Sonntag, 7. April 2019

Lammzeit im Frühjahr 2019


Der Meisterkurs in Bayern geht dieses Jahr von Mitte Februar bis Mitte April, mit einer Woche Pause zwischendrin.
Was für diesen Betrieb in Niedersachsen bedeutet, dass die Schäferin ihre Herde die komplette Lammzeit über in fremde Hände geben muss.
Und die fremden Hände, das sind meine.
Es hat einiges an Planung gebraucht, da ich ja auch noch Kids habe und sogar einer der Geburtstage in diese Zeit fällt, aber schließlich ist es organisiert.
Ich betreue also ca. 400 Moorschnucken zusammen mit einem Auszubildenden während der Ablammung.
Als Hauptverantwortliche habe ich das schon lange nicht mehr gemacht, kein Schäfer fährt in der Lammzeit in den Urlaub. Und so freue ich mich da richtig drauf.
Lammzeit führt Körper und Geist immer an seine Belastungsgrenzen, gleichzeitig liebe ich auch, die Verantwortung über das Wohlergehen der Mütter und ihrer Lämmer zu haben. Zu sehen, wo was nötig ist und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen, ist etwas was mir Freude bereitet und ich wirklich gut kann.
Als ich ankomme ist die Schäferin bereits abgereist, doch hat sie mir ein detailliertes Protokoll der Abläufe hinterlegt.
Die Herde ist abgeschoren und aufgestallt.


Drinnen Lammzeit hatte ich auch schon lange nicht mehr und abgeschorene Schafe noch nie. Bisher fand ich auch die Vorstellung hochtragende, nicht abgewachsene Tiere zu scheren unpassend. Und das Handhaben der glatten, hornlosen Kugeln ist wirklich Gewöhnungsbedürftig. Doch als zwei Wochen später eine der fünf Schafe, die mit zwei Herdenschutzhunden draußen in einer Koppel stehen, lammt, nervt mich die Wolle kolossal.


Was schaut das schätterig aus! Hinten Blut verschmierte Franseln, keinen Blick auf das Euter. Das sich das Lamm da überhaupt zurecht findet!
Ja, so schnell ist die Gewöhnung.
Die Herdenschutzhunde (HSH) sind natürlich das andere große Neue.
Während der Stallzeit sind sie schlicht arbeitslos.
Also was mit ihnen tun?

Drei Laufen mit den Böcken auf einer Koppel. Zwei mit den eben erwähnten fünf Schafen, da sie mit den anderen drei HSH nicht verträglich sind. Als das Schaf lammt, stellt Bozo, die HSH-Hündin, Lamm und Mutter in eine Ecke der Koppel, vertreibt ihren Kollegen Frank in die andere und bewacht das ganze, bis ich das Schaf in den Stall bringe.

Im Stall ist noch die mazedonische Hirtenhündin Yuna mit ihren sieben Welpen.
Für HSH-Welpen ist jetzt die beste Zeit, um heran zu wachsen, mitten im Stall unter Schafen. Ihre Hütte steht auf der betonierten Fläche vor den Gruppen, ich drehe eine Hurde zu den Tragenden, so dass sie zwischen die Tiere können. Die Muttern, die noch keine Lämmer haben, sind auch richtig freundlich zu den kleinen Pupsies.


Kaum hat eine gelammt, ist das natürlich vorbei. Ein Mutterschaf mit frischem Lamm ist immer auch ein Monster zum Hund. Ich hatte ja schon erzählt, das selbst meine gestandene Hütehündin Ylva die Arbeit mit solchen Schafen verweigert.
Hat eine Mutter gelammt kommt sie aus den Tragenden erstmal in eine Einzelbucht.


