Mein
Arbeitseinsatz führt mich nach Niedersachsen.
Hier
habe ich noch nie gearbeitet, fremd, und doch so viel näher an
Zuhause.
Urlaubsvertretung
in einer Moorschäferei mit Schnucken.
Hochmoor!
Schnucken!
Das
habe ich gelernt!
Und in
den letzten vier Jahren vermisst!
Nichts
gegen den Süden, nichts gegen Merinos oder all die anderen Schafe,
ich liebe alle zu hütenden Landschaften, alle Hüteschafe.
Aber
groß geworden bin ich als Schnuckenschäferin.
Und
komme mir jetzt keiner mit, das sind doch keine Schafe!
Na und!
Ich
freu mich!
Ende
September, Anfang Oktober.
In den
Moorschäfereien, in denen ich bisher gearbeitet habe, ist die
Moorzeit jetzt eigentlich abgeschlossen. Im Moor kommt der Winter
früh. Die Herbstweide ruft.
Doch
habe ich Hoffnung. Dies ist keine Wanderschäferei, standortgebundene
Hütehaltung, als eigene Futterflächen das Moor und die angrenzenden
Feuchtwiesen. Ab Herbst dazu alles, was man von Landwirten nachweiden
kann.
Außerdem
sind dieses Jahr auch die Schafe mit Herbstweide noch im Moor.
Die
Trockenheit beutelt