Da bekam ich im
Februar die Anfrage von Ruth, ob wir Anfang
März nach Paris fahren wollen, als Vertreterinnen des
Bundesverbandes Berufsschäfer.
Dort ist
der Salon International de l'Agrikulture, eine
Landwirtschaftsmesse, vergleichbar mit der Grünen Woche in Berlin.
Ursprünglich sollte
die offizielle Gründung des ESN (Europäisches Schäfernetzwerk)
erfolgen, also die Rechtsform
festgelegt werden. Da das aber eine schwierige Angelegenheit ist,
findet nun ein Vorbereitungstreffen statt.
Paris?!!!
Französische
Schäfer treffen?!!!
Hab ich Lust?
Was für eine Frage!
Natürlich.
Jaaaaa!
Hab ich Zeit?
Nein.
Kann ich
französisch?
Nein.
Will ich trotzdem?
Unbedingt.
Also ging ich ans
Organisieren.
Es ist am Ende
meiner Arbeitszeit, genau in der Kinderzeit.
Kinder befragt und
zur Antwort bekommen: „Paris! Mama, das ist eine einmalige Chance.
Das musst Du machen. Geh auch auf den Eiffelturm!“
Mit diesem rührenden
Segen die Betreuung organisiert.
Nun noch die Hunde.
Die kann ich dann
netter Weise der Auszubildenden im Betrieb aufs Auge drücken.
Danke dafür!
Alles geregelt!
Ist das zu fassen!
Paris!
Ich komme!
Mit leichtem Gepäck
starte ich von Wiesbaden nach Paris Est.
Viereinhalb Stunden
fahrt, die ich in tiefem, angenehmem Schlummer verbringe.
Kein Schafefüttern
heute.
Angekommen begrüßt
mich Ruth am Bahnsteig.
Zwanzig Jahre haben
wir uns nicht mehr gesehen und sind doch kaum älter geworden.
Die Metro bringt uns
zum Hotel.
Hotel?
Hier in diesem
Hinterhof?
Kein Schild, kein
Name, nichts.
Aber der Zettel
besagt, dass es im zweiten Stock ist.
Also gehen wir
hinauf.
Ein altes, breites
Treppenhaus.
Der zweite Stock.
Links und rechts
eine Tür und immer noch keine Schilder, oder sonst ein Anzeichen.
Zaghaft auf einen
Schalter neben der Tür gedrückt.
Die andere Tür geht
auf. Eine schlicht, aber edel gekleidete Dame mit Rassekatze auf dem
Arm schaut uns fragend an.
Wir erklären was
wir suchen.
Und tatsächlich,
wir sind richtig!
Das gebuchte Hotel
erweist sich als Privatunterkunft.
Die Dame vermietet
den Trakt ihrer Wohnung, in dem früher die Kinder wohnten.
Wow! Was für eine
Unterkunft!
Alt und edel,
Leinenwäsche, Blick auf grüne Dachterrasse und Pariser Hinterhöfe.
Die Dame zeigt uns
alles, selbstverständlich für mich ins Englisch wechselnd.
Ich fühle mich so
wohl, könnte gleich schlafen gehen.
Aber nein! Wir
wollen doch noch was sehen!
Auf geht’s!
In zehn Minuten sind
wir am Notre Dame.
Der wird besichtigt und dann wandern wir an der
Seine entlang zum Eiffelturm.
Was für eine Stadt!
Wunderschön!
Es fängt an zu
regnen.
Das kümmert uns
Schäferinnen natürlich wenig.
Zwanzig Jahre gilt
es nachzuholen und während der Gespräche können die Augen sich gar
nicht an der Umgebung satt sehen.
Alle Vorurteile die
ich hatte, versenke ich munter und gerne in der Seine.
Paris mag riesig
sein, aber so zu Fuß wirkt es sehr überschaubar. Nirgends die
erwarteten Menschenmassen, nicht am Bahnhof, nicht in der Metro und
auch nicht unter dem Eiffelturm.
Der Eiffelturm.
Ich stehe unter dem
Eiffelturm!
Er ist so
beeindruckend!
Was für ein
unglaubliches und schönes Gebilde.
Nur hoch gehen wir
nicht. Nassgeregnet wie wir sind.
Von da oben sieht
man bei dem Wetter eh nichts.
Wir Schäfer wissen
auch wann gut ist.
Da steigen wir doch
lieber in den Bus, fahren zurück und gehen leckere Crêpe und Wein
genießen.
Danach geht’s früh
zu Bett, morgen wird’s sicher anstrengend. Leinenbettwäsche und
offenes Fenster, von wegen Stadtlärm, ich schlafe wie ein Stein.
Pünktlich bekommen
wir ein Frühstück mit frischem Obst, Tee, Baguette und Croissant
kredenzt.
Essen wie Gott in
Frankreich.
Zur Agrikulture geht
es wieder mit der Metro.
Wir finden uns
erstaunlich gut zurecht.
Die Pariser sind im
Kontakt freundlich, hilfsbereit und das meist auch in englisch.
Erstaunlich finde
ich die Kleidung. Die Stadt der Mode und der Liebe trägt schwarz.
Alle, vom Clochard bis zur Haute Couture trägt schwarz.
Nein, nicht alle.
Aber lass uns mal
hier im Wagen durchzählen.
Okay, 90 Prozent.
Schon Krass.
Wir sind dagegen
bunte Vögel. Oder Schafe?
Salon International
de l'agrikulture.
Davor viele
Menschen, die durch die Sicherheitskontrollen müssen.
Wir telefonieren,
werden gleich abgeholt. So haben wir etwas Zeit, dem Treiben
zuzusehen. Kleider-, Taschen-, und Kartenkontrolle. Dazu bewaffnetes
Sicherheitspersonal.
Die Anschläge.
Nun erst kommen sie
mir in den Sinn, erklären das hier.
Ich hatte
tatsächlich nicht einmal daran gedacht und auch jetzt fällt es mir
schwer, diesen Schrecken mit dem hier und jetzt in Paris in
Verbindung zu bringen. Das ist doch etwas, was so weit weg ist. Muss
ich das jetzt greifen?
Nein.
Es würde ja nichts
ändern.
Angst verbessert
nichts.
Und dann werden wir
auch schon abgeholt.
Rein geht es auf die
Agrikulture, die mich so sehr an die Grüne Woche in Berlin erinnert.
Die Unterschiede sind, dass die Menschenmassen sich nicht so doll
schieben, dass man für die Probehäppchen nicht auch noch bezahlen
muss und dass viel mehr Schäfer mit ihren Produkten und Tieren
werben.
So viele
Schafrassen.
Einige kenne ich,
wie die auch bei uns zum Kreuzen beliebten Ile De france oder das ach
so gruselig wunderschöne Charmoise. Aber von anderen habe ich noch
nie gehört, geschweige denn gesehen. Und Käse, so viel Käse. Dafür
gebe ich begeistert das meiste Geld aus.
Da stehe ich an
einem Stand und frage nach cheese und hinten in meinem Kopf sagt es
fromage. Einerseits kein Wunder, den Käse hier cheese zu nenne, ist
eigentlich beleidigend.
Oh, dieser fromage!
Aber tatsächlich,
meine vier Jahre Schulfranzösisch fangen sich an zu rühren. Nicht,
dass es mir jetzt hilft, aber ich denke mit etwas mehr Zeit würde es
doch wieder kommen.
So bin ich froh,
dass die meisten für mich auf Englisch umschwenken. Sich mit einem
französischen Schäfer in englisch über Klauenprobleme auf feuchten
Böden zu unterhalten, ein Abenteuer.
Einige können auch
deutsch und ich bin einfach dankbar über so viel entgegenkommen und
Interesse.
In der eigentlichen
Gesprächsrunde sind wir die einzigen Frauen, noch dazu nicht in
schwarz oder Anzug. Aber keiner zeigt sich erstaunt, von Deutschland
wird nichts anderes erwartet, immerhin haben wir ja eine Frau als
Kanzler und dazu unsere Willkommenskultur. Gerade auf letztere werden
wir öfter dankend angesprochen.
Mit diesem positiven
deutschen Ruf im Ausland hatte ich nicht gerechnet und bin berührt.
Die Gespräche sind
in französisch. Da kann ich nur dabei sitzen. Gut das Ruth fliesend
Französisch spricht. Und so nehme ich mir jetzt etwas Zeit, den
eigentlichen Grund unserer Reise zu erklären.
Alles, was uns als
Schäfer heutzutage betrifft, die ganze Gesetzgebung, kommt von der
Europäischen Union aus Brüssel.
Brüssel trifft
Entscheidungen die unser Leben direkt betreffen, uns den Beruf oft
schwer machen, sogar zur Betriebsaufgabe zwingen können.
Wir schimpfen,
jammern und zetern, finden aber kein Gehör.
Selbst, wenn wir an
unsere deutschen Politiker heran treten, kommt:
Sie können nichts
tun, das ist Europa.
Aber weiß Brüssel
von unseren Problemen mit ihrer Gesetzgebung?
Nein.
Es ist schlicht
niemand in Brüssel, der in unserem Schäferinteresse spricht.
Wir
wollen dem ESN (Europäisches Schäfernetzwerk) eine Rechtsform
geben.
Eine Schäferstimme
in Europa.
Die Schwierigkeiten
bei der Umsetzung sind enorm, auch wenn wir alle die gleichen
Interessen haben. Schon alleine die sprachlichen Barrieren. Dann sind
wir alle Tierhalter, was wissen wir von Rechtsformen usw.?
Wir in Deutschland
haben immerhin den VDL und den Bundesverband der Berufsschäfer.
In Frankreich sind
sie in Rasseverbände und innerhalb der Departements organisiert,
eine Dachorganisation? Fehlanzeige.
Italien
teilt sich in Nord und Süd. Noch keine Zusammenarbeit da.
Korsika
macht sowieso sein eigenes Ding.
Und für alle trifft
Brüssel allgemeine, für alle gültige Entscheidungen.
Schon unglaublich!
Nun sitzt man hier
zusammen, plant das zu ändern, eine Stimme zu schaffen.
Da sitzt der von den
Rindern mit am Tisch. Oh, dass wird den Schäfern Zuhause nicht
gefallen. Wir hier in Deutschland sehen die Rinderleute eher bei den
Schweinen, weit weg von uns Schäfern. Das ist in Frankreich anders,
Schafe und Rinder sind nahe beieinander, werden beide oft noch in
Transhumnazsystemen gehalten.
Müssten wir jetzt
sagen, wir wollen nicht, dass sie mitmachen? Wird es Zuhause dafür
Mecker geben?
Wir haben doch in
diesem Fall alle die gleichen Probleme, die gleichen Interessen.
Sei es mit der
Kennzeichnungspflicht, dem Dokumentierungswahn, dem Wolf, den
Pflegeverträgen usw.
Und die Rinderleute
sind viele, eine große Lobby.
Es werden viele
Punkte besprochen und geplant. Definitiv soll die Rechtsform des ESN
dieses Jahr noch erfolgen. Im September in Saint-Flour, in
Zentralfrankreich bei der europäischen Woche.
Am Abend bekommen
wir eine kleine Stadtführung, Champs Elysees, Arc de Triomphe,
Louvre und leckeres Essen.
Den nächsten morgen
packen wir zusammen, bedanken uns bei unserer Gastgeberin und fahren nochmals zur Messe.
Heute hat sich hoher
Besuch von der FAO
(Welternährungsorganisation) angesagt, es wird groß aufgefahren.
Ein eigener Bereich für die VIP-Gäste wird abgeteilt, regionale
Tierprodukte und Wein werden aufgetragen und wir mitten drin.
Der Mensch von der
FAO ist wichtig, ihn wollen
wir ansprechen.
Der Mann, ein
Spanier, ist die große Überraschung.
Er steht voll auf
unserer Seite, ist begeisterter und überzeugter von der Sache als
selbst wir. Er macht uns nochmal deutlich, wie wichtig es ist, sich
zusammen zu tun, sich zu organisieren, mit einer Stimme zu sprechen.
Wie soll sich
irgendwer in Europa für unsere Interessen stark machen, wenn sie
nichts von diesen wissen?
Wirtschaftsunternehmen
haben extra Leute dafür abgestellt, die nichts anderes machen, als
in Brüssel für ihre Belange zu sorgen.
Und wenn da keiner
ist, der was dagegen setzt?
Wir müssen dort
sein!
Wir müssen sagen,
das wollen wir! Ich spreche hier für so und so viele 1000 Schäfer
oder Transhumanzler in ganz Europa!
Und dann ruft unser
Zug. Wir müssen uns verabschieden.
Vielen Dank für
alles!
Voll von Eindrücken,
Ideen und Hoffnungen geht es Heim nach Deutschland.
Jetzt möchte ich
meine Schäferkollegen, und überhaupt alle Schafhalter, ansprechen.
Unsere Stimme in
Europa ist so wichtig!!!
Ohne uns geschieht
nichts für unsere Interessen.
Wir müssen aktiv
werden!
Ich weiß:
Was denn noch alles?
Bei all der Arbeit
in den Betrieben.
Aber es gibt die
Möglichkeit dem Bundesverband Berufsschäfer beizutreten.
Unterstützt die,
die aktiv für uns Kämpfen.
Ich weiß,
eigentlich sollten die sich doch mit den anderen einigen und
eigentlich gehören die doch zu denen und überhaupt, dem seine Nase
kann ich überhaupt nicht leiden.
Wir Schäfer sind
Charakterköpfe, allesamt.
Aber das
interessiert Europa einen feuchten Scheiß!
Da zählt unsere
gemeinsame Stimme!
Da haben wir ein
großes gemeinsames Interesse!
Also lasst es uns
angehen!!
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