Dienstag, 29. Mai 2018

Stallaustrieb im April 2018


Geschafft!
Wir haben es überstanden!
Stallzeit, ich mag sie nicht!
Wie ich das Frühjahr herbei sehne!
Sonne!
Wärme!
Grünes Gras.
Nicht dieses tote Zeug, was ich den Schafen jeden Tag auftischen muss.
Nein, es ist kein schlechtes Heu und auch die Silage ist gut. Die Schafe fressen gerne.
Aber eben, es ist keine grüne Wiese.
Und es wird auch echt Zeit, die Lammzeit ist schon seit vier Wochen rum. Die weibliche Nachzucht, die ohne Lämmer, die Mütter der nun abgesetzten Dezemberlämmer, alle haben wir raus auf die Koppel gefahren.
Alle Klauen sind durchgeschnitten und auch die Wolle ist runter.


Anfang April scheren und dann raus aus dem Stall. Für Schleswig-Holstein unvorstellbar, hier im Rhein-Main Gebiet kein Problem. Bin ich aus dem Norden bei Schneefall zum Arbeitseinsatz gefahren, in Hessen trägt man schon T-Shirt.
Ich baue den Zaun auf der Wiese neben dem Stall.
Die Schafe beobachten mich durch die Gitter und ein Raunen geht durch die Herde.
-Die Schäferin baut Zaun! Wir kommen raus!
Ja, die Schafe wissen was das bedeutet, rufen aufgeregt.
Die Lämmer hingegen sind ahnungslos.
Noch nie waren sie draußen, kennen keinen grünen Halm, kein gar nichts.
So bauen wir aus Hurden einen Gang zur Wiese, schließen das stark schlagende Hausstromgerät an den Elektrozaun.
Und auf gehen die Tore.
Um die 400 Muttern und ihre Lämmer rennen, springen, schreien, in alle Richtungen.
Wir sind mit Hurden und Hunden dabei sie aus dem Stall zu drängen.
Endlich ist auch das letzte Lamm gepackt, alle draußen.
Der Lärm ist ohrenbetäubend.
Jedes Lamm schreit nach seiner Mutter.
Jede Mutter schreit nach ihren Lämmern.
Mutter will grünes Gras fressen und dabei das Lamm beaufsichtigen.
Lamm findest alles gruselig und unglaublich spannend, will am Gras nibbeln, am Elektrozaun...oh. Aua, Mama! Oder doch lieber mit anderen Lämmern rasen.
Was für ein Chaos!
Was für eine Freude!




Am Abend hat sich die Stimmung beruhigt, was das ganze nicht leiser macht. Mütter und Lämmer halten beständig stimmlich Kontakt.
Es ist Zeit für den ersten Flächenwechsel.
Es sind nur zweihundert Meter und doch ist am Getreide entlang ein Zaun gestellt.
Und es läuft gut, alle kommen auf der Nachtweide an.
Morgen wird es ernst.


