Dienstag, 16. Oktober 2018

Herdenschutzhunde in der Hüteschäferei

Nun war es so weit, mein nächster Arbeitseinsatz führte in einer Schäferei mit Herdenschutzhunden (HSH). Das erste Mal, dass ich mit HSH im Herdeneinsatz Berührung haben sollte.


Doch bevor ich dazu komme, schweife ich etwas ab.
Durch die uneingeschränkte Ausbreitung des Wolfes in Deutschland, werden in den Betrieben immer mehr Herdenschutzhunde, auch Hirtenhunde genannt, eingesetzt. Dafür werden unterschiedliche Rassen genutzt: Pyrenäenberghunde, Kangal, Maremmano-Abruzzese, Akbash, Kaukasische Owtscharka, mazedonische Šarplaninac usw.
Gemeinsam ist diesen Hirtenhundrassen allen, dass sie in ihrem Ursprung nicht aus Deutschland kommen.
Weshalb gibt es denn eigentlich keine deutsche Herdenschutzhunderasse?
Ja, wieso eigentlich nicht?
Dahin möchte ich nun ausschweifen.
Mit dem ausbreiten des Ackerbaus auf alle Flächen, die bestellt werden können, wurden weidende Herden weltweit in ärmere Regionen zurückgedrängt. Hier konnten die Tiere, ohne Schaden an der Flur anzurichten, weiden. Begleitet wurden sie von Hirten und Herdenschutzhunden, ab und an auch noch Treibhunden.
In Deutschland, weltweit einmalig, ging die Entwicklung in eine andere Richtung. Schäferei und Ackerbau koexistierten. Die Herden wurden auf kleinsten Parzellen in direkter Nachbarschaft zu verbotenen Ackerfrüchten gehütet. Zwischen diesen Parzellen zog man auf schmalen Wegen durchs Feld. Ab Herbst wurden die Äcker und Wiesen der Bauern nachgehütet. Davon profitierten Schäfer und Landwirt gleichermaßen.
Möglich war dies nur durch die Hütehunde.
Der Altdeutsche Hütehund und der sich daraus entwickelnde Deutsche Schäferhund.
Diese trieben nicht nur Schafe, hielten sie nicht nur zusammen. Sie hielten sie von angrenzenden Flächen fern. Hart und unerbittlich, wenn es auf den Wegen durchs Feld ging. Mit viel Gespür für Fressverhalten, Druckpunkt, Bewegung der Schafe auf den Futterflächen.
Hüte- Wanderschäferei.
Und die Hunde hüteten nicht nur, sie übernahmen den Schutz gleich mit.
Der Schäfer schlief entweder mit draußen im Schäferwagen oder er ließ zumindest die Hunde draußen angebunden oder, wenn er schafsicher war, auch frei. Es waren große, gefährliche Hunde. Denen näherte man sich nicht so einfach.
Bei den Leistungshüten des Verein für Deutsche Schäferhunde wird heute noch die Schutzbereitschaft getestet, wobei das mit der Zeit auch meist über den Beutetrieb funktioniert.
Die Hütehunde behielten ihre Gefährlichkeit noch lange, nach dem der letzte Wolf aus Deutschland verschwand.
Sie gab es noch in meiner Kindheit.
So habe ich sie selbst noch erlebt.
Auch brauche ich nur Zuhause oder auf einem Leistungshüten fragen, und ich bekomme Geschichten über Geschichten.
Große, schwere, mannscharfe Hunde, bei denen auch immer mal wieder zu wenig Hütetrieb vorhanden war, die gingen dann an einen Bauern.
Geschichten, wie die von dem Schäfer, der immer einen schafsicheren Hund frei vor dem Pferch gelassen hatte, den anderen nur an einer Heuschnur fest, damit er sich los riss, sollte was sein. Bis sie dann den falschen abgegriffen hatten.
Oder Greif, ein Altdeutscher Tiger mit Glasauge, bei uns im Betrieb. Als der Schäfer die Hütehunden in der Hauskoppel laufen ließ und jemand dachte, er könne einfach dazu laufen. Greif biss ohne zögern in die Männerbrust.
Oder Unkas, der kompromisslos alle fremden Hunde angegriffen hatte, Fremd gleich Todfeind.
Oder, als ich mit den Hunden laufen war, gerade 14 Jahre alt, und mir das ganze Rudel über den Zaun ist, versuchte, die Nachbarshunde, ein Bernhardiner und noch etwas großes, zu töten.
In Schleswig-Holstein war die Hüteschäferei bereits in den fünfziger Jahren verschwunden und kam erst durch Landschaftspflegeprojekte in den 90igern wieder. Doch gab es damals im Dorf nicht nur einen großen Landwirtschaftlichen Betrieb sondern X Höfe, die noch von 30 Hektar und 15 Milchkühen leben konnten. Die Hofhunde, die nachts ihre Höfe bewachten waren große, weiße Tiere. Die trafen sich morgens auf dem Dorfplatz, trieben sich als Rudel herum, versuchten Spaziergängerhunde zu Frühstücken. Selbstverständlich war, fuhr man auf einen Hof, dass man nicht ausstieg, bis man abgeholt wurde. Sonst fraß einen der Hund.
Diese hochgradige, selbstständige Aggressionsbereitschaft gibt es nicht mehr.
Sie war nicht mehr tragbar.
Unsere Gesellschaft hat sich verändert.
Hunde haben nicht mehr zu beißen!
Auch nicht zum verteidigen ihres Eigentums.
Menschen erheben den selbstverständlichen Anspruch unversehrt zu dem Schäfer, auf die Weiden, auf Höfe, laufen zu dürfen und auch ihr Begleithund hat unversehrt zu bleiben.
Diesem gesellschaftlichen Wandel hat sich auch die Gesetzeslage angeglichen.
Und wir Schäfer haben unsere Hunde angepasst.
Die, mit solchem Aggressionspotenzial sind verschwunden.

Und nun kommt der Wolf.
Wir Schäfer wollen irgendwie unsere Herden schützen.
Wir werden gezwungen Hunde aus anderen Ländern hier einzusetzen.
Ein Wettrüsten hat begonnen.
Unter gesellschaftlichen Bedingungen die dafür nicht mehr geeignet sind.
Bei voller und alleiniger Verantwortung zu unseren Lasten.

So.
Nun komme ich zu der Schäferei mit ihren Hirtenhunden.
Niedersachsen, hier gibt es schon einiges an Wölfen, so hat der Betrieb auch schon des längeren Herdenschutzhunde im Einsatz.
Angefangen mit Kangal, einem Owtscharka und neuer mazedonische Šarplaninac.
Durch wechselnde Praktikanten und Auszubildende sind die Hunde an unterschiedliche Menschen gewöhnt. Und mich erstaunt, wie schnell auch ich alleine zu ihnen kann.
Im Stall sind zwei Hunde, in der Bockgruppe zwei, bei der Herde, die ich hüten werde, zwei und ein Rüde alleine.
Im Stall, in einer der Mastlämmergruppen:


Fränk, der Owtscharka. Er ist hier, weil er nach einer Kreuzbandoperation Ruhe halten soll. Ein temperamentvoller Jungrüde, ziemlich gelangweilt. Als zwei Schafsböcke aus der Herde kommen und ein paar Tage in einer Bucht an Fränks Gruppe geparkt werden, sehe ich ihn dauernd die Böcke anknurren. Ich erfahre, dass es immer schwierig in der Deckzeit ist, da die Hirtenhundrüden nicht sehr begeistert von der männlichen Konkurrenz sind, die seltsame Dinge mit ihren Damen treibt.


Boso, die Kangalhündin mit den abgeschnittenen Ohren, noch aus der Türkei. Was für eine vorsichtige, feinfühlige Seele. Und doch so willensstark und deutlich. Gegen Fränk, gegen die Mastlämmer, wehe, da nähert sich eines ihrem Futter, das wird deutlich gepackt. So lerne ich, die Hunde zu füttern, während die Lämmer Kraftfutter bekommen. Die Hurden zu der Gruppe sind doppelt erhöht, damit Boso, die Ausbruchskönigin, nicht entkommt. Ja, auch sie findet es im Stall doof. Doch auch sie muss sich erholen, Selbstbewusstsein wieder aufbauen, wurde sie doch von der dominanten, vor jugendlichen Energie nur so strotzenden Juna zusammengebissen. Die hatte sich dazu mit Gunnar verbündet.


Und damit sind wir bei den beiden Mazedoniern in der Bockgruppe. Diese steht in dreireihiger Litzenzäunung verwinkelt um den Hof.





Gunnar ist ein ruhiger, entspannter Rüde. Ganz das Gegenteil von Juna. Gerade mal neun Monate alt, hält sie sich für die aller größte. Einen Rüden wie Gunnar respektiert sie, aber gefälligst keine andere Hündin. 


Ja, Kampfstark ist sie. Doch verbringt sie ihre Zeit nicht unbedingt bei den Böcken, sondern giftet lieber durch den Zaun rüber zu Floki. Manchmal kommt mir die Versuchung, sie diese Erfahrung tatsächlich einmal machen zu lassen …

Denn Floki, der große Kangal, ist unverträglich sowohl mit Hunden, als auch Schafen. So lebt er alleine, immer auf der Wiesenparzelle am Hof, wo gerade keine Schafe sind. Zu mir ist er der totale Schmuser und super freundlich. Besonders, wenn ich ihm Futter bringe. Dies verteile ich weitläufig über die Wiese, damit ist er eine ganze Weile beschäftigt. So liefert er sich dann auch kein Wettrennen mit den Hütehunden am Zaun. Da komme ich jeden Morgen und Abend vorbei, wenn ich diese laufen lasse. Doch selbst bei diesem Gerenne wirkt Floki nicht sonderlich Aggressiv, lässt sich von der tolldreisten Gelbbacke die Schnauze lecken.


Einmal gebe ich Floki einen Pansen, er freut sich riesig darüber, aber frisst nicht wirklich viel. Dafür bewacht er ihn nun, macht Höllentheater wenn sich jemand nähert.
Hm. Der Pansen muss dort also wieder raus.
Ich leine Floki an, binde die Leine mit einem Strohband an einen Baum und streue ein paar Futterbrocken hin. So kann ich den Pansen sicher entfernen. Doch kaum sind die letzten Brocken vom Boden, bekommt Floki Panik, zerrt, kreischt. Ich schnell hin und die Schnur vom Baum geschnitten. Der große Hund flieht entsetzt vor der nun schleifenden Leine. Ich kann ihn davon überzeugen, sich bei mir in Sicherheit zu bringen. Er stürzt in meine Arme und ich nehme ihm die Leine ab.
Was für ein Riesenbaby.
Wie sehr würde ich ihm ein Zuhause wünschen, wo er nicht nur überflüssig ist.


Und zum Schluss die beiden HSH in der Herde.


Gerda, die Kangalhündin. Sie ist so dünn, weil sie eine mäkelige Fresserin ist. Auch sonst wirkt sie zart, braucht Zeit zum kommen, bewegt sich vorsichtig, steigt nur nach genauer Prüfung in den Hänger. Liebebedürftig ist sie, mag so gerne den Bauch gekrault bekommen. Und doch spürt man genau, dass sie keinerlei Spaß versteht, sollte es an ihre Schafe gehen.


Dazu Torvi, die junge, übermütige Mazedonierin, immer am hüpfen und freuen.


Einmal kommt, während ich auf der Fläche neben dem Pferch Zäune aufbaue, ein Reiter den Weg entlang. Beide Hunde schlagen sofort Alarm. Das Pferd steigt, dreht und flieht. Zum Glück bleibt der Reiter im Sattel, bekommt sein Tier bald wieder in den Griff.
Ja, ist am Hof alles fertig, fahre ich raus zum Hüten. Zuerst Gerda und Torvi füttern und den nächsten Nachtpferch aufbauen. Beide Hunde kommen nur angeleint aus dem Zaun. Meine Hütehunde bleiben derweil im Auto, dabei zeigen die HSH-Mädels sichtlich gefallen an Lillebror.
Während dem Hüten bleiben Gerda und Torvi auf dem Anhänger, natürlich mit frischem Wasser. Bei den herbstlichen Temperaturen ist Hitze kein Problem, auch ist die Zeit nicht sonderlich lange. Länger als fünf Stunden sind wir nicht weg.
Sind die Schafe wieder im Pferch, leine ich Gerda und Torvi wieder an und bringe sie zu ihren Schützlingen. Kurz überprüfen sie die Lage und erwarten dann noch eine große Kuscheleinheit von mir.
Gut Nacht ihr alle, habt eine ruhige Nacht.
Ruhige Nächte?
Mit Herdenschutzhunden auf dem Hof ziemlich schwierig.
Hört man am Tag keinen Ton, sind sie Nachts sehr aktiv.
Alles was nach Gefahr, oder was auch immer klingt, wird verbellt. Und dann stimmen sicherheitshalber die Hütehunde mit ein.
Ich schlafe mit geschlossenem Fenster.
Was für ein Radau, gut, dass die Schäferei Alleinlage hat.
Ich erfahre, dass man durchaus am Bellen hört, wie bedrohlich die Hunde die Situation finden. Doch raus fährt nachts kein Mensch. Das verschreckt nur die Schafe und was könnte schon in dunkler Nacht getan werden? Man muss sich einfach darauf verlassen, dass die Hunde ihrer Arbeit und Berufung nachkommen.
Probleme mit Wölfen hatte es tatsächlich hier auch noch nicht gegeben.
Das benachbarte Wolfsrudel ist auf der anderen Seite der Bundesstraße. Die scheint als natürliche Grenze zu fungieren, noch. Denn hier sehe ich sogar Rinder hinter einer Litze.
Auf der anderen Seite der Straße sieht die Sache schon anders aus. Da gibt es immer wieder Risse.
Auch in der Schäferei mit Schutzhunden, kaum fünfzehn Kilometer entfernt. Ich treffe eine Schäferin aus dieser. Wir beide sind schon seit achtundzwanzig Jahren gute Bekannte, schön sich hier zu treffen. Sie berichtet, dass sie ihre Berufung nun an den Nagel hängt. Sie schafft die Belastungen des Schäfereialltags nicht mehr und der Wolf gibt ihr den Rest. Die tägliche Angst um die Schafe ist einfach zu viel. Die Wölfe, die sich auf das Wettrüsten einlassen, beobachten, passen ihren Moment ab. Ja, sind nachts die Hunde zu aktiv, kommt man eben am Tag. Da war der letzte Übergriff dann morgens, als die Herdenschutzhunde gefüttert wurden. Die Hunde mit ihrem Fressen beschäftigt und die Wölfe springen hinten ein, reißen Schafe. In Anwesenheit des Schäfers.
Nein, das hältst Du auf Dauer nicht aus.
Doch zum Glück funktioniert es hier in diesem Betrieb noch.
Aber wie wird es, wenn der Wolfsdruck größer wird?
Wenn der auf die Beute angewiesen ist?
Zwei Hunde in der Herde gelten als Standard.
Will der Wolf an die Beute, sagt man, pro Wolf ein Hund mehr.
Das verkompliziert die Haltung ungemein, denn schon jetzt ist es schwierig Rudelkonstellationen herzustellen, die sich verstehen. Hirtenhunde sind auch nur Hunde, und je größer ein, sich selbst überlassenes Rudel wird, je mehr sozialen Unfrieden gibt es.
Die andere Frage, die sich stellt ist, was geschieht mit all den zum Herdenschutz untauglichen Hunden?
Ich habe immer daran geglaubt, dass es für jeden Hund das passende Zuhause gibt. Schon viele hüteuntaugliche Hütehunde habe ich an privat vermittelt. Sie sind tolle gut sozialisierte Begleithunde. Nur was geschieht mit den Herdenschutzhunden? Wie viele Häuser in Alleinlage ohne anderes Viehzeug gibt es denn?
Und die Lösung aus anderen Ländern ist auch keine!

Ja, wir Schäfer standen vor dem Wolf schon vor einem Berg von Problemen. So lässt sich nicht alles auf den Wolf schieben.
Aber!
Die Probleme mit dem Wolf sind gewaltig!
Lässt man uns damit alleine sind wir, ist die Hüte- und Wanderschäferei, bald Geschichte.
Jetzt höre ich doch schon wieder damit auf, wie ich im letzten Bericht angefangen habe.
Das will ich nicht.
Meine Meinung zum Wolf findet ihr hier:
Sie hat sich nicht geändert. Im Gegenteil, ich habe zu viele neue Berichte, wo Wölfe als sicher geltenden Herdenschutzmaßnahmen überwunden haben und nichts weiter unternommen wird.

Boso, Fränki, Juna, Gunnar, Floki, Gerda, Torvi!
Ihr seid echte Schätze!
Es hat mir wirklich Spaß gemacht, mit euch zu arbeiten!
Herdenschutz in der Form ist in diesem Betrieb machbar.
Doch mehr können wir nicht tun!
Da sind andere dran.

P.S.
 Am 21.10. treffen wir Schäfer uns in Berlin auf dem Tempelhofer Feld. Trotz all dem Mist um uns herum, trotz vieler leerer Versprechungen, trotz extrem schweren Bedingungen in diesem Jahr feiern wir ein kleines "Trotzdem-Fest", zeigen der Politik, dass wir immer noch eine Anerkennung für unsere Leistungen brauchen und dass wir trotzdem jungen Menschen den Sinn und die Freude am Beruf vermitteln.
https://www.tempelhoferfeld.info/schaefchen-zaehlen-tempelhofer-feld/?fbclid=IwAR1Mr5tAa98S26_VGKKiGqgDMmSBov8suPrbXKZ0Ch-oEEW7A7mRnrUTUnI
 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen