrieb.
Zu dem Zeitpunkt war
ich dort nur sporadisch zu Besuch, trotzdem fiel sie mir gleich ins
Auge. Natürlich, stammte sie doch aus der Zucht meines ersten
Hundes, hatte das gleiche kurze Fell, die gleiche hellbraun
dunkelbraun Tigerung. Ansonsten war sie auch sehr anders, kleine
Schlappohren, gedrungen und sehr schüchtern.
Sie brauchte lange
um den Umzug in das neue Lebensumfeld zu verdauen und auch der Start
an den Schafen war nicht einfach. Für so einen Hund braucht es
Samthandschuhe und viel Geduld.
Doch selbst das
reicht nicht.
Man muss auch die
passenden Hunde mitnehmen, wenn die eigentlich arbeitenden Hüter zu
viel Druck benötigen, kann sich so ein Herzchen nie frei entfalten.
Mit viel Geschick
kam dann auch Marlis ans Hüten.
Sie wurde eine
fleißige Läuferin, die unermüdlich die Mannseite ging, ohne zu
nerven und doch mit Druck.
Mannseite ist die Seite der Herde auf der der Schäfer steht |
Die Außenseite
hingegen verabscheute sie und auch am Weg lief sie nur die ersten
Meter.
Da sie leichtführig
war, keinen Schaden machte und doch ein Seelchen ging sie sehr früh
mit den Auszubildenden mit.
Etwas was einem
jungen Hund nicht unbedingt gut tut, zu viel Freiheit, zu viele
Möglichkeiten für eigene Ideen.
In 2010 kam sie dann
mit mir zum Hüten. Sie war zweieinhalb und ich frisch aus der
Kleinkinderpause. Wir schlossen uns schnell sehr eng zusammen.
Wir harmonierten
einfach.
Truppenübungspaltz, September 2013 |
Marlis ruhige Art an
meiner Seite zu arbeiten, ohne die Hektik und das Gejiffel manch
anderer lag mir sehr. Auch ihre Wesen sich an einen zu binden
berührte mich, verband uns.
Tetenhusener Moor, Außenseite ist die, dem Schäfer gegenüberliegende, Seite der Herde |
Ja, sie war nicht
die Druckstärkste, sie packte lieber die Lämmer und guckte auch
etwas zu doll nach ihnen. Die Außenseite musste man immer erzwingen
und am Weg lief sie einfach nicht durch.
Aber welcher Hund
ist schon perfekt?
Sie hatte einen
Blick für die Einzelnen, fand Steckenbleiber in Dornen oder Gräben,
bei „Do Grad“ packte sie auf den Punkt und auch wenn sie faul
wirkte, war ihr Fleiß auf der Mannseite unermüdlich.
Jardelunder Moor, August 2010 |
Ich liebte sie und
wollte sie haben.
Diese Bitte bekam
grünes Licht.
Für irgendwann.
Wenn sie im Betrieb
nicht mehr gebraucht wurde.
Oktober 2014 |
Die Jahre vergingen.
Ich arbeitete in
einem anderen Betrieb, Marlis wurde älter und eigener.
Die freie
Hütegestaltung mit Lehrlingen brachte sie auf ganz eigene
Vorstellungen, wie Kaninchen jagen, oder wenn man ein Schaf fing,
beherzt von hinten anzupacken. Auch legte sie sich ein dickes Fell
zu, sie von ihren Ideen abzubringen brauchte Druck und Wut. Eine
ihrer großen Leidenschaften war Fressen, schon Stunden vor
Fütterungszeit begann ihr Erinnerungskonzert, nur dafür, dass sie
ihr Mahl in zwei Sekunden verschlungen hatte, um dann die anderen
neidvoll zu beäugen.
Im Herbst 2013
trafen wir wieder aufeinander. Und immer noch hütete ich sehr gerne
mit ihr. Auch, wenn sie mich nun oft ärgerte, gerade ihre Sturheit.
Doch war sie die entspannte Ergänzung zu meiner gerade erst
beginnenden Ylva. Immer die Ruhe, beim Einfahren sauber stehen, beim
Stellen selbständig die Herde zusammen haltend. Da konnte ich Klauen
schneiden, wusste ich doch Marlis hatte die Herde im Griff.
Oktober 2013, Marlis und Oma Melle |
So manches Mal
verschätze ich mich auch, hatte nur Marlis und Ylva mit, und das
nützte dann die Herde aus. Kein Hund der hinten ankommt, keiner der
sich traut, die Ziegen in die Mangel zu nehmen. Tja, dann musste am
nächsten Tag eben wieder eine der Granaten mit.
