Samstag, 27. Oktober 2018

Schnucken im Moor Anfang Oktober 2018


Mein Arbeitseinsatz führt mich nach Niedersachsen.
Hier habe ich noch nie gearbeitet, fremd, und doch so viel näher an Zuhause.
Urlaubsvertretung in einer Moorschäferei mit Schnucken.
Hochmoor!
Schnucken!
Das habe ich gelernt!
Und in den letzten vier Jahren vermisst!


Nichts gegen den Süden, nichts gegen Merinos oder all die anderen Schafe, ich liebe alle zu hütenden Landschaften, alle Hüteschafe.
Aber groß geworden bin ich als Schnuckenschäferin.
Und komme mir jetzt keiner mit, das sind doch keine Schafe!
Na und!
Ich freu mich!
Ende September, Anfang Oktober.
In den Moorschäfereien, in denen ich bisher gearbeitet habe, ist die Moorzeit jetzt eigentlich abgeschlossen. Im Moor kommt der Winter früh. Die Herbstweide ruft.
Doch habe ich Hoffnung. Dies ist keine Wanderschäferei, standortgebundene Hütehaltung, als eigene Futterflächen das Moor und die angrenzenden Feuchtwiesen. Ab Herbst dazu alles, was man von Landwirten nachweiden kann.
Außerdem sind dieses Jahr auch die Schafe mit Herbstweide noch im Moor.
Die Trockenheit beutelt alle.
Trockener Sommer.
Trockener Herbst.
Winterfutter wird jetzt schon gefüttert.
Die Preise von Heurundballen sind bei 75 bis 90 Euro, Tendenz steigend.
Die Landwirte hoffen alle noch auf einen Schnitt.
Die Trockenrasen der Herbstweiden schauen aus wie Wüstenlandschaften.
Ja, so lange im Moor bleiben wie möglich.
Und tatsächlich, ich soll die Schnucken, die zwei Wochen, im Moor hüten.
An meinem Ankunftstag lerne ich Schäfer, Hunde, Schafe, Betrieb und Flächen kennen.
Die Herde steht am Hof, wir entwurmen sie, mit Hilfe eines sheep clamb. Die Schafe laufen durch den Trichter, die Rampe zu dem Clamb hoch und ich trete im richtigen Moment auf die Schiene. Das Schaf wird fest geklemmt und ich kann es entwurmen.

Ich bin begeistert!
Was für eine Arbeitserleichterung!
Und auch die Schafe empfinden es nicht als schlimm. Laufen freiwillig und entspannt durch den Trichter und bleiben im Klammergriff ruhig. Kein panisches Gehupse und das sind immerhin Schnucken.
Geiles Teil!

Danach fahre ich mit der Mule, einem Fahrzeug, das etwas an einen Golfer Caddy erinnert, zu den Pferchwiesen für die nächsten Tage, auf der anderen Seite des Moores. Dort baue ich die ersten zwei Pferche auf, jeweils fünf Netze. Das ist ein ordentlicher Nachtisch für die Herde, doch Moor alleine reicht nicht mehr.
Am nächsten Tag ziehe ich mit den Schnucken ins Moor.

Es sind Weiße Ungehörnte Heidschnucken oder eben echte Diepholzer Moorschnucken. Sie reagieren von Anfang an positiv auf mich und meine Hunde. Eine brave, gut gezogenen Herde.
Endlich!
Endlich wieder mit Schnucken im Moor.
Der weite Himmel!

Das endlose graugrün und gelb.
Ja, gelb. Denn auch hier ist die Trockenheit gnadenlos.
Und wird mir noch deutlicher, als überall anders.
Ich bin richtig geschockt!
Ich hatte gehört, dass es auch in den Mooren trocken ist.
Ja, gehört.
Aber nicht wirklich geglaubt.
Die Moorschäfer. Die haben es doch dieses Jahr gut.
Wenn keiner mehr Wasser hat, im Moor wird es nicht ausgehen.
Boah, hatte ich geirrt.
Es ist so trocken!
Keinerlei Wasser.
Nirgends.
Nicht in den Gräben, nicht in den Löchern, nicht unter den Schwimmrasen, nicht in den Bereichen, die nie beweidet wurden, weil zu nass. Selbst die großen schwarzen Wasserflächen, nun Mondlandschaft mit Kratern.



