Dienstag, 1. Oktober 2019

August 2019


Hey Ihr alle,
Entschuldigung dass es so lange gedauert hat bis zum nächsten Bericht.
Irgendwie ist bei mir etwas die Luft raus.
Die Arbeit erschöpft mich mehr als früher. Abends sinke ich nur noch erschlagen zu Bett.
Kein Lesen, kein Film, gerade mal noch etwas Musik auf den Ohren.
Und wie oft wache ich mitten in der Nacht auf, eingewickelt in das Kopfhörer Kabel, Musik immer noch am Laufen?
Und dann bin ich wach, es wird vier, halb fünf, fünf.
Nein, ich versuche mich nicht zu ärgern und erst recht das Gedankenkarussell aus zu lassen.
Manchmal chatte ich mit der anderen Seite der Welt, die haben jetzt gerade Abend.
Wenn ich mich freuen kann mal fünf Stunden am Stück geschlafen zu haben, macht das die Tage nicht wirklich leichter. Im Gegensatz zu früher kann ich auch in fast jeder Situation direkt einschlafen.


So wie neulich.
Ich bin auf dem Weg von der Schäferei in der Eifel 450 Kilometer Südöstlich zum nächsten Betrieb im tiefen Schwabenländle.
Es ist regnerisch, die Autobahn voll und ich auf der mittleren Spur.
Ich wache auf, als das Auto die Spur verlässt.
Rechtzeitig.
Knapp!
Viel zu knapp!
Als ob es etwas macht, wenn ich bei dieser Kilometerzahl eine Stunde später als angekündigt da bin.
Der einzige der mich unter Druck setzt, bin ich selbst!
Hör verdammt noch mal auf damit!
Das hätte Dich diesmal beinahe getötet.
Ja, erschöpft.



Und hier, wieder Zuhause im hohen Norden, will ich nicht an Schafe denken, an Arbeit.
Jetzt gedanklich zurück gehen, darüber schreiben?
Nein.
Ich will nicht.
Was ist, wenn da der burn out winkt?
Doch dann, heute morgen.
Ich bin auf der täglichen Fahrradtour mit den Hunden durch den stadtnahen Wald.
Ja, so Hütehunde kannste nicht einfach, wie anderes Handwerkzeug, an den Haken hängen nach Feierabend. Die Leben mit der Familie in der 50qm Stadtwohnung.
Da muss ich beschäftigen.
So also das Fahrrad.
Mitten im Wald und plötzlich vor mir auf dem Weg, was ist das denn?
Ziegen.

Wirklich Ziegen!
Cool! Jemand geht mit seinen Geißen im Wald spazieren.
Jemand?
Da scheint gar keiner dabei zu sein?
Hallo? Ist da noch jemand?
Nein.
Die Ziegen sind alleine unterwegs.
Ha, ha, ha!
Wie wahrscheinlich ist denn, dass ausgerechnet eine Schäferin über diese Ziegen im Stadtwald stolpert.
Ca. 15 Ziegenböcke!
Okay.
Und nun?
Ich rufe die Polizei an, erzähle was los ist.
Sie wollen kommen. Aber der Weg ist schwer zu beschreiben. Ich sage, ich bringe die Ziege zu der großen Wiese, leichter zu finden.
„Nein! Lassen sie bloß. Bleiben sie bitte wo sie sind, die Kollegen kommen.“
Ja, ja.
Aber gut, dann halten wir uns an die Ansage.
Nur die Ziegen nicht, verlassen den Weg und machen sich ab in die tiefen des Waldes.

So nicht!
Ylva raus gestellt, die eine Seite blockieren. Die andere Seite übernimmt der See. Ich schiebe von hinten mit Lille an der Leine.
Der ist natürlich total am Durchdrehen, endlich arbeiten.
Aber los kommst er nicht! Viel zu durchgeraddelt, um an so paar fremde Geißen zu gehen!

Nicht lange und wir haben das Herdchen auf die Waldwiese verfrachtet. Klare Weggrenzen, da darf nun auch Lille los. Glücklich pendelt er sich ein.
Wir hüten!

Hüten!!!
Ein totales Glücksgefühl durchströmt mich!
Wie geil!
Fuck burn out!
Von wegen!
Ja, ich muss vielleicht meine Arbeitsbelastung verändern!
Aber nicht meinen Beruf!