September 2013 |
Nun ergab sich die
Möglichkeit, dass ich Marlis als meinen Hund übernehmen könnte.
Für einen Probelauf
durfte sie mit mir nach Hause.
Sechs Jahre alt und
das erste Mal Zug fahren, das erste Mal im Haus. Ist sie überhaupt
stubenrein?
Das alles meisterte
sie mit Bravur.
Auch, dass die
Katzen nicht gefressen werden dürfen, sah sie recht schnell ein. Die
Katzen hingegen waren ziemlich beleidigt, rächten sich mit Kacken in
die Betten.
Die Woche verging
und Marlis war so glücklich.
Das war es was sie
wollte, im Haus leben, mein Hund sein.
Damit wuchs auch ihr
Selbstbewusstsein, das Haus und ich waren ihr Reich. Ihr Futterplatz,
die Küche, durfte von den Katzen nicht mehr betreten werden. Es
nervte Marlis schon, wenn sie an der Küchentür vorbei liefen. Und
dann musste ich diesen Blick von ihr auch sehen, wenn die Kinder die
Küche betraten.
Ach, Marlis.
Wieder auf der
Arbeit, gab es übel Streit mit den anderen Hündinnen. Zuerst
dachten wir, es lag an der Woche Abwesenheit, dass die Hunde das
Marlis nachtrugen.
Aber nein.
Es war Marlis.
Sie fand, sie gehöre
zu Anna und alle anderen gehörten nun unter sie.
Schweren Herzens
entschied ich mich dagegen.
Es war zu spät,
Marlis würde nie mein Hund werden.
Als im Herbst 2014
nicht genug Arbeit für Marlis im Betrieb war, wurde ein neues Umfeld
für sie gesucht. Sie zog in eine Schäferei in Hessen.
Weg war sie, zurück
blieb ich mit Ylva und den Betiebsgranaten.
Taunus 2015, an der Straße hält Marlis die weiße Linie |
Nie hätte ich
gedacht, dass das Schicksal uns nochmal wieder zusammen führt.
Aber doch, im Sommer
2015 fing ich in genau dem Betrieb im Taunus an zu arbeiten.
Marlis und ich
hüteten wieder zusammen.
Was für eine
Freude.
Ja, auch manchmal
Ärgernis.
Aber lassen wir den
älteren Hündinnen ihre Eigenheiten.
In dem Taunusbetrieb
werden sehr läufige Hunde gemocht. So war Marlis doch wieder fehl am
Platz, besonders auch durch ihre, mit der Weile, rücksichtslose
Sturheit.
Nur hier geht kein
Hund, nur weil er nicht passt, nicht, wenn man nicht was wirklich
gutes für ihn gefunden hat.
Auch war Marlis mit
ihrem neuen Leben nicht unzufrieden. Hüten war schon lange nicht
mehr das wichtigste für sie. Im Hof, oben auf der Treppe vor der
Haustür liegen, das Weltgeschehen im Blick, das genoss Marlis.
Marlis und Bud im Hof |
Und ab und an kam
ich ja auch und wir gingen hüten.
Der Sommer verging,
es wurde September, meine Taunuszeit neigte sich dem Ende. In den
letzten Hütetagen ärgerte Marlis mich so sehr, dass mir der
Abschied von ihr fast leicht fiel.
Ja, die Ziege hatte
es verdient, war sie doch schon den ganzen Tag auf verbotenen
Abwegen. Aber das ist keine Entschuldigung sich nicht abrufen zu
lassen!
Ich gebe zu, ich war
so angepisst, dass ich sie die finalen drei Tage im Hof ließ.
Ich zog weiter und
auch für Marlis gab es ein neues Abenteuer.
Ein befreundeter
Auszubildender hatte Zwischenprüfung in Triesdorf. Und keinen Hund
dafür.
So wechselte Marlis
für zwei Wochen den Betrieb.
Mit der ihr eigenen
Begeisterung schloss sie sich dem Azubi an und bemühte sich redlich
ihm alles recht zu machen.
Marlis auf dem
Lehrlingshüten in Triesdorf!
Selbst ihr Züchter
war unter den Zuschauern.
Und für ihre
Verhältnisse machte sie es sehr gut.
Waren wir alle Stolz
auf sie!
Ende November bekam
ich den Anruf, Marlis ist tragend und die Welpen können jeden Tag
kommen.
Wie? Was? Wann?
Rechne, rechne.
Es muss in den zwei
Septemberwochen passiert sein, als ich da war.
Ja, die anderen
Hündinnen waren alle heiß.
Aber Marlis doch
nicht.
Ganz ehrlich, ich
würde Stein und Bein drauf Schwören, dass mir so was nicht entgehen
kann.
