Sonntag, 3. Dezember 2017

Dreimal Welpen




Bolle Socke

Genau weiß ich nicht, wie ich anfangen soll. Wie diese Geschichte erzählen?
Da war nun der neunte Todestag meines ersten Hundes und ich habe ihren Nachruf in meinen Blog gestellt.
Und doch war da noch ein erster Hund.
Nur leider sehr kurz.
Ich entschließe mich nun, 22 Jahre später, von ihm zu berichten.
Nicht um noch daran rum zu urteilen, oder hätte, könnte, wäre, zu diskutieren, sondern einfach, weil ich viel, sehr viel daraus gelernt haben.
Zurück in mein erstes Lehrjahr zur Schäferin im Winter 1994/95.
Damals, als ich am spekulieren war, welche der drei Hündinnen auf dem Betrieb wohl meinen Hund gebären würde.
Wie schon in dem Gipsy Nachruf geschrieben, kam es anders.
Die Hündinnen wurden alle zusammen im Januar hitzig, zu spät. In der Frühjahrsreisezeit wurde jeder Hund gebraucht, keine durfte dann mit Welpen liegen.
Und doch wurde es höchste Zeit, dass ich Auszubildende einen Welpen bekam, immerhin wäre ich schon im zweiten Lehrjahr, bis der dann mit zu den Schafen könnte.
So klemmte sich mein Meister ans Telefon um in Erfahrung zu bringen, ob ein Kollege einen Wurf Altdeutscher Hütehunde hätte.
Es fand sich ein Welpe, ein Rüde.
Eigentlich ist mein Meister der Überzeugung, dass ein Auszubildender mit einer Hündin beginnt, da die doch in der Tendenz leichter zu handeln sind als Rüden. Und doch fuhr er den Welpen holen.
Meine Aufregung war unglaublich.
Endlich, endlich! Mein Hund.
Und da war er, ein kleines, schwarzes, lockiges Kerlchen.
Mein Meister aber berichtete, das der Welpe mit seiner Schwester und Mutter zusammen in einem kahlen Zwinger gelebt hatte. Es hatte nicht mal eine Hütte oder wenigstens einen Tisch gegeben. So hatte die Mutterhündin keine Rückzugsmöglichkeit gehabt, was hieß jede Ruhepause musste sie mit Gewalt erzwingen.
Dazu hatten die Welpen so wenig menschlichen Kontakt erfahren, dass man den Welpen wie ein flüchtiges Kaninchen raus fangen musste.
Ich machte mich also daran den kleinen Bolle Socke, nach dem Kinderkosename einer Freundin benannt, zu zähmen.
Dies klappte augenscheinlich sehr gut. Er wurde ein netter, witziger Welpe.


Bis auf die Kleinigkeit, dass er nie mit Schnauze oder Kopf Kontakt zu einem aufnahm. Und dass er wegzuckte, wollte man ihm von oben auf den Kopf langen.
Bolle wuchs und da ja Winter war und damit kurze Arbeitstage hatte ich viel Zeit, mich mit ihm zu beschäftigen.
Als er älter wurde zeigte er sich immer Stressanfälliger.
Da ging er schon gut und selbstverständlich bei mir an der Leine, war aber Aufregung da, zog er panisch und wie verrückt. Aufregung bedeutete in dem Fall, dass wir alle Hunde des Hofes zwei mal am Tag zusammen auf der Hauskoppel „springen“ ließen. Den Weg dahin mussten sie lose um den Mensch gruppiert gehen. Wildes toben und voraus rennen wurden untersagt. Dies weil an der Koppel ein Fluss entlang führte, an dem manchmal auch ein Angler stand und der dann nicht von acht bis zehn großen Altdeutschen Hütehunden überfallen werden sollte. Junghunde kamen dabei immer an die Leine, da das weniger Druck für sie war, als sie unter ein Kommando zu zwingen.
Doch für Bolle war jede Art von Stress schon zu viel, führte zu totaler Panik. Dabei ging der Druck ja nicht gegen ihn, sondern war auf die älteren Hunde gerichtet.
Schlimmer noch, wenn er sich bedrängt fühlte. Dann ging er nach vorne und biss wild um sich. So geschah das auch z.B. bei einem Bad gegen Flöhe. Fünf Monate alt, und bereit mich ernsthaft zu verletzen.
Bolle Socke war sechs Monate alt, als mein Meister zu dem Schluss kam, dass dieser Hund zu viel für mich Anfänger ist. Er übernahm ihn und suchte ihm einen Platz auf einem Bauernhof.
Gipsy war zu dem Zeitpunkt 15 Wochen alt und seit 5 Wochen auf dem Betrieb. Sie war das Geschenk eines befreundeten Schäfer und nun wurde sie an mich weiter gegeben.
Ihre und meine Geschichte habe ich schon tausendmal erzählt.

Lillebror

20 Jahre später.
Eigentlich wollte ich keinen Welpen.
Erstrecht nicht von diesen Eltern, so gerne ich beide hatte und so hübsch sie waren, so wenig entsprachen sie dem was ich in einem Hütehund sehen möchte.
Doch der Wurf bot sich an und der Wunsch in meiner Familie nach einem Welpen („Alle haben immer Welpen, nur wir haben nur ältere Hunde!!“) war groß.

 
Aber auf kleinen Fall wollte ich einen Rüden.
Und dann sah ich die vier Welpen das erste mal im alter von zwei Wochen.
Der kleine Tigerrüde war es!
Auf den ersten Blick!


Nur war er schon vergeben, sollte meine Wahl ja zwischen den beiden Hündinnen stattfinden.
Zwei Wochen später der Anruf, dass die Rüdeninteressenten nun doch lieber den Schwarzen mit länger werdendem Fell nehmen wollten.
Damit war klar, ich bekomme den kleinen Tiger.
Lillebror, kleiner Bruder.
Geboren am 25. November 2015 durch Kaiserschnitt lebte er die ersten vier Wochen im Haus.






Doch als die Kerlchen aktiv wurden ging es raus in den Zwinger. Ein extra Welpengehege im Stall.




Marlis, die Mutterhündin konnte rein und raus springen, wie es ihr behagte.


Dazu liefen auch die Welpen frei, wann immer jemand am Stall war.
Überhaupt gab es viel Besuch, von Erwachsenen wie Kindern, die zum Welpenknuddeln kamen.




 Lillebror war immer etwas anders als seine Geschwister. Er war ruhiger, nicht so an die anderen angeschlossen und doch immer nah am Menschen. Genau das, was ich mir vorstellte.











Als Mutter Marlis und die Geschwister bis auf eine den Betrieb verließen, liebte es Lillebror, zu den Flaschenlämmern zu klettern, mit denen zu turnen oder sich unter die Wärmelampe zu kuscheln.


(Die Welpenbilder von Lillebror stammen von Michelle Berkel. Vielen, vielen Dank dafür! Sie waren und sind eine große Freude!)


Mit zehn Wochen kam er dann zu mir und band sich vom ersten Augenblick an mich.
Nicht einmal weinte er nach seinem alten Zuhause und trottelte mir auf Schritt und tritt hinterher, begierig unsere Welt erkundend.

ich schneide Klauen







Nun ist er zwei Jahre alt, ein wunderbarer, selbstbewuster junger Rüde. Da ich beide Eltern gut kannte, ist es sehr spannend, zu sehen, was er von diesen mitbringt und wie ich gewisse Anlagen erzieherisch beeinflussen kann. Auch ist interessant zu beobachten, dass er Dinge mitbringt, die keiner seiner Eltern hatten, die aber durchaus von Vorfahren schon gezeigt wurden. Aber dazu ein andermal mehr.
Herzlichen Glückwunsch zum 2. Geburtstag mein Lillebror.


Welpen

Diesen August gab es in meinem Ursprungsbetrieb ein Wurf Altdeutscher Strobelwelpen, zehn Stück an der Zahl.
Halt, halt, wer nun denkt, das wird die Geschichte eines dritten Hundes für mich, bloß nicht.
Nein, nein.
Ich habe keinen festen Betrieb, nicht die Notwendigkeit mehr Hunde zu halten, so viel komme ich nicht zum hüten. Zwei reichen in meinem unsteten Lebensalltag völlig.
Zurück zu den Zehn.
Draußen in Hütte und Zwinger geboren wuchsen sie zu properen kleinen Knäulen. Natürlich sind zehn für eine Hündin selbst mit so viel Milch wie Lilou ganz schön viel. Ab der 2,5ten Woche füttert man zu.
Als sie mobiler wurden, wurde ihre Zwingertür geöffnet und sie konnten sich auf großer Fläche frei bewegen.


Dazu hatten sie viel menschlichen Knuddelkontakt.


Auch wir sind extra dafür hingefahren, als die Welpen fünfeinhalb Wochen alt waren.