Wie sagt die Kollegin, die die zweite Herde des Betriebes hütet: Wann kann man schon mal über Torfmoos laufen und es knirscht bei jedem Tritt!



Der Auszubildende fährt den Schafen Wasser ins Moor.
Auch so ein Satz, den ich nie für möglich gehalten hätte.


Immerhin besteht keinerlei Gefahr, dass ein Schaf stecken bleibt.
Da brauche ich also keine Sorgen dran verschwenden.
Nur satt muss ich sie bekommen.
Und auch das ist nicht einfach. Wie schon gesagt, die Moorzeit ist eigentlich abgeschlossen.
Kein Schaf frisst jetzt noch Bentgras. Doch Heide und Birken.


Heide fressen sie auch noch im tiefsten Winter, doch eben nur so zwei Stunden. Dann reicht es ihnen. Dann geht es an die Birken. Doch bei denen kann ich zusehen, wie die Blätter von Tag zu Tag gelber werden. Aus pflegerischer Sicht macht das Beweiden jetzt keinen Sinn mehr, die Birken stört der Blätterverlust nun nicht mehr. Doch um Pflege geht es um diese Zeit eh nicht mehr, es geht um Schafe satt hüten. Und Schaden kann man jetzt auch nicht mehr anrichten. So kann ich mich mit der Herde frei bewegen, große Strecken zurücklegen. Immer auf der Suche nach den letzten grünen Blättern.






Besonders viel Grün gibt es noch in den Birken- und Faulbaumwäldern im Randbereich des Moores. So treiben wir uns da viel rum.



Oh, es macht mir Spaß, durch dieses wilde Land zu streifen.
Aber es ist auch aufregend und nervenzehrend. Ich sehe einfach nicht weit genug. Wenn man nur einen kleinen Teil der Herde überblickt, was, wenn nicht alle mitkommen? Besonders, wenn man Hunde hat, von denen man weiß, dass sie gerne in die letzten dreißig Schafe reinbrettern, anstatt darauf zu achten, dass auch die mitkommen. Und wenn es dann noch Schnucken sind, wo diese dreißig dann lieber in die andere Richtung davon rennen.
Tja, damit komme ich zu dem Desastertag.
Die Herde ist frisch durchgeschnitten, und doch gibt es ein paar die Hinken und nochmal Kontrolle brauchen.
Ich erwähnte schon einmal, wie schwierig es ist, fremde Schafe zum Schneiden zu fangen?
Hier ist es nicht anders. So nahe sie mich lassen, wenn ich was von ihnen will, sind sie sofort auf Abstand. So muss ich sie mit dem Hund hart eng stellen, um das gewünschte Tier zu fangen. Etwas, was sie auch nicht kennen. An diesem Tag spritzt eine von der Herde weg. Ich rufe Lille sofort ab und doch flüchtet das Schaf weiter, einen, in die Binsen gemähten Weg entlang.
Normalerweise bremst ein Hüteschaf, wenn es nicht verfolgt wird, nach ein paar Meter ab, guckt, schlägt einen Bogen und kehrt zu seiner Herde zurück.
Diese?
Ich weiß es nicht.
Ich sehe nicht, dass sie zurückkommt.
Doch habe ich durch Wald auch nicht alles im Blick.
Eigentlich bin ich sicher, dass sie zurück gekommen sein muss.
Aber!
Sicher ist sicher, so hüte ich die Herde in die Fluchtrichtung.
Doch das Schaf sehe ich nicht wieder.
Sie wird schon wieder dazu gesprungen sein.
Und wenn nicht, steht sie morgen neben dem Pferch.
Als ich abends auf den Hof komme, wird berichtet, dass gerade jemand Bescheid gesagt hat, dass auf dem Moordamm ein einzelnes Schaf rennt.
Im Boden versink!
Also wieder los, Schaf suchen.
Wo ist sie bloß?
Da ruft die Kollegin an. Sie hat da ein ganzes Herdchen Schnucken gefunden, auf einer der Pferchwiesen, ohne Zaun.
Oh, du meine Güte! Wie peinlich!
Wenn der Boden zum versinken zu trocken ist, kann er sich dann nicht wenigstens auftun und mich verschlucken?
Da habe ich doch tatsächlich irgendwann in den Wäldern dreißig Schäfchen oder so verloren. Die haben zufrieden alleine weiter gefressen und sich dann zu einer ihrer Pferchwiesen begeben. Wie es sich für ein anständiges Schaf gehört.
Glühende Wangen.
Die Schafe werden mit der restlichen Herde vereinigt. Die Einzelne wird da doch sicher dabei sein, war es doch die gleiche Richtung.
Der nächste Morgen, ich bin am Pferch aufbauen, wieder ein Anruf der Kollegin. Sie hätte hier so eine Schnucke, die sich unbedingt ihren Bentheimern anschließen wollte.
Was?
Die Gute ist vier Kilometer gelaufen?
Na super!
Ich komme sie holen.
Wie lade ich sie jetzt wieder aus, ohne dass die Herdenschutzhunde stiften gehen? Der Hänger ist ja noch von dem Schaf besetzt.
Ach, ich lasse sie direkt am Zaun raus. Sie wird die Herde sehen und schon nicht abhauen.
Auf, Huddel, komm raus aus dem Hänger! Guck, da ist die Herde.
Nö.
Also muss ich wohl reinkrabbeln.
Was im letzten Betrieb die große Merinomutter nicht geschafft hat, für die Schnucke kein Problem. Sie crasht zwischen Hängerdach, meinem Kopf und Schulter durch, ab ins freie. Am Zaun entlang in den Wald.
Durchatmen.
Doch dort stoppt sie, trippelt aufgeregt hin und her, rennt dann auf die andere Seite des Pferches. Lecker frisches Futter.
Augenroll.
Ich ignoriere sie, verstaue die Herdenschutzhunde und rufe die Herde zum Hüten.
Die Verrückte hat erbarmen mit mir, kommt um den Zaun und schließt sich ihrer Herde an.
Geschafft.
Und ab nun bin ich in den Wäldern noch achtsamer. Laufe viel, gucke selbst nach den Flanken, sind alle beieinander?
So etwas passiert mir nicht nochmal!
Oder zumindest nicht nochmal, ohne das ich es mitbekomme!
Denn gleichzeitig macht es einfach zu viel Spaß, sich durch die Wildnis zu schlagen, schmale Dämme entlang zu wandern, die Herde hinter mir aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Da muss ich mich verlassen, dass alle kommen, der Hund darf auf keinen Fall laufen. Er würde nur die Kette zerreißen. Und wirklich, es klappt. Ich verliere nichts mehr.





