Freitag, 21. April 2017

The Shepherd's Life

A Tale of the Lake District
Mein Leben als Schäfer
von James Rebanks


Diesmal ist es kein Bericht sondern eine Buchempfehlung.
Wo soll ich Anfangen?
Vielleicht damit, dass dies absolut persönlich wird.
Oft kritisiere ich negativ, wenn jemand in der von mir initiierten facebook-Gruppe „Wanderschäfer“ einen Link zu einem Bericht einstellt und in der Überschrift seinen persönlichen Sermon dazu schreibt.
Damit wird dem Leser jede Möglichkeit auf eigene Meinungsbildung genommen, färbt den Bericht schon vorweg als Untermauerung des eigenen Standpunktes.
Etwas, was ich total ablehne.
Und doch werde ich es jetzt auch machen und daher warne ich Euch Leser vor.
Dies ist nicht einfach eine Buchempfehlung, nein, es ist zutiefst aus meinem Herzen.
Lange hat mich ein Buch nicht mehr so berührt, so mitgenommen und so viel aus dem Leben auf den Punkt gebracht.


Ich hatte „The Sheperd's life“ schon vor Monaten von meiner Mutter geschenkt bekommen. Im Original, da ich gerne Bücher in englisch lese.
Somit richtet sich all das folgende auch auf dies Original und ich kann nur hoffen und wünschen, dass die Übersetzung dem grandiosen Schreiben von James Rebanks gerecht wird.
Ich muss gestehen, erst mal wanderte das Buch ins Regal.
Auch wenn ich gerne englisch lese, ziehe ich doch andere Inhalte vor. Bücher sollen mich wegtragen, weit fort aus meinem Alltag. Ich liebe es, einzutauchen, mich mit den Charakteren zu verbinden und alles andere zu vergessen.
Darum lese ich.
Das Buch eines Schäfers entspricht natürlich nicht ansatzweise diesen Kriterien.
Im Gegenteil.
Doch bekomme ich oft sämtliche Bestseller in denen Schafe eine Rolle spielen geschenkt. „Glenkill“ zum Beispiel schon drei Mal.


Nun ist Frühjahr 2017.
Die Lammzeit ist vorüber und doch stehen alle Schafe noch im Stall.
Der Tag beschäftigt einen mit Füttern, Streuen, Tränken und Gesundheitsversorgung.
In dem Betrieb in dem ich gerade Arbeite ist besonders das Wassergeben eine äußerst unbeliebte Aufgabe. Alle Schafs- und Ziegengruppen haben schwarze Maurerbütten gefüllt zum Tränken. Diese müssen einmal am Tag gereinigt und das Wasser erneuert werden.
Das verdreckte Wasser wird natürlich nicht einfach in den Stall gelehrt, sondern die Wanne zum Entleeren und Schrubben raus gezogen.
Der Wasserdruck auf dem Schlauch ist sehr gut, nicht wie in anderen Betrieben, wo ich parallel zum Wassermachen den ganzen Stall füttere.
Nein, die Wannen laufen schnell voll, es bleibt kaum Zeit, zwischendurch etwas anderes zu erledigen. Ganz im Gegenteil, passiert es dann, dass die Wanne überläuft und den Stall unter Wasser setzt.
Gleichzeitig braucht es lange bis alle Wannen gefüllt sind, Zeit in der man rumsteht und gerne genervt ist.
Oder eben liest.