So trifft eine ganze Weile später die Polizei auf eine fröhliche Schäferin die mit zwei Hunden fremde Ziegen hütet.
Ich beschreibe die Situation.
Die beiden nehmen meine Personalien auf, ja, das ist auch etwas was in ihre Routine passt.
Mit allem weiteren sind sie eigentlich Überfordert.
Auf Fragen erkläre ich, dass das alles Böcke sind und die Rassen, Burenziege, Toggenburger, vermutlich Thüringer Waldziege und gemixte Tiere. Außerdem, dass sie alle elektronische Ohrmarken haben.
„Das ist ja schon mal gut.“
Ich schaue ihn etwas mitleidig an, wie er denn die Ohrmarke lesen wolle.
Ja, die Böckchen sind nett, lassen einen nahe ran, aber eins packen?
Sicher nicht.
Auch erkläre ich, dass die große Nummer die Einzeltierkennzeichnung ist, die Betriebsnummer ist die kleine darüber.
Wo sie denn anrufen müssen, wenn sie die Nummer haben?
Na beim Amt.
Welches Amt genau.
Oh, dass weiß ich nicht, habe keine Tiere hier. Aber wenn sie bei der Stadtzentrale anrufen, die müssten es sicher wissen.
Damit bin ich entlassen.
Hätte ich nicht zu tun, ich wäre gerne geblieben, hätte Mäuschen gespielt.
Wie sie das wohl gelöst haben?
Und mit diesem Erlebnis ist meine Motivation zurück.
Fuck the burn out!

Also Bericht schreiben.Zurück ins Schwabenländle.
Das vierte Jahr.
Routine.
Auch wenn die Schafe wieder in auf anderen Flächen weiden als die Jahre zuvor.
Das ist genau meins, immer wieder neues zu erkunden!


Und dann diese unglaublich nette, brave Merinoschafherde.
Ja, es macht mir Freude.
Einen Tag bekomme ich Besuch von einer Photographin. Sie begleitet mich einen vollen Tag mit der Kamera. Ich bin zuvor nicht wirklich enthusiastisch, nicht nur bin ich gerade aus einer heftigen PMS Attacke mit drei Tagen migräneartigen Kopfschmerzen getaucht.


Auch ist es einfach nicht etwas was ich wünsche:
Gesellschaft beim Hüten.
Also menschliche.
Aber nicht nur die wunderbaren Bilder die ich bereits von Cordula gesehen habe und das Wissen, dass ein Schäfer sie über Jahre gerne mit nimmt hatte mich zusagen lassen, sondern auch den wirklich netten Kontakt den wir bereits auf facebook pflegen.

Und meine Erwartungen werden im positiven bei weitem Übertroffen. Wir haben sofort einen Draht zueinander, finden 1000 und ein Thema zum Reden. Und doch stört sich auch keiner an den stillen Momenten. Auch weiß Cordula wo sie stehen muss, um das Geschehen nicht zu stören, mir nicht im Weg zu sein. Selbst die doch so fremdenscheuen Schafe nehmen sie als eine vertraute Person.
So vergehen die anderthalb Tage wie im Flug und zum Abschied bekomme ich diesen unglaublich schönen Satz geschenkt:
„Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich hatte erwartet eine Schäferin zu treffen, aber kennen gelernt habe ich Dich!"


Von Cordula erfahre ich auch, dass Sven de Vries seinen Betrieb gar nicht so weit weg hat. So verabreden ich mich auf einen Besuch dort.
Mit einem großen Topf Schafhack-Chillie vom Tag zuvor mache ich mich abends auf den Weg.


Da habe ich die Schafe schon gezielt schnell voll gehütet und den Nachtpferch größer als üblich gestellt, aber mit der Stunde fahrt ist es dann doch halb zehn bis ich ankomme.
Bei lecker Essen sind wir schnell in der klassischen Schäferunterhaltung. Klatsch über Kollegen, Betriebe, besonders den auf dem wir beide schon gearbeitet haben, Schafe, Flächen, all das was Schäferherzen bewegt.
Ein rundum schöner Abend.
Bis ich aufbreche ist es zwölf. Naja, waren auch nur zweieinhalb Stunden.
In google die Route eingespeichert, eine Stunde Rückweg.
Ich fahre wie im Autopilot.
Nicht mehr denken, soooo müde.
Ein Uhr, endlich, mein Bett ruft so laut!
Seltsam, von dieser Seite bin ich noch nie in de Ort gekommen?
Hm, nichts vertraut hier.
Angehalten, aufs Navi geguckt.
Es gibt zwei Orte mit diesem Namen!
Eins in Baden-Württemberg.
Und ich bin in dem in Bayern.
70 Kilometer, über eine Stunde, von meinem Ziel entfernt.
Wo ist der Kopf explodier Emoji?
Und mein Tank ist leer.
Richtig leer.
Damit komme ich nicht mehr Heim.
Kein Portemonnaie, keinen Personalausweis, keine EC-Karte.
Doch in meinem Handyfach ist noch ein Fuffi.
Und tatsächlich findet sich eine Tankstelle mit Nachtschalter.
Zu Müde, um zu registrieren wie viel Glück ich doch habe.
Da stehe ich, Tankpistole im Auto, schaue den fliegenden Nummern zu.
Gott, bin ich müde!
45, 46, 47, …
Haaaaalt! Stoooop!
48,93 Liter.
58,67 Euro.
Starr!
Starr!
Ich habe tatsächlich die Liter beobachtet, nicht die Euro.
Also erstmal das Auto auf den Kopf gestellt. Irgendwo finden sich doch immer noch ein paar Groschen.
Groschen?
Ja.
Drei Euro und ein bisschen.
Da fehlen noch FÜNF Euro!!
Im Kopf fühle ich mich wie ein Zombie.
Wahrscheinlich wanke ich ähnlich, zum Nachtschalter, warte, bis das Mädchen hinter der Scheibe ein Nicken gibt.
Die Arme, wird jetzt wohl gleich die Polizei rufen müssen.
Ich bin nicht mal mehr zum Bitten oder Jammern in der Lage.
Erkläre kurz die Situation und halte den Fuffi und die Groschen hoch.
Sie sagt, ich soll sie in das Schubfach einlegen.
Sie entnimmt das Geld und zählt.
Ich starre.
Nun dreht sie sich weg, nimmt das Trinkgeldsparschwein und schüttelt den armseligen Inhalt auf den Tresen.
Ich starre.
Sie zählt die nächsten Groschen.
Ich starre.
Sie greift in ihre Hosentasche. Zieht ihr Portemonnaie heraus.
Ich starre.
Sie zählt das fehlende Geld von ihrem eigenen ab, rechnete ab und gab mir die Quittung.
Ich stammelte ein fassungsloses Dank.
DANKE! DANKE!
Zurück im Auto bin ich am Grübeln, irgendetwas, wie ich meinen Dank zeigen kann?
Hmm. Mein Blick fällt auf den USB Stick fürs Autoradio.
Ich ziehe hin und gehe zurück zum Schalter.
„Magst Du Linkin Park?“
„Hm, Joa. Welches Album?“
„Alle.“
„Ja.“
Ich gebe den Stick durch und bedanke mich noch einmal.
Wenn ich es richtig habe, hat sie jetzt auch eine Version meines Fantasybuches, das mit der Weile im Lektorat ist.
Nun eine Stunde nach Hause. Es ist nach zwei Uhr in der Frühe, bis ich endlich ins Bett falle.

Wollt Ihr jetzt noch hören, dass ich am nächsten Abend, zufrieden nicht kochen zu müssen, den letzten Rest von dem Chilli gegessen habe?
Und das normalerweise gekochtes Essen ja problemlos zwei Tage hält.
Aber nicht, wenn es bei dieser Hitze solche Strecken zurück gelegt hat.
Zwei Stunden später beschließt mein Körper, dass dies eindeutig nicht mehr genießbar war und schnell wieder raus muss.
In einer Nacht drei Kilogramm abnehmen, auch nicht schlecht.
Und ich bin einfach nur froh.
Es hätte schlimmer sein können.
Ich hatte schon einmal einen Magen-Darm-Infekt bei dem wirklich nichts mehr ging.
Und was tun, wenn die Herde laufen muss. Keiner da ist, um einzuspringen?
Ein Problem vor dem so viele Schäfer immer wieder stehen.
Doch ich schaffe den Tag.
Ich schaffe die Tage.


Zurück geht es in die Eifel, dort weiter arbeiten.
Ich bekomme den Anruf der Schwabenland Chefin, den ich etwas gefürchtet habe.
Wir hatten die Betriebsübergabe nur am Telefon gemacht, waren uns nicht begegnet.
Und nun fürchte ich, was ich wohl alles verrissen habe.
Aber nein, sie ist hochzufrieden wie sie ihren Betrieb, die Gärten, die Hühner, Hunde und natürlich Schafe vorgefunden hatte.
Aber sie möchte mir doch noch sagen, dass sie wirklich denkt, ich soll mehr auf mich selbst achten.
Ich arbeite zu viel, fahre zu lange Strecken und die dauernden Betriebswechsel sind auch nicht gut.
Ich starre durch den Telefonhörer.
Das sagt mir hier gerade eine Schäferin!
Ja, ich sollte.