Der nächste Tag.
Heute geht es auf Tour.
Morgens fahren wir die zu ziehende Strecke ab, bauen den Zaun auf der Nachtwiese auf.
Gleich zu Anfang muss die Herde über die Straße, einen Weg runter, dann ein Brückchen über den Bach und dahinter scharf nach rechts, am Bach entlang. Weiter geht es immer am Bach durch den Wald. Dieses Stück fahren wir nicht ab, bin ich das doch letztens gelaufen. Neben der Brücke bauen wir Zäune, wir hatten schon mal Lämmer im Bach.
Los geht’s.
Ich gehe vorne weg, rufe die Schafe.
Die laufen sehr zögerlich.
Natürlich.
Kein Tier ohne Lämmer in der Herde.
Die Lämmer wissen nichts.
Nicht das sie folgen sollen, nicht was ein Hund ist, was eine Straße, was ein Baum.
Und selbst das beste Leitschaf denkt zuerst an sein Lamm.
So lasse ich Lillebror, meinen zweijährigen Altdeutschen Hütehund, an der Leine, aufgeregt wie er ist, ist es doch zu viel für ihn.
Ylva kann ich auf Abstand an der Herde laufen lassen.
Der aufgebaute Zaun macht das queren der Brücke leicht, und dann sind wir auf dem Waldweg.
Es geht langsam voran, aber das macht nichts, laufen wir eben langsam.
Die Arbeit hat meine Kollegin hinten.
Lämmer die nicht folgen, Mütter die zurück gerannt kommen, nach ihren Lämmern gucken.
Und dann liegt ein Baumstamm quer.
Groß genug, dass die Lämmer nicht rüber gucken können.
Der lag da schon auf meinem Spaziergang, aber hatte ich ihn wahr genommen? Nein.
Die Schafe wollen nicht darüber.
Und auch wollen sie mir nicht drum herum folgen.
Ich rufe und locke.
Es bewegt sich nichts.
Meine Kollegin kommt vor gerannt. Sie ist die Mutter dieser Herde, jedes Schaf liebt sie.
Und tatsächlich, die Herde zieht an.
Doch da drehen hinten die Lämmer, rennen zurück.
Die Herde wendet.
Zurück in vollem Galopp.
Zum Glück ist noch einer an der Brücke, die Zäune wieder abbauen.
Er schafft die Herde vor der Straße zu stoppen.
Durchatmen.
Nochmal das Ganze.
Wieder stoppt es am Baum.
Mein Locken und Rufen hilft nicht.
Meine Kollegin kommt vor, doch diesmal ist noch ein Mann hinter der Herde.
Die Schafe bewegen sich endlich am Baum vorbei und darüber, weiter geht’s.
Die Herde folgt, aber es zieht sich.
Ich kann nicht bis zum Ende sehen, so höre ich erst später, dass ein großer Schwung Lämmer nicht am Baum vorbei gekommen war, einzeln hinüber gehoben werden musste.
Es geht zögerlich. Lille ist hibbelig, will Laufen, darf nicht.
Auch das schreckt die Schafe, der energiegeladene Hund neben mir.


Ich rufe meine Kollegin an, ob wir nicht tauschen wollen? Die Schafe vertrauen ihr einfach mehr, ist es doch ihre Herde, sie viel mehr mit ihnen zusammen.
Als der Weg breiter wird, eine verwilderte Wiese neben uns, tauschen wir. Ich renne nach hinten, sie nach vorne.
Und weiter.
Wir verlassen den Wald, kommen ins Feld.
Die Hitze schlägt auf uns wie Zement.
Neben uns junges Getreide.
Nun können die Hunde laufen.
Schaffen, schaffen, schaffen.
Bis die Zungen am Boden hängen, der Schritt taumelt.
Zum Glück läuft der Bach weiter parallel. So können die Hunde sich immer wieder ins kühle Nass stürzen.
Besonders Mühe machen die fremden, über Winter im Betrieb notuntergestellten, Coburger Fuchsschafe. Schon da hatten sie mit Zwergenlämmchen und über Hurden hupfen genervt. Und irgendwie sind sie jetzt immer noch da.
Lämmer die nichts von der Welt wissen, sind das Eine, Schafe etwas ganz anderes. Spritzt Ersteres von der Herde ab, will es doch immer wieder zurück. Ein älteres Schaf, dass nie gelernt hat, der Herde zu folgen, geht gerne seine eigenen Wege. Doch immerhin lassen sich diese Füchse auf extra Einladung vom Hund, dann doch wieder überzeugen mitzukommen.
Die Strecke zieht und zieht sich, es wird heiß und heißer.
Schafe, Hunde, Schäfer, alle taumeln unter der hämmernden Sonne.
Es ist nicht mehr weit, ein kleines Lamm fällt zurück, ich nehme es auf den Arm, trage es. Das Begleitfahrzeug ist umgedreht, Zuhause den 1000 Liter Tank mit Wasser einladen.
Endlich, da ist die Wiese, eine herrlich schattige Wiese mit altem Obstbaumbestand.
Doch bis dahin kommen wir nicht. Zur Wiese führt ein Grünstreifen mit Bäumen. Die Herde sinkt in den Schatten. Wir lassen sie, sollen sie zur Ruhe kommen. Auch wir und die Hunde genießen den Schatten.
Pause.
Erst nach einer Stunde fangen die ersten an zu fressen, langsam vorwärts fressend geht es auf die Nachtwiese. Hier gibt es noch Bütten mit Wasser, aber so durstig sind die Schafe gar nicht. Das Gras im Frühjahr hat einfach viel Flüssigkeit.
Fresst schön! Bis morgen, zur nächsten Etappe.

Eigentlich wäre mit diesem Tag mein Arbeitseinsatz schon zu Ende.
Doch ist es heute knapp an Leuten, und die Herde muss weiter.
So habe ich meine Kids organisiert und hänge einen Tag ran.
Die Strecke ist nicht so lang und doch brechen wir früh auf. Die Hitze soll uns nicht nochmal erwischen. Selbst morgens knall die Sonne schon und doch geht noch eine leichte Brise.
Wir brechen früh auf.
Heute geht es durch Feld und Dorf.
Ich gehe vorne und die Herde läuft schon viel besser als am Tag zuvor.
Die Hunde halten das Feld sauber.
Dann auf die Straße durch den Ort. Die Straßen sind eng und viele Blumenpötte säumen den Weg. Doch Lillebror pendelt sich ruhig auf der Blumenseite ein, schützt diese.


Die Dorfbewohner die uns begegnen sind alle hoch erfreut über ihre Attraktion.
Wir lassen das Dorf hinter uns, nun ist es nicht mehr weit.
Nur noch etwa zwei Kilometer Straße an Getreide entlang.




Und da ist auch schon die Wiese, ein malerisches Hangstück mit Obstbäumen, oben die Bahntrasse.
Unter der geht es später durch einen kleinen Tunnel auf die Nachtwiese.
Aber erstmal verteilt sich die Herde zum Fressen. Um diese Jahreszeit nie leise, beständig halten Mütter und Kinder durch Rufen Kontakt.

Ich mache mich auf, laufe die Strecke zurück. Es ist halb zwölf Mittags, die Sonne kracht. Wie gut, dass die Schafe schon angekommen sind.
Ich baue die sieben Zäune des alten Pferches ab, lade alles ein und fahre zurück.
Die Schafe liegen schon zum Wiederkäuen im Schatten.
Ich beaufsichtige sie alleine weiter.
Um zwei Uhr fangen sie wieder an zu fressen und, da sie das Stück schon etwas langweilig finden, auch zu Drücken. Ein Dreieckstück, auf der einen langen Seite Getreide, auf der anderen die Bahn, auf der Kurzen ein Kleingarten, nicht abgezäunt.
So haben die Hunde und auch ich zu tun. An der Bahnseite muss ich selbst wehren, da kann ich keinen Hund laufen lassen. Zum Glück ist der Hang zum Gleis fast vollständig mit meterhohem Dornengestrüpp bedeckt, nur weit weg von der Unterführung ist ein Stück frei.


Gegen vier haben die Schafe keine Lust mehr, wollen weiter.
Kein Problem, der große Pferch wartet.
Meine Kollegin kommt, damit wir den kaum einen Meter breiten Tunnel zu zweit bewältigen.
Sie geht vor, die Schafe kennen seit vielen Jahren den Weg, folgen begeistert.


Ich scheuche Lämmer nach.
Fast alle Tiere sind durch, da spritzen drei ab.
Mist!
Die letzten Schafe sind im Tunnel verschwunden, die Lämmer haben jeden Anschluss verloren.
Ich versuche sie in die richtige Richtung zu scheuchen.
Sie weichen aus, schlagen Haken.
Eins ist extra, mit Lilles Hilfe bekomme ich es gepackt.
Das hat doch gut geklappt.
Ich trage es durch den Tunnel, setze es in den Pferch.
Meine Kollegin ist dabei, diesen zu sichern.
Ich gehe zurück, noch zwei zu fangen.
Auf der Wiese keine Lämmer.
Wo sind sie denn?
Wo?
Da höre ich Bremsen quietschen und Hupen von der Bahntrasse.
Mein Herz fällt in die Hose, ich renne los.
Ich gucke die Gleise entlang, in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Da, etwas 150 Meter entfernt stehen die beiden Lämmchen auf den Gleisen.
Ich greife mein Handy. Bei dem ich ausgerechnet heute Nacht vergessen habe, das Ladekabel anzuschließen. Noch 13%. Ich rufe meine Kollegin an, bitte sie, unseren Chef anzurufen und die Bahn, damit die Strecke gesperrt wird, erkläre wo ich stehe. Sie will telefonieren, den Zaun der Herde mit Strom versehen und dann kommen.
Ich bleibe stehen, beobachte die Lämmer, weiß ich doch genau, laufe ich zu ihnen, flüchten sie kopflos einfach immer die Strecke weiter.
Da kommt von vorne der nächste Zug.
Er bremst und kommt direkt vor den Lämmern zum stehen.
Nun muss ich doch handeln.
Ich renne los. Als ich fast an den Lämmern bin, schlagen die einen Haken um mich herum, rennen auf den Gleisen zurück.
Erst die Lämmer, dann ich mit den Hunden, dann der Zug.
Wir haben um die 30° Grad.
Wir kommen auf die Höhe, auf der rechts von uns die Herde steht. Die ist zwar durch Büsche und Dornen verdeckt, doch hört man sie laut.
Ich schaffe es, Ylva vor die Lämmer zu dirigieren, hoffe das sie abbiegen.
Aber die beiden sind schon so durch, dass sie nichts mehr schnallen, am Hund vorbei springen, weiter rennen.
Und ich bin nicht weniger durch, sonst müsste ich doch wissen wie unnütz mein Rennen ist, hätte dem Lockführer gesagt, dass wir jetzt hier stehen bleiben, auf meine Kollegin warten.
Ich weiß es auch, stoppe aber trotzdem nicht, renne immer weiter. Rufe nochmal meine Kollegin an, beschreibe in welche Richtung es nun geht, nämlich in die gegensätzliche als zuvor beschrieben, dabei keuche und schluchze ich.
Weiter rennen wir.
Das kleinere Lamm springt nach rechts in die Büsche. Noch auf Höhe der Herde in ihrem langgezogenen Pferch?
Das große rennt weiter.
Ich verliere ganz den Kopf, hetzte Lille auf das Tierchen. „Pack es, halt es!“
Lille rennt, erwischt es, hat es am Boden.
Einen Meter bevor ich dran bin, rappelt es sich hoch, rennt weiter.
Weiter und weiter.
Dann, irgendwann, springt es nach links den Hang hinauf.
Ich folge, der Zug kann passieren.
Ich klettere die steile Böschung hoch. Oben junges Getreide so weit ich gucken kann.
Aber kein Lamm.
Wo? Wo?
Da, etwa 200 Meter die Strecke zurück, sehe ich es im Gebüsch der Böschung zur Bahn verschwinden.
Ich renne los.
Dort angekommen, sehe ich kein Lamm mehr.
Ich gucke, schlage mich durch die Büsche zum Pferch, treffe meine Kollegin und auch schon meinen Chef. Die Bahn hat die Strecke gesperrt. Der erste Lockführer ist überzeugt, die Lämmer überfahren zu haben. Ob es doch mehr als zwei waren? Da noch Zwei tote liegen? Nein, ich weiß, dass es nur zwei waren, dass sie noch leben. Wir teilen uns zum Suchen auf.
Wieder folge ich der Bahntrasse. Und da sehe ich das größere der Lämmer, noch auf der linken Seite liegt es am Hang. 4% Akku, aber ich erreiche meine Kollegin, beschreibe wo ich bin und warte bis sie kommt. Mit ihrer ruhigen Art, mit der sie ihre Schafe handelt, fängt sie das völlig unter Schock stehende Lämmchen.
Die Bahnsicherheit kommt und die Polizei. Wir werden befragt, Daten werden aufgenommen.
Die Strecke wird freigegeben auf Sicht. Dass heißt, die Züge fahren wieder, aber langsam.
Wir dürfen das Gleisbett nicht mehr betreten.
Und doch suchen und suchen wir nach dem letzten Lamm.
Wir finden ein kleines Fuchsbaby, einen Rehbock und jede Menge Dornen.
Aber kein Lamm.
Am Abend geben wir auf.
Ich fahre noch Heim.
500 Kilometer, wie unter Schock.
Auf der A5 ein schwerer Unfall, auf der A7 Vollsperrung.
Es ist fünf Uhr morgens, als ich Zuhause ankomme.
Am nächsten Morgen frage ich nach. Aber das Lamm steht nicht wie gehofft neben dem Pferch.
Das andere Lamm muss gefahren werden.
Vielleicht hatte der Zug sie doch angefahren?
Wo ich das hier schreibe, übermannen mich Tränen.
Erschöpfung.

Erschöpfte Hunde