Und der Weg dahin führt zum Teil an den Welpen vorbei.
Die Armen.
Doch sie lernen schnell. Ich sage laut: „He! Welpen! Ich komme mit Schaf!“ Oder so was in der Art, es geht mehr um den Ton und schon flitzen sie in ihre Hütte oder in sonstige Deckung. Immerhin lernen sie so frühzeitig, höflich und respektvoll zu den Muttern zu sein und sie unterscheiden jetzt schon sehr genau, was für ein Schaf da vor ihnen steht.

Dazu sie sind einfach unglaublich ruhig und entspannt, lange nicht so temperamentvoll wie Hütehundwelpen.


Hier noch ein Link zu einem YouTube Filmchen:
HSH Welpen beim Schafefüttern im Stall

 Yuna, die Mutter bewegt sich auch sehr ruhig zwischen den Schafen, aber es gefällt mir trotzdem nicht. Bei ihren Sprüngen über die Hurden erschrecken sich die Tragenden doch so sehr, dass sie sich fast stapeln. Während sie noch nicht richtig am Lammen sind, ist das kein Problem, aber dann …
Und auch wird das Wetter richtig warm, die Stalltore müssen auf.


So sammeln wir alle, die deutlich nicht lammen, zu einer extra Gruppe unter dem Schleppdach und doppeln die Hurden yunasicher auf.


Die Welpen, bereits entwöhnt, vermissen ihre Mutter gar nicht, als ich sie erst stundenweise wegnehme. Bald hat Yuna ihre Freilaufzeit am Tag während wir füttern und so eh Unruhe in den Schafen ist.
Freilaufzeit.
Die fehlt auch den Hütehunden.
Normalerweise habe ich meine Hunde in der Stallzeit viel dabei. Sie lungern vor der Hurde, helfen beim einfüttern Raufen schafsfrei zu machen, lungern auf Nachgeburten. All das geht durch die vielen HSH an jeder Ecke nicht, das würde viel zu viel Alarm geben. So lasse ich morgens, nach dem ich um sieben die erste Runde im Stall gedreht habe, die Hütehunde kurz lösen und schaue, dass ich später über Tag noch zwei große Runden mit ihnen drehen. Den armen, unzufriedenen, deutlich gereizten.

Das der Auszubildende abends um zehn die letzte Runde dreht und ich erst morgens um sieben wieder ist der Vorteil von Schnucken und ihren wenigen Zwillingen. Ja, auch sie schaffen Lämmer zu verschlusen, zu vertauschen oder zu klauen. Aber doch habe ich nie Schwierigkeiten das wieder zurecht zu sortieren. Und die, die entschlossen sind, dass ihnen trotz Zwillingen ein Lamm völlig reicht, waren immer eindeutige Fälle. „Alte! Ich habe gesehen, dass Du beide Lämmer bekommen hast! Was ist denn an dem einen nun so doof? Hmpf!“
So gibt es auch Flaschenlämmer, die aber in regelmäßigen Abständen abgegeben werden. Daher lasse ich sie bei ihren garstigen Müttern, binde diese für die Zeit an und wir füttern nur zu.
Interessiert sich irgendjemand für den genauen Ablauf im Stall?
Morgens, nach der ersten Kontrolle ist erstmal Füttern dran. Alle Schafe bekommen Kraftfutter, die Menge je nach dem ob noch tragend oder mit Lamm. Die Schafe wissen das, dementsprechend ist der Lärm, bis jeder etwas gehabt hat. Dazu gibt es Heu in Rundballen, großen Qaderballen oder in die Raufen, je nach Gruppe.

Im Stall und unter dem Schleppdach draußen gibt es Abteilungen von vierzig bis sechzig Schafen, je nach Fressplätzen. In allen Gruppen tragender Schafe können Lämmer geboren werden.

 
Lammt eine, lasse ich, wenn es unproblematisch scheint, Zeit, ihr Neugeborenes in Ruhe zu begrüßen, abzuschlecken, auf wacklige Beinchen zu kommen, das Euter finden. Ich greife nur ein, wenn die Zeit drückt, etwas schwierig scheint oder ein penetranter Klauer die Mutter von ihrem Lamm fern hält. Klauer sind Schafe, meist selbst kurz vor der Niederkunft, die sich in ihrer Hysterie, dass sie nun bald Mütter sind, fremde Lämmer aneignen. Ein Problem, was bei Stalllammung doch gehäuft auftritt. Problem, weil sie junge Mütter verunsichern, oder sich einen Zwilling aneignen. Später dann, wenn sie selbst lammen, fällt ihnen wieder ein, dass das ja gar nicht ihr Lamm ist, sie es nicht mehr wollen und die Orginalmutter erinnert sich auch nicht mehr. An Spitzentagen mit vielen Lammungen müssen die frischen also möglichst schnell in die Stiezen (wie sie hier zu den Einzelbuchten sagen) und ich muss Kämpfen nicht eine Traube von Muttern abzuführen.
Das Lamm nehme ich an den Vorderbeinen auf.
Das hatte ich schon öfter erklärt, ich möchte nicht, dass das noch nahezu geruchsneutrale, keimfreie Lamm von irgendetwas an meiner Kleidung kontaminiert wird. Auch muss die Mutter ihr Lamm bodennah sehen und riechen können, um ihm zu folgen.
Was diese sonst doch so wilden Schnucken fast alle tun!

So führe ich sie in den Stall in eine frisch gekalkte Stieze. Hier behandele ich den Nabel des Lammes mit Jod. Hat das Lamm bereits getrunken, überprüfe ich das Euter, ob beide Euterhälften intakt, angetrunken und nicht mit einem Propfen verstopft sind. Hatte das Lamm noch nichts und ist noch sehr frisch, warte ich noch etwas, möchte ich doch auch hier, dass die Keime im Lämmermaul möglichst nicht die von meinen Fingern sind.
Als die Zahl der Lammungen steigt, überlasse ich die Fütterei hauptsächlich dem Auszubildenden, der das gut und selbständig macht.
Mein Reich sind die Einzelbuchten. Hier Füttere ich auch und tränke. Alles was mir Zeit gibt, gleichzeitig zu beobachten.
Denn was ich in der Einzelbucht nicht löse, löst sich später auch nicht mehr.

So sehe ich, ob ein Lamm schon getrunken hat, oder Hilfe braucht, ob es beide Euterseiten gleichermaßen annimmt, ob die Mutter frisst, oder abfällt, ob sie genug Milch hat, sich gut kümmert, beide Lämmer gleich lieb hat, dass Lamm fit und lebendig ist.
Erst wenn ich von all dem überzeugt bin, wird sie ausgestiezt. Sehe ich ein Problem, verweilen sie, bis ich entschieden habe, wie es gelöst wird, oder ob ein Lamm vielleicht abgenommen werden muss.
Das alles geht natürlich nur bei einer großen Anzahl von Stiezen, wir haben 34 Stück und bauen sogar nochmal sechs zusätzliche auf. Hätte ich dies Möglichkeit nicht, würde ich trotzdem keine unklaren Tiere entlassen, sondern mir eine Notgruppe machen, die ich intensiver überwache.
Auch den Auszubildenden halte ich zu dauerndem Beobachten an. Bei jedem Füttern in den Gruppen schauen, ob einem ein Tier irgendwie komisch scheint, jedes Lamm muss aufstehen, auch die die unter den Raufen schlafen.
Schafen und Lämmern sieht man Probleme nur schwer an.
Natürlich ein völlig leeres Lamm macht einen Buckel, aber bis dahin ist schon viel Zeit vergangen, in der ich als erfahrene Schäferin im vorbeigehen spüre, dass da was nicht stimmt. Und das ist Training und Übung, was sich einfach nicht erklären lässt.
An jede Einzelbucht, in der ein Problem ist, mache ich einen bunten Benzel, so dass jeder weiß, dass da etwas ist. Dem Azubi erzähle ich davon. Er ist es, der hauptsächlich das gewöhnen an die Milchflasche übernimmt, sollte dass Lamm nicht genug versorgt sein. Regelmäßig lasse ich mir seine Beobachtungen berichten. Wir gehe die Buchten durch und ich lasse mir erzählen, was die Geschichte der jeweiligen Tiere ist.
Und ich habe das unglaubliche Glück einen Auszubildenden zur Seite zu haben, der wissbegierig und aufmerksam ist, Dinge schnell umsetzt und dazu noch kräftig, innovativ und selbstständig ist. Die Zusammenarbeit macht Spaß und ich kann ihm guten Gewissens die letzte Runde überlassen. Er sieht die Dinge, löst sie und weiß auch, wann es doch besser ist, mich dazu zu holen.
Wunderbar!
Bevor ein Schaf mit Lamm aus der Stieze kommt, wird es registriert. Bolus im Magen oder die elektronische Ohrmarke der Mutter werden gescannt und in einem Buch notiert. Dazu alle anderen Ohrmarken und Auffälligkeiten. Das Lamm bekommt eine Dosis Vitamin-E+Selen Komplex und eine Betriebsmarke. Dazu eine Twintac-Ohrmarke mit fortlaufender Nummer, entweder in rot bei einem Böckchen oder weiß bei einer Zippe. Weiter gezeichnet wird nicht, was heißt, in den Gruppen muss es jetzt klappen, sonst müsste ich zum Zusammenfinden alle Ohrmarken einzeln durchsehen. So zeichne ich dann die Zwillinge doch mit dem Viehzeichenstift zusammen. Was heißt einen bunten Strich im Fell bei Mutter und den beiden Lämmern an der gleichen Stelle. Auch kommen sie dann in eine reine Zwillingsgruppe, in denen ich den Müttern mehr füttern kann.
Ein Schaf mit seinem einen Lamm kommt nun in eine Sammelgruppe. 12 Schafe und 12 Lämmer um eine Umlaufraufe. Habe ich drei dieser Gruppen voll, kommt die älteste Gruppe raus unter das Schleppdach in eine große Gruppe mit 36 Schafen. Dazu treiben wir die Gruppe einmal über den Hof.

Und auch in den anderen Gruppen ist immer Bewegung. Gelammte verlassen sie und wir füllen dann aus den Schleppdachgruppen wieder auf, damit dort Platz für mehr gelammte Tiere wird.


So berechnet sich die Fütterung immer wieder neu und auch habe ich bei all dieser Arbeit immer die Möglichkeit Schafe im Blick zu haben und gegebenen Falls zu versorgen. Dazu habe ich ein extra Büchlein, in dem jede Behandlung an noch Tragenden vermerkt wird. Bei Gelammten notiere ich es im Ablammbuch. Auch die Gruppenbewegungen vermerke ich, um zu wissen, wie alt die Lämmer in den jeweiligen Gruppen sind. So kann ich sie dem Alter entsprechend mit Bravoxin10 impfen und behandeln. Auch haben wir eine große Tafel, auf der wir Strichliste führen über gelammte Mutterschafe, geborene Lämmer und davon gestorbene.

Alles in allem sind wir so den ganzen Tag gut beschäftigt.
Essen und Schlafen wird zum einzigen Luxus den man noch begehrt.
Lammzeit!
Wenn sich bei den Mahlzeiten alles nur noch um Arbeit dreht.
„Hast du nochmal nach der geguckt?“
„Ich muss gleich noch mal, da hinten in der Gruppe, das sah mir nicht so gut aus.“
„Dann guck doch nochmal bei der vorbei.“
„Heute morgen hatte ich eine, die war ...“
Und beim Einschlafen gehe ich in Gedanken noch mal die Buchten durch, ein Ohr in Richtung Stall, ob auch alles ruhig ist.