Nun ist bekannt, dass mein Vater sehr gute Altdeutsche Hütehunde im ursprünglich süddeutschen Schlag züchtet. Gute Weghunde, sauberer, druckvoller Griff, sich allen Anforderungen einer Wanderschäferei mit Begeisterung stellend. So geht der Interessentenkreis weit über Schleswig-Holstein hinaus.
Und da ich am Tag, als die Welpen 8 Wochen alt wurden, meine Oktoberfahrt nach Süden machte, bot es sich an, dass ich Welpen mitnahm.
Kein Problem.
Am Abend vorher war ich dann doch etwas besorgt. Nicht nur ist mein Auto mit Gepäck, zwei großen Altdeutschen und einer unzufriedenen Katze schon ganz schön voll.
Außerdem fragte ich mich, wie wohl 500 Kilometer rum gehen, mit weinenden, pinkelnden, kotzenden Welpen im Kofferraum.
Bisher hatte ich immer nur mal einen Welpen transportiert, dies dann auf dem Beifahrersitz, in nahem Kontakt zu mir.
Ist natürlich bei drei völlig unmöglich.
So hatte ich einige Vorbereitungen getroffen. Eine gut ausgepolsterte Box, jede Menge Ersatzhandtücher und Küchenrolle. Dazu Wasser, Schüssel, Trockenfutter und drei Leinen.
Morgens wurden die Welpen erstmal die 120 Kilometer zu mir gebracht. Das hatte gut geklappt, hatten sie doch ihren Vater und vertraute Menschen dabei. So tollten sie auch gleich unbekümmert bei mir über den Rasen.
Meine Hunde, Ylva und Lille, waren entsetzt.
Ylva dachte wohl: „Das ist jetzt nicht ihr Ernst!?!“
Lillebror hingegen, der mit seinen fast zwei bei fremden Rüden schon den Dicken macht, fand diese kleinen unbekümmert forschen Dinger so was von gruselig. Grummelte mit eingekniffenem Schwanz um immer aus dem Weg zu springen, als würden die ihm gleich in die Füße hapsen.



Doch es lag noch eine weite Strecke vor uns, alle eingeladen, auf geht’s.


Ja, die Lütten mussten einen Moment weinen. Aber nicht lange, dann waren sie ruhig.
Alle zwei Stunden machte ich Rast, dabei suchte ich einen Platz wo möglichst kein anderes Auto fuhr und ich wenn, es rechtzeitig sah.
Und es war echt irre!
Nicht nur waren die drei ohne jede Angst. Nein, sie banden sich auch sofort an mich. Eine Leine war gar nicht nötig.
Interessant fand ich dabei, dass sie sich eben mich aussuchten, nicht etwa Ylva oder Lille.
Typisch Hunde eben, der Mensch ist das wichtige.

meine Reisekatze findest das mit den Welpen noch fürchterlicher als meine Hunde

Verweilte ich etwas an einem Ort fingen sie an das drum herum zu erkunden, mit einander zu spielen, Kontakt mit meinen Hunden zu suchen, immer wieder unterbrochen mit der Rückkehr zu mir, auf mein Schoß zu krabbeln, zu kuscheln oder zu beißeln.
Waren sie so beschäftigt, musste ich sie nur rufen und sofort hatte ich ihre Aufmerksamkeit, kamen sie angewatzt.


Die Welpen waren mir nüchtern übergeben worden, aber natürlich hält das so ein Zwerg nicht den Tag durch. So gab ich ihnen etwas Trockenfutter in die Box und bei jeder Rast gab es Wasser.
Und tatsächlich, 500 Kilometer, ohne das einer gespuckt oder sich sonst wie ins Auto entleert hätte.
Am Nachmittag konnten die glücklichen Neuwelpenbesitzer ihre kleinen Lieblinge bei mir abholen und in ihr neues Leben führen.
Die Welpen haben mich wirklich beeindruckt.
Und doch bin ich froh, das Lille gerade zwei und Ylva erst sechs wird.
Ich hoffe sehr, dass sie mir noch lange erhalten bleiben!
Und nicht nur, weil mir so ein süßer Pups gerade zu anstrengend wäre.

Lille und Ylva tun ihren Job, ihr Hobby, ihre Leidenschaft, Oktober 2017
 

Montag, 6. November 2017

Gipsy

01.03.1995 – 06.11.2008

   
Nachruf auf den ersten Hund 

Einige von Euch werden dies schon kennen. Als Gipsy 2008 im Alter von 13 Jahren starb, schickte ich sie mit diesem Bericht über die Regenbogenbrücke im Borders-Forum. Dem damals heißesten Treffpunkt für Hütehundinteressierte, offen auch für Altdeutsche Hütehunde.
Nun, neun Jahre später, gehört Gipsy weiter zu meinem Leben und so meine ich, dass ich auch hier von ihr erzählen möchte.

Seit meiner frühesten Kindheit war mein größter Wunsch ein eigener Hund. Aber selbst als die Erfüllung möglich gewesen wäre, verkniff ich ihn mir. Schon lange wusste ich, dass ich Schäferin werden wollte und viele Betriebe nehmen dich Unerfahrenen nicht mit eigenem Hund.
In der Lehre lernte ich erst mal mit erfahrenen Althunden Hüten. Als es dann hieß, die nächste läufige Hündin wird belegt und ich bekomme einen Welpen, war meine Aufregung ins unermessliche gestiegen.
Ich träumte davon mir aus einem Wurf meinen Hund auszusuchen, am liebsten eine schwarze, zottige Strobelhündin mit etwas weiß.
Ja, und dann wurde bis Januar keine der Hündinnen läufig, nun alle auf einmal. Jetzt war ein Decken unmöglich, da die Welpen in der Hauptreisezeit, in der jeder Hund arbeiten mußte, kommen würden.
Mitte Juni fand sich dann eine bereits 10 Wochen alte Tigerhündin aus einer befreundeten Schäferei. Sie hieß Gipsy, nach ihrer Ururgroßmutter und der Jimi Hendrix Verehrung ihres Züchters.
Nichts war wie ich es mir in meinen Träumen ausgemalt hatte. Gipsy war kurzhaarig, braun-dunkelbraun getigert mit weiß und stehohrig. Ich war verliebt.
Ein kleiner frecher Teufel und blitzgescheit dazu.

Gipsy, 4 Monate, Anna, 19 Jahre
Gipsy wuchs zu einer fröhlichen, überschäumenden Junghündin heran, liebevoll genannt Gräte Rübennase (Gräte wegen ihrer langen Grätenbeine).

Gräte Rübennase

Sie war begeistert an den Schafen und lernte manches mal schneller als ich.
Als ich ihr das Springen zeigte, sprang sie beim Zaunumbauen einfach aus Freude immer wieder hin und her.

Dannewerk, Herbst 1995, Gipsy beginnt die Schafsfront zu wehren. Auf der Außenseite läuft der Haupthund

Dosenmoor, Sommer 1996, Gipsy auf der Außenseite, zu erkennen an ihren spitzen Ohren

Beim Laufen lassen der Betriebshunde, rumpste sie absichtlich gegen die Leithündin, um dann schon weit weg zu sein, wenn diese knurrend nach dem Übeltäter Ausschau hielt.
Solch Schabernack machte Gipsy einfach Spaß, ohne dass sie je Interesse an der Führungsposition im Hunderudel hatte.

Schafsberg, Winter 1996, das Hütehunderudel: Border Collie "Racki", Altdeutsche Hütehunde "Gipsy", Gelbbacke "Biene" und deren Mutter Tiger "Fanny"

Als Gipsy etwas über ein Jahr war, meldete mich mein Meister zum Frauenleistungshüten bei Harald Höfel auf dem Heuberg an. Zu dem Zeitpunkt lief Gipsy noch nicht die Außenseite und Stand auch noch nicht auf Entfernung, das motivierte.

Gipsy an der Ecke...

...stehen bis zum Schluß

und gucken ob nicht noch irgendwo ein Tier im Graben hängt

Drei Monate später schafften wir dann tatsächlich als zwei Lehrlinge unter all den Schäferinnen den zweiten Platz und Gipsy beeindruckte besonders durch den sichtlichen Spaß den sie bei der Sache hatte.
Leistungshüten bei Harald Höfele auf dem Heuberg 1996, Auszug aus dem Engen Gehüt

Gipsy hat sichtlich Spaß

Preisverleihung, 2. Platz



Zwei Jahre später dann wurden wir sogar erster.

1998, Heuberghüten

Nach der Lehre gings erstmal für zwei Monate mit Freundin im Auto durch die USA. Die Amerikaner bewunderten Gipsy für ihre freundliche, ruhige Art und ihren gehorsam, denn Hundeerziehung schien da weitestgehend ein Fremdwort.
Gipsy passte auf uns auf, besonders Nachts, wenn wir im Auto übernachteten.
Sie lief sich am Grand Canyon die Pfoten wund, badete im Pazifik, spazierte durch das nicht mit Worten zu beschreibend schöne Montana und sah die Niagarafälle.

Texas 1997

Pazifik, Trinidat


einmal um die Welt!

Grand Canyon

Washington State, Wild Horses monument, wir rennen mit



Zurück im Schäferalltag wandelten wir eine reine Koppelherde in eine Hüteherde.

1998

Gipsy arbeitete mit sehr viel Überblick.

1999, Dummersdorfer Ufer, Gipsy auf der Außenseite
 
Eine Grenze bei starkem Schafsdruck zu halten, war nicht ihre Stärke, da gab sie schonmal nach.
Von Ziegen ließ sie sich aber nie einschüchtern, im Gegenteil, sie geierte nach ihnen und diese sonst so frechen Biester waren ihr gegenüber Lammfromm.
 
Gipsys große Leidenschaft war die Sortieranlage, dort arbeitete sie Druckstark auf engstem Raum.
Auch die Schafe im Winter aus dem Stall zu treiben, damit wir einfüttern konnten, gehörte zu ihren Spezialitäten. Da konnte das Mutterschaf noch so renitent sein, sie bewegte es und wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen an das danebenstehende Lamm zu gehen.

Schafsberg 1999, Schafe mit kleinen Lämmern aus dem Stall treiben zum Einfüttern




Beim Wiederreinlassen in den, mit Hafer eingefütterten, Stall hielt sie die Schafe bis direkt vors Tor und sicherte dann ihre Torseite, so dass sich kein Schaf am Eingang drückte.


Ihr zweiter Spitzname war Hühnerretze. Zu dem kam sie, weil sie zu gerne ganz entspannt an einer Gruppe scharrender Hühner auf dem Hof vorbeilief, um dann plötzlich mitten hinein zu springen. Da stand sie dann lachend, das aufgeregt gackernde Spektakel beobachtend.

Ihre große Liebe unter den Hunden war der Border Collie Racki des Schäferkollegen. Die beiden waren immer zusammen, außer wenn Gipsy Heiß war und sie erlaubte auch keinem anderen Hund das Spielen mit Racki. Noch Jahre später freute sie sich über jeden schwarz-weißen kleineren Hund und blickte sich suchend um, wenn man „Racki“ sagte.

Gipsy, Katze Smilla, Border Collie Racki

Als meine Katze nicht genug für ihre Babys hatte, sprang Gipsy ein, bildete Milch aus und übernahm die Pflege.

1997 Gipsy übernimmt Smillas Babys


Gedeckt wurde sie von einem gelbbackigen Strobel.

1995, Gipsy und Strobel Schorsch, beide 9 Monate alt

Mit dem hatte sie zuvor auf der Grünen Woche in Berlin in gemeinsamen Hütevorführungen die vom Aussterben bedrohten Tierarten des Jahres 1998, die Weiße Gehörnte Heidschnucke und den Altdeutschen Hütehund, repräsentiert.

1998. Berlin, Grüne Woche




Gipsy war Fremden gegenüber sehr zurückhaltend. Sie ließ sich zwar streicheln, zeigte aber in all ihrem Ausdruck, dass sie das nicht wollte. In jüngeren Jahren versuchte sie, die Leute auch gerne nach solch einer Streichelattacke von hinten zu knapsen.
Manch einen Praktikanten und auch meinen angehenden Mann trieb sie zur Weißglut, wenn sie einfach ihren Schuh durchzog. Ich sehe sie noch, wie die Praktikantin vor ihr steht und sie ausschimpft. Und Gipsy lacht sie aus, mit diesem typischen Grinsen im Gesicht und dazu ein Jaulen, dass jeder verstand.
Mochte sie jemanden, dann gab sie gönnerhaft ihre Aufmerksamkeit. Begrüßte durch ihr einzigartiges Heulen und sich auf den Rücken legend forderte sie zum Bauchkraulen auf. Wirklich jeder, der ihre Gunst besaß, fühlte sich dadurch geehrt.


Einmal hatte die ranghöchste Betriebshündin Biene sich einen verbotenen Knochen geklaut. Ich war so doof, und packte die Hündin am Nacken, damit sie ihre Beute wieder freigab. Diese ließ den Knochen fahren und ging auf mich los, zerbiß meine Hose und dann war Gipsy da, stellte sich dazwischen und wehrte ihre wütende Chefin von mir ab.

mit Biene

Überhaupt waren Gipsy und ich uns lange so nahe, dass ich mir ein Leben ohne sie kaum vorstellen konnte.
Sie war immer an meiner Seite, ob privat oder beruflich.

1999, Flaschenlamm Mowgli gehört dazu
 
Sie konnte auf jede Party mit, lief auf dem Bürgersteig, während ich mit dem Fahrrad auf der Straße fuhr, stand auf Zuruf.
Mit sieben Jahren bekam sie noch ein zweites mal Welpen, fast gleichzeitig mit meinem ersten Kind.

2002 nochmal Mama

Und dann ereilte mich das was jeden Hundefreund ereilt.
Die üble Erkenntnis, dass ein Hundeleben so viel, viel kürzer ist, als das eigene.
Ich selbst war noch mitten in meinem Muttersein, als sie schon alte Oma wurde.
Mit zehn Jahren machte sie mir auf die gleiche Weise, wie sie mir schon immer ihren Willen deutlich gemacht hatte, klar, dass sie ihr Leben nun lieber bei ihrer Urlaubsbetreuung weiter leben wollte.
Kein lärmendes Kinder-jüngere-Hunde-und-gestreßte-Eltern-Haus mehr.
Sondern Ruhe als Einzelhund bei älteren Leuten, mit gemütlichen Spaziergängen, einem eigenen Bett, Sofortbeschmusung nach Aufforderung, Spezialernährung und Leberwurstbrot.
Ich konnte es ja verstehen und sie war nicht aus der Welt.

Gipsy mit zwei Kindern, Benne und Bode

Dort lebte Gipsy die letzten dreieinhalb Jahre ein ruhiges beschauliches altengerechtes Leben, das letzte halbe Jahr an allen Beinen und dem Rücken vergoldet.


Nun, mit 13,5 Jahren, ging es ihr letzte Woche plötzlich schlechter, sie erbrach sich, war schlapp, es wurde Magenverstimmung vermutet und mehrere Tierärzte konsultiert.
In der Tierklinik diagnostizierten sie Gebärmutterentzündung, meinten aber auch gleich, dass man sich die OP gut überlegen sollte, denn es sei unwahrscheinlich das der Hund diese überlebte.

An ihrem letzten Abend war ich zum Verabschieden.
Gipsy wirkte ganz entspannt, obwohl sie bereits nicht mehr auf die Beine kam. Etwas stresste sie meine Anwesenheit und die viele Besorgnis die im Raum hing. Zwischen ihrem wegdösen warf sie immer wieder besorgte Blicke zu ihrem jetzigen Frauchen.
Alle hofften wir, dass sie in der Nacht alleine den Weg finden würde.
Aber nun kam doch die Tierärztin zu ihr nach Hause.
Ich war nicht dabei, ich wollte nicht noch mehr Aufregung in diesen Raum bringen.

Und nun weiß ich nicht!
Ich dachte, dadurch das sie so lange wo anders gelebt hatte wäre es leichter...

Jetzt sehe ich sie, wie sie da über die Regenbogenbrücke neben meinem Schwiegervater her marschiert. Er langsam und bedächtig mit der Leckerlitasche in der Hand. Aus dieser wird sie genau zehn bekommen, da wir sonst vielleicht Mecker nach oben schicken. Sie geht neben ihm, mit durchhängender Leine, ihre goldenen Augen auf sein Gesicht geheftet, den Schwanz hoch erhoben, sich selbst bremsend, um auf seine alten Schritte Rücksicht zu nehmen.

Ich wünsche ihnen viel Spaß!“

Neun Jahre ist das her und es treibt mir die Tränen in die Augen das zu lesen. Dabei ist die Trauer längst vorbei, auch die Erinnerung an die alte Gipsy. Nun ist sie wieder jung, so jung wie ich damals war.


Sie gehört untrennbar zu meiner Jugend.
Vorbei ist die Zeit, dass ich einen Nachfolger für Gipsy suche. Jeder Abkömmling von ihr bleibt genau das, ein Abkömmling. Ich kann Dinge von ihr in ihnen sehen, mich daran erfreuen, aber es ist nicht sie.
Es gibt viele Nachkommen von ihr, manche sind grandiose Hütehunde geworden, andere grandiose Familienhunde.
Gipsys Platz an meiner Seite haben nun Ylva und Lille.
Lille ist tatsächlich um viele Ecken mit ihr verwandt, ein kurzhaariger Tiger.
Und doch hat er wenig Ähnlichkeiten mit seiner Urahnin, besetzt einen anderen Platz in meinem Herzen.


Gipsy und ich.
Forever young.