Tja, Marlis bewies
das Gegenteil.
Und der Vater?
Da die Rüden alle
so im leidenden Herzschmerz steckten, waren sie an den Stall verbannt
worden.
Es gab ja
ruhebedürftige Nachbarn.
Bis auf einen.
Bud.
Ylvas Bruder.
Marlis, meine Ylva und Bruder Bud, ein heißer Augusttag 2015 |
Super.
Was für eine Kombi.
Beide Hunde
Seelchen.
Bud dazu am Weg
laut, überfleißiger Läufer und Keulengriff.
Definitiv keine
Welpen für mich.
Zum Glück bin ich
ja absolut Welpenresistent.
Und dann die Ängste
um Marlis.
Fast acht Jahre, bis
dato jungfräulich.
Ja, da kann man sich
Sorgen machen.
Am 25. November
bekam sie den ersten Welpen auf natürlichem Weg.
Die restlichen vier
mussten per Kaiserschnitt geholt werden.
Das ganze strengte
Marlis so an, dass sie eine Lungenentzündung bekam, die sich aber
gut behandeln ließ.
November 2015, doch noch Mama |
Als die Welpen
zweieinhalb Wochen waren, war ich zu Besuch.
Marlis war total
happy mich zu sehen, folgte mir auf Schritt und Tritt durch die
Wohnung, erzählte mir von ihren Mutterfreuden.
Und ich erfuhr, dass
sich jemand gefunden hatte, der Marlis als Liebhabhund wollte.
Einfach nur sie.
Ohne Schafe, im
Haus, mit zu den Pferden. Endlich ein Herzensmensch für diesen Hund.
Anfang Januar war
ich dann einen Tag zum Arbeiten im Taunus.
Die Welpen waren nun
sechs Wochen, ein buntes Gewusel im Stall.
Einer unterschied
sich deutlich von seinen Geschwistern. Während diese tobten und
rauften, besah er sich in ruhe die Welt. Optisch war er das Ebenbild
seiner Mutter.
Lillebror, 3 Wochen |
Doch dies ist nicht
seine Geschichte.
Marlis heftete sich
bei meiner Ankunft sofort an meine Fersen, stand im Stall vor den
Hurden und wartete darauf, dass ich mit Füttern fertig war. Sie
überzeugte mich davon, dass sie unbedingt mit zum Hüten musste.
Überredet.
Dann, bei der Herde,
war sie beim ersten Schicken ganz schön am Schnaufen.
Also Marlis, wir
lassen das. Ich schicke Ylva und Du machst, was Du denkst.
Sie pendelte sich in
ihrem typischen, schwankenden, gemütlichen Trab auf der Mannseite
ein, kein pusten mehr.
In den Momenten, wo
keine Arbeit war kuschelte sie mit mir.
Wir hatten einen
unglaublich harmonischen Hütetag.
Wir waren so
aufeinander abgestimmt, dass mir schon wieder Zweifel kamen.
Gehörte sie
vielleicht doch zu mir?
Was wollte ich mit
einem nervigen Welpen?
Hier war das
Original.
Januar 2016 |
Aber die Würfel
waren gefallen.
Marlis hatte jemand,
der kaum erwarten konnte, dass die Welpen weg waren.
So sollte es sein.
Dachte ich.
Vier Wochen später
hatte Marlis wieder Lungenentzündung.
Tod.
Hilft es das Gesicht
im Fell ihres Sohnes zu vergraben?
Keine Antworten.
Ich habe für all
das keine Antworten.
Ein Jahr.
Ein Jahr lebt sie
nun schon nicht mehr.
Lese ich dies,
kommen mir wieder die Tränen.
Doch nun gehört sie
zu meiner Lebensgeschichte.
Marlis ist mir immer
wieder präsent, in Bildern, ich habe so viele Bilder von ihr.
In ihrem Sohn. So
manches mal kann ich seine Mutter in ihm sehen.
Und in Personen. Sie
hat bei vielen einen Pfotenabdruck hinterlassen.
Nicht nur in meinem
Herzen.
Das ist der erste Eintrag dieses Blogs, den ich nicht bis zum Ende lesen konnte, denn ich habe Rotz und Wasser geheult. Ich habe selten etwas gelesen, das so nüchtern und gleichzeitig so voller Gefühl geschrieben ist. Es gibt eben Tiere, die bleiben immer bei einem, auch wenn sie schon lange nicht mehr da sind.
AntwortenLöschenDanke Nicola.
Löschen"Es gibt eben Tiere, die bleiben bei einem, auch wenn sie schon lange nicht mehr da sind"
Sehr, sehr schön gesagt und so wahr!