So teile ich meine Hütezeit zwischen Moorwald und Hochmoor.
Moorhüten.
Es ist so anders, als alles andere Hüten.
Habe ich doch sonst immer Grenzen, eingeteilte Stücke. Der Hund kann seine Linien laufen. Ist die Fläche zu groß, setze ich imaginäre Linien, lasse den Hund die laufen. So bewege ich mich von Feld zu Feld.
Nicht so im Moor.
Das Hüten erfolgt immer in Bewegung. Nicht nur gibt es kaum klare Grenzen, auch bleiben wir nie auf einem Stück, laufen und laufen. Nur bestimme ich das Tempo, die Richtung und wie weit die Flanken der Herdenformation aufmachen.
Der große Vorteil ist, keine Schotterwege, die der Hund läuft.
Mein Altdeutscher Rüde Lillebror bleibt dauerhaft fit. Nicht einmal geht er steif, krabbelt abends vor Erschöpfung kaum aus dem Auto, hat trotz Schuhen wunde Pfoten, verwandelt sich in zwei Wochen in ein hochbeiniges Gerippe.
Der Nachteil, er strotzt die ganze Zeit über vor Arbeitseifer.
Und, er kann es nicht, hat noch nie im Moor gearbeitet.
Lille läuft jede Grenze, unermüdlich. Auch die imaginären, ich zeige sie ihm, er läuft sie.
Nur das mit dem Vorhalten, die Fressfront abbremsen, dass klappt nicht wirklich.
Denn schicke ich ihn, knallt er.
Dann ist er so übergedreht, dass mir kein vernünftiges abbremsen gelingt, ich ihn nicht zum Verstand einsetzen bringe. Mit heftigem Druck kann ich seine Aktion abwürgen, bevor der die Herde ganz zusammen knallt. Dann kommt er gescholten zurück, nur unter noch mehr Spannung, um bei dem nächsten auffordernden Wort wieder los zu knallen. Der Groschen zwischen mach es, aber langsam und vorsichtig, fällt einfach nicht.
Und auch die Schafe sind bei dem Spiel nicht hilfreich, hören sie mich Lilles Aktion abbrechen, klappen die Flanken der Herde schon von alleine ein. Schaf will ja nicht riskieren, dass der Hund tatsächlich angeblasen kommt.
In meinem bisherigen Hütealltag hatte ich auch immer zu wenig Gelegenheit, daran zu arbeiten, zu selten diese Situationen.
Aber nun! Nun habe ich jeden Tag.
Und Lille ist ein Hund der es eigentlich können muss. Ist er doch ein Läufer, der nie die Füße still halten kann. Kein Hund, der, wenn er nicht Knallen darf, sich an meinem Bein fest schweißt, dann eben gar nichts macht. Nein, er muss laufen.
Lasse ich ihn, gestaltet er ein eigenes Hüten, immer am Druckpunkt, immer an den Köpfen der Fressfront, mal die Flanken mitnehmend, mal nicht. Dabei gibt er dem Schafdruck nach, lässt sich zurück schieben, erweitert das Gehüt.
Also genau das, was ich möchte.
Nur eben bitte von mir gesteuert.
Wenn ich es stimmlich nicht steuern kann, dann halt anders.
Ich arbeite mit meiner eigenen Position.
Räume öffnen und schließen.
Ich stelle mich an der fressenden Herde, mit dem Blick dahin, wo ich möchte, dass der Hund pendelt.
Die andere Richtung schließe ich. Durch Körperhaltung, durch die Schäferschippe, die einfach dem Hund den Weg versperrt und auch durch ansagen. Da will ich es nicht!
Möchte ich die Herdenfront in meine Richtung lenken, stehe ich weit vor der Herde.
Der Hund darf niemals zwischen mir und der Herde pendeln!
So verhindere ich durch meine Position, dass er die Spitze der Herde, die in meine gewünschte Richtung frisst, behelligt. So sorge ich dafür, dass er raus zu den Flanken und unerwünschten Nebenfronten pendelt.



