Donnerstag, 19. Januar 2017

Heute kein Hüten

Dezember 2016

Landschaftspflege für die Stadt.
Es ist toll, wenn Gemeinden die Nachhaltigkeit von Pflege durch Schafe erkennen und diese nutzen.
Manchmal sind dann aber auch Flächen dabei, die für die Schäferei einen extremen Mehraufwand bedeuten.
Wie diese kleine Rheininsel, durch Sportanlagen und parkähnliche Landschaft stark von Besuchern frequentiert. Dazu Bäumchen und Büsche, zum Teil frisch angepflanzt, die natürlich auf keinen Fall beschädigt werden dürfen. Beweidet soll es trotzdem werden.
Da sie mitten in der Großstadt liegt, ist ein „eben mal mit der Herde mitnehmen“ nicht möglich. So ist der Plan zwei Hängerladungen Schafe hin zu fahren, länger als zwei Wochen sollen sie da auch nicht bleiben.
Morgens bepacke ich den Land Rover mit Zäunen, Batterie, Gerät, koppel den doppelstöckigen, dreiachsigen Ifor Williams Hänger an und fahre zur Herde.
Diese steht in einem Waldtal auf einer großen Mähwiese. Es ist einfachstes Hüten, so ist heute die Auszubildende dran.

Die Herde im Waldtal

Aber erstmal wollen wir den Hänger voll bekommen.
Der Plan klingt einfach, ich ziehe die Herde an die ausgeklappte Rampe, der Hund hält die Schafe da, wenn genügend Tiere rauf gelaufen sind, Klappe zu und ab dafür.
So der Plan.
Erste Schwierigkeit, es gibt in der Herde ein paar Mutterschafe mit ganz frischen Lämmern. Nicht ganz geplant, aber auch nicht unerwünscht. Mütter mit Zwillingen kommen Heim, Einzellämmer, sind sie denn fit, bleiben draußen.

gerade geboren, fittes Lamm, Mutter kümmert sich gut
 
Nun hat sich meine Altdeutsche Hütehündin Ylva von der Arbeit an Merinolandschafen gemerkt, Mütter mit neugeborenen Lämmern sind gefährlich. Die kommen aus der Herde raus und greifen einen an. Denen kommt man besser gar nicht erst zu nah, muss sie immer im Auge behalten und kann sich deswegen unmöglich auf vernünftiges Arbeiten konzentrieren. Erst recht nicht so eine Aufgabe, wie selbstständig ohne die Sicherheit der Schäferin Schafe an einem Hänger zu halten.
Auch, wenn die paar Mütter gar nichts machen, außer bei ihrem Lamm stehen zu bleiben.
Wir dagegen an der Hängerrampe haben ganz andere Probleme. Zwar laufen einige Schafe brav rauf. Sie kennen das ja. Aber dann wollen auch die Ziegen. Nicht nur, dass ich die nicht mit haben möchte. Sie verhalten sich, wie man die Lumpen halt so kennt, bleiben oben auf der Rampe stehen, verhauen alles, was auch noch hoch will.
Also alles in allem ein ziemlicher Krampf.
Ich stehe oben auf der Rampe, verhindere das Flüchten derer die schon oben sind, verjage Ziegen und die Auszubildende versucht von unten Schafe hoch zu schieben, während die Herde zu weitläufig um den Hänger steht, weil kein Hund die Arbeit tut.
Fluch und Schwitz!
So voll wie wir wollen, bekommen wir die obere Etage nicht.
Die untere ist einfacher, da laufen die Schafe lieber rein, außerdem können wir über das Seitentürchen noch Tiere nachladen bis ganz voll ist.
Endlich ist es geschafft, Klappen zu und los geht es.
Quer durch die große Stadt.
Mit Land Rover und riesen Hänger.
Das find ich immer recht vergnüglich.
Durch die lebende Fracht muss ich sehr vorsichtig fahren, nicht abrupt Bremsen und nehme viel Raum auf den Straßen ein.
Andere Verkehrsteilnehmer reagieren darauf erstaunlich positiv.
Wo sonst das Recht des stärkeren herrscht, gibt es diese Frage nun nicht.
Der stärkere bin ich.
Und sie nehmen alle Rücksicht, lassen mich rein, lassen mir die Vorfahrt.
Warum das so ist?
Wo ich es doch im sonstigen Fahralltag oft anders erlebe.
Vielleicht, weil es bei den Städtern eine gewisse Wehmut weckt.
Wie viele von ihnen würden jetzt gerne ihr schickes, schnelles Auto, ihre Fahrt zum Büro, gegen eine abenteuerliche Fahrt im Defender tauschen?
Noch mehr belustigen mich andere Land Rover Fahrer.
Sie grüßen.
Dabei, also was hat diese alte, abgefuckte Schäferkarre mit ihrem glänzenden, um Jahre jüngeren, noch nie Dreck gesehenen, Auto zu tun?
Auch hier wohl wieder, der Traum.
Der Traum, den ich lebe.
Ja, ein gutes Gefühl.
Am Ziel angekommen baue ich acht Zäune auf, durch Büsche und Bäumchen krunkelig und schnörkelig. Lange haben sie da nicht.
Die Schäfchen, vom Hänger entlassen, fressen das kurzgemähte Grün, sind aber auch sehr unsicher. Ihnen fehlt die große Herde. Ja, nett wäre, die Flächen mit Schlachtlämmern zu pflegen, die aber sind für dieses Jahr schon alle weg.
In der kurzen Zeit in der ich dort bin, kommen Spaziergänger mit Hunden über Hunden vorbei. Zum Glück sind die Schafe verrückte Köter, auf der andren Seite des Zaunes, gewohnt.
Auch das Batteriegerät tut seine Pflicht, wie ich bei der Abfahrt noch Beobachten darf.
Der Hund wird sich in Zukunft hüten, Schafe zu hüten.

auf der Insel

Zurück geht es, quer durch die Stadt.
Mal bei den Anderen anrufen, wie weit sie mit ihrer Tour sind, ob sie mir vielleicht beim Laden helfen können.
Ja, sie können einen Schlenker über die Herde fahren.
Diesmal geht das Aufladen besser.
Die Auszubildende hält mit ihrem Hund die Herde am Hänger. Das Hundchen ist die Schwester von meinem Lillebror, ein Jahr alt und arbeitet schon mit viel Verstand.

Geschwister, Pira und Lillebror

 
Als ich schwer beladen wieder starte ist es kurz vor vier Uhr, Arbeitsschluss für den gemeinen Städter.
Zeit, um sich voll Begeisterung in den Feierabend, ach, ne, halt, Berufsverkehr zu stürzen.
Die Stadt ist dicht und es geht nur langsam voran.
Auf der Gegenspur, stadtauswärts, ist es noch schlimmer, da stehen die Autos.
Aus einer Seitenstraße von rechts will einer links abbiegen.
Vermutlich stand er da schon eine Weile, kam nicht raus. Nun beschließt er, einfach mal auf die große Vorfahrtstraße zu fahren, irgendwer wird ihn dann doch sicher nach links reinlassen.
Pustekuchen, natürlich nicht, er bleibt stehen.
Nur ich komme da gerade von oben. Schnell bin ich nicht und als er da raus fährt, quer auf meiner Fahrbahn stehen bleibt, gehe ich voll in die Eisen.
Aber ich hab den schwer geladenen Hänger dran, da ist der Bremsweg nun mal länger.
Ich schrei, fluche.
Der Hänger schiebt.
Hektisch schlage ich aufs Steuer, aber nein, der Defender hat die Hupe ja auf der Seite.
Genutzt hätte die eh nichts, wo soll der Quersteher auch hin?
Also Hände am Steuer lassen. Festhalten.
Ich rutsche.
Zwanzig Zentimeter vor dem Aufprall.
Auto und Hänger stehen.
Ich kurbel das Fenster runter, Brülle aus voller Lunge Beschimpfungen.
Der Opa, der gerade so entgangen ist, von einem Land Rover volle Breitseite zu bekommen, blickt nichts, hat nun aber eine Lücke um weiter zu fahren.
Natürlich, alle anderen Verkehrsteilnehmer sind starr vor Schreck, war doch deutlich zu sehen, was da gerade beinahe passiert wäre.
Ich bekomme einige beifällige Blicke und Gesten, einer fährt sogar sein Fenster runter um mir zu signalisieren, dass er gesehen hat, wie eng das war.
Ich stehe total unter Schock. Langsam fahre ich wieder an, zur nächsten Tankstelle.
Da stehe ich dann und bestaune meine zitternden Hände.
Erstmal Zuhause anrufen und das erlebte los werden.
Ungefähr zehn Minuten später will ich wieder starten.
Der Defender macht keinen Zucker.
Scheiße!
Nichts, nada, keine Reaktion.
Mein erster Gedanke, hab ich in dem ganzen Schreck vielleicht die Zündung angelassen, die Batterie ist alle?
Wieder telefoniert, ob jemand kommen kann, mich überbrücken?
Das Auto macht nichts mehr?
Nichts mehr.
Das ist nicht die Batterie, warte, ich komme.
Nun stehe ich also, mitten in der Großstadt an einer Tankstelle, 40 Schafe auf dem Hänger und keine funktionierende Zugmaschine.
Ja, der Land Rover macht nichts mehr, da helfen auch keine Tricks und kein Anschleppen.
Er ist und bleibt tot.
Was nun?
Ist er doch auch die einzige Zugmaschine im Betrieb.
So wird unser Land Rover Schrauber angerufen. Er kennt das Auto. Und uns.
Er kommt.
Und er hängt den Hänger an und wir beide ziehen die Schafe an ihren Bestimmungsort.
Land Rover Schrauber, ein Beruf aus Leidenschaft, nicht anders als Schäfer.
Die Geschichten sind spannend anzuhören, nur eins, nenne gegen über so jemandem einen Defender niemals Jeep.
Da sollte ich jetzt wohl nicht noch erwähnen, das das Rechtschreibprogramm meines PCs Rover anstreicht, Jeep aber nicht.
Nach dem die Schäfchen sicher bei den anderen abgesetzt sind werden ich und der Hänger noch nach Hause gefahren.
Super, vielen Dank dafür.
Als ich ins Haus komme ist es kurz vor acht Uhr.
Da kommt ein Anruf von der Polizei, ein Schaf ist draußen.
Wo ist das Schaf draußen? Es gibt mehr als eine Gruppe.
Auf der Insel in der Stadt.
Also gut, los geht’s, wir kommen.
Zu zweit fahren wir, wieder durch die ganze Stadt. Immerhin, die Leute sind nun größten teils Zuhause, wir kommen gut durch.
An der Straße zur Insel, bestimmt noch einen halben Kilometer von der Herde, steht ein Polizeiauto.
Wir fahren erstmal zu den Schafen. Batteriegerät schlägt, Schafe sind da. An einer Stelle sieht der Zaun aus, wie notdürftig und unerfahren wieder aufgebaut.
Aber kein einzelnes Schaf zu sehen.
Also gucken wir mal, warum die Polizei gestanden war.
Und da stehen sie.
Polizisten um ein einzelnes Schaf, durch blinkendes Blaulicht beleuchtet.
Das Schaf überlegt, wie es durchbrechen soll, nur weg, immer weiter weg.
Ich bin noch hundert Meter entfernt, rufe.
„Mäh, Ihr Schafe, mäh, Ihr Schafe.“
Bei dem Schaf gehen die Ohren hoch, der Kopf in meine Richtung.
Unsicher und zögernd, aber es läuft mir nach.
Bis zur Brücke auf die Insel.
Hier fällt ihm wieder ein, dass doch dort drüben irgendwas mit einem gefährlichen Hund war.
Von alleine würde ein Schaf nicht durch den Zaun brechen und so weit von seiner Herde weglaufen.
Das Schaf steht wie festbetoniert, da hilft mein Rufen auch nicht mehr.
Also gehe ich zu der kleinen Herde die mich schon freudig erwartet, öffne den Zaun und lasse sie heraus.
Vertrauensvoll folgen sie mir über die Brücke. Als das verlassene Schaf sie sieht macht es einen Freudenluftsprung und vereinigt sich mit seiner Herde.
Brav gehen sie mit mir zurück auf die Weide.
Schafe sind doch einfach das Beste!
Dass ich sie ohne Hund handeln konnte, liegt einfach daran, dass Schafe unglaublich sicherheitsbedürftig sind. In so einer Situation, dunkel, alles fremd, die große Herde fehlt, halten sie sich an dem was sie kennen und vertrauen.
Das bin ich und es gibt mir ein unglaublich warmes Gefühl.
Gute Nacht, Ihr Schafe!
Nun ist es bald zehn und der Defender steht immer noch auf einer Tankstelle mitten in der Stadt.
Und da muss er noch weg, zur Werkstatt, spätestens morgen Abend muss er wieder laufen.
Wie gut, dass der Schrauber Deines Vertrauens zur Not auch mal sein Wochenende drauf gibt.
Also auf zur Tankstelle.
Oh, oh, jetzt bin ich doch schon ganz schön müde.
Immerhin, es ist Dezember und die frische Luft hält wach.
Da nichts am Land Rover geht, auch keine Lüftung bleibt mir nur, um beschlagene Scheiben zu verhindern, das Fenster offen zu haben.
Wenigstens das Warnblinklicht funktioniert.
So hänge ich da hinten am Bus, eine Bremse die kaum tut, eine Lenkung bei der ich richtig zerren muss und dazu Sichtweite von zwei Metern.
Total entspannt!
Wow, bin ich froh, als der Tag vorbei ist.
Aber das schöne ist doch, irgendwann kommt man doch in sein Bett.
Oh, schläft es sich dann gut.
Und, dass am nächsten Morgen der nächste Hund Schafe aus dem Zaun gejagt hat, weiß man ja auch noch nicht.
Schlaft Gut, Träumt schön, wiegt Euch ein in Eure Lieblingsgeschichte.


Flächenpflege für die Stadt


3 Kommentare:

  1. Ich freue mich immer wieder aufs Neue auf deine Beiträge. Sie sind einfach so traumhaft und schön. In deinem Beitrag wurden die Probleme gezeigt und gleichzeitig die schönen Seiten mit den Schäfchen.

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