So stand ich vor dem Bücherregal auf der Suche nach einem Buch, klein genug für die Hosentasche, nicht zu spannend, damit ich nicht alles um mich vergesse und natürlich keins aus der Bücherei, dem ein bisschen Stalldreck nicht schadet.
Und da sprang mir „The Shepherd's life“ ins Auge und mit kam es in meine Stalltasche, zu Klauenschere, Viehzeichenstift, Trinkflasche, Blauspray und Sonnencreme.
Ich fing an zu lesen und war vom ersten Moment an gefesselt.
James Rebanks erzählt sein Leben im Lake District Englands.
Sein Großvater war schon Schäfer und sein Vater nach ihm.
Als kleiner Junge begleitet er seinen Großvater auf Schritt und Tritt, wächst im Farmalltag auf.
Schule erlebt er als große Störung in seinem Schäferleben, das einfach ist.
Nicht nur das, von Seiten der Institution Schule und den Nichtfarmern unter den Klassenkameraden gibt es keinerlei Verständnis, im Gegenteil, nur Verachtung.
Zu Erfahren, dass das was man lebt, was man ist, auf was man stolz ist, so gering geschätzt wird, führt zu Zorn, Gegenwehr und schließlich dazu, dass er mit 16 die Schule schmeißt und ganz in den elterlichen Betrieb eintaucht.
Sein Vater ist vom alten Schlag und James Rebanks hat eigene Ideen, das ist nicht immer leicht.
Selbst die Fernbedienung am Abend unterliegt der Kontrolle des Vaters.
Dies hat zur Folge, dass Rebanks die Abende gerne lesend verbringt.
Er schreibt dazu:
„I was always curious about other places, but I had no desire to go to any of them. And we didn't do holidays.“
„Ich war immer Neugierig auf andere Gegenden, aber ich hatte kein Bedürfnis dahin zu kommen. Wir machten keine Ferien.“
Eines Tages stolpert er über ein Buch des Vaters seiner Mutter, von der er das Bücherinteresse geerbt hatte. „A Shepherd's Life“ von W.H. Hudson. Er findet es belustigend, dass sein Großvater, den er nie kennen gelernt hatte, Bücher über Schäfer las, und beginnt eher widerwillig das Buch zu lesen. Er erwartet all die Vorurteile und Bevormundungen die er bisher von der Nichtschäferwelt erfahren hat. Um so erstaunter und gefesselter ist er.
„Two things I loved: the brilliant plain storytelling, no messing about; and the sudden livechanging realization it gave me that we could be in books – great books.“
„Zwei Dinge die ich liebte: Der brillante und gleichzeitig einfache Erzählstil, kein lustig machen. Und die plötzlich lebensverändernde Erkenntnis die das Buch mir gab: Wir konnten in Büchern sein – in großen Büchern.“
Mit 21 Jahren beschließt James Rebanks wieder zur Schule zu gehen. Er macht seinen Abschluss und wird an der Universität Oxford angenommen, wo er studiert und mit einem double first in Geschichte abschließt.
Doch sein Herz gehört weiter dem Schäferleben im Lake Distrikt.
Dort arbeitet er in seiner freien Zeit, auch nach dem Studium. Wenn doch die Farm nicht genug abwirft um ihn und seine Familie voll zu ernähren.
Zu den beständig schlechter werdenden Bedingungen schreibt er:
„It was the same for small farmers everywhere. Our sheep made the same price at market as they had done twenty years earlier. We kept more and more and made less and less money. The cost of everything else was rocketing. Farm workers go old and were never replaced. Our buildings were thirty or forty years old and slowly falling apart, but there was no money to replace them either. Our tractors and machinery were also ageing. Farming was changing too, with a raft of new regulations that would cost a fortune to abide by on an old farm like ours. My father and mother and I were working like dogs, running fast to stand still, but just got worse and worse. No one in our world knew what to do about it, other than work like hell and hope that something would change. My dad's catchphrase was 'farming is fucked'.“
„Es war das Selbe für alle kleinen Höfe überall. Unsere Schafe brachten auf dem Markt den gleichen Preis wie vor zwanzig Jahren. Wir hielten immer mehr und mehr und machten weniger und noch weniger Geld. Die Kosten von allem anderen schossen in die Höhe. Farmarbeiter gingen in den Ruhestand und wurden nie ersetzt. Unsere Gebäude waren dreißig oder vierzig Jahre alt und fielen langsam auseinander, aber da war kein Geld um sie zu sanieren. Unsere Traktoren und Maschinen alterten auch. Und die Landwirtschaft veränderte sich, es gab jede Menge neue Regulierungen die ein Vermögen kosteten, wollte man so einen alten Hof wie unseren denen anpassen. Mein Vater, meine Mutter und ich arbeiteten bis zur Erschöpfung, rannten schnell um auf der Stelle zu stehen, aber es wurde nur schlimmer und schlimmer. Niemand in unserer Welt wusste, was dagegen zu tun war, außer wie der Teufel zu arbeiten und zu hoffen, dass sich irgendwas ändern würde. Der Standardspruch meines Vaters war: Schäferei ist am Arsch.“
Mit diesen Worten trifft James Rebanks die Situation der Weidetierhalter weltweit!
Mit seinem Buch erzählt er nicht nur seine Lebensgeschichte, auch lässt er uns Teilhaben an dem Jahresablauf in der Schäferei.
Diesen schildert er sehr Detailfreudig und mitreißend.
Dabei ist es mit Sicherheit auch für jeden Nichtschäfer verständlich. Wobei ich das natürlich nicht genau beurteilen kann. Aber die Bestsellerlisten die das Buch anführt, bestätigen doch meine Aussage.
Für mich war es eine Freude Einzutauchen. Nicht nur, wegen den vertrauten Aspekten, auch und gerade da, wo er Dinge schildert die neu und anders sind, als ich sie aus der Schäferei kenne, fesselt er mich.
Seine Beschreibungen der Vorbereitungen für die Auktionen und diese selbst sind für mich eine spannende, fremde Welt. Habe ich bisher nur in Betrieben mit Gebrauchschafen gearbeitet wo höchstens der Bock gekört von der Auktion kam, war mir dieser ganze Rummel nicht nur unerklärlich. Ich wollte ihn auch nicht so recht verstehen.
Rebanks schafft es, mich hinein zu ziehen, in das Schrubben, Bürsten, Zupfen der Schafe, dem Präsentieren, den Stolz auf die eigene Zucht.
Ich war so tief in der Geschichte, dass ich Rotz und Wasser heulen musste, als die Maul- und Klauenseuche über England rollte und alle Schafe des Hofes, hochtragend noch dazu, gekeult wurden.
Die Schilderung der Lammzeit trifft die horrende Arbeitsbelastung, das nervenaufreibende und gleichzeitig die Freude dieser Jahreszeit.
Auch macht er an allen Ecken deutlich, wie wertvoll die Arbeit für Natur und Umwelt ist, wie viel Herzblut, Tradition und Verstand dahinter steckt.
Die Wurzeln die die Menschen des Lake District mit ihrem Land verbindet, reichen Tief, machen sie Teil der Landschaft, der Schönheit, schaffen eine Sicherheit und Geborgenheit von der jeder Stadtmensch nur träumen kann.
Und auch mich fasziniert gerade das, bin ich doch Schäferin und Schäfertochter, fehlen die Wurzeln. Betriebe die schon seit Generationen auf, von und mit ihrer Scholle leben berühren etwas tief in einem. Eine Sehnsucht die viele in sich tragen, nach dem Ankommen, dem wissen wo man hin gehört.
James Rebanks berichtet von einer Kulturform die es schon seit tausenden von Jahren gibt, die von allen Seiten bedroht wird und doch so brandaktuell ist. Deren Verlust nicht nur zum Schaden der sie lebenden wäre, sondern ein Schaden für die Menschheit.


Er spricht mir aus dem Herzen und aus der Seele.
Leute, lest dieses Buch!
Taucht ein in das Leben eines Weidetierhalters. Seht, dass es wert ist dies zu erhalten.

Viel Spaß beim Lesen!

Eure Anna


Es folgt kein Link zum Buch, da ich doch hoffe, dass es Kaufinteressierte in dem kleinen Buchladen ihres Vertrauens bestellen werden. Die Buchpreisbindung macht möglich, dass die deutsche Ausgabe überall das selbe kostet:
Mein Leben als Schäfer
von James Rebanks
C. Bertelsmann Verlag, München 2016
ISBN 9783570102916
Gebunden, 288 Seiten, 19,99 EUR


Bei Wikipedia gibt es nur im Original einen Eintrag:
The Shepherd's Life