Ist mir die Herdenfront zu schnell, möchte ich da Tempo raus nehmen, stehe ich weiter hinten neben der Herde. Der Hund pendelt automatisch die Front.






 
Reicht der Druck, den der Hund macht, nicht aus, lässt er sich zurück drängen, lasse ich ihn mehr Druck machen, dies dann über Stimme. Und zwar nicht, wenn er von mir weg läuft, würde ich da was sagen, würde er sicher über das Ziel hinaus schießen, die Flanken einklappen und so den Druck der Front noch erhöhen. Selbst, wenn er sich auf den Punkt abrufen lassen würde, würden die Flanken auf Grund meines Stimmeinsatzes einklappen.
So sage ich, wenn der Hund auf dem Rückweg ist, an dem Frontpunkt ist, der mir zu viel Druck macht: „Do! Do grad!“ Da, gerade, da mach Druck. Der Hund kommt dem sofort mit Begeisterung nach. Und er kann nicht über das Ziel hinaus schießen, da ich dann ja da stehe, den Raum dicht mache.
Etwas anderes, was ich mache, ist, immer dahin zu schauen, wo ich etwas getan haben möchte. Und dann wieder zu dem Hund, der es tun soll. Dazu denke ich mir, was ich möchte, das nun geschieht.
Etwas was mit erfahrenen aufmerksamen Hunden gut funktioniert.
Wobei Lille da noch nicht wirklich empfänglich für ist. Ach, da hat er auch noch Zeit. Ist er doch noch keine drei Jahre, noch nicht erwachsen. Und Rüden brauchen Zeit, um ihren Verstand mit zu nutzen.
Sagte ich Rüden? ;)
So vergehen meine Tage als Moorschäferin.
Wo die ersten zwei Tage wie immer etwas schwierig waren, ich etwas schwierig war, erst wieder in die Ruhe des Hüten finden musste. Das Handy bleibt in der Taschen, Du brauchst nichts, was Dich ablenkt! Bleib hier bei den Schafen, den Hunden!
Bin ich angekommen, in dieser bezaubernden Herde und der grenzenlosen weiten Einsamkeit des Moores.
Ich, die Hunde, die Schafe und das Moor.
Am letzten Tag kommen die Leitschafe auch während des Hüten zum Kuscheln.

Oh, ihr seid so süß!
Macht es gut!
Auf Wiedersehen!
Und zuletzt noch einen herzlichen Dank an die Menschen der Schäferei, es hat mir echt Spaß gemacht.
Liebe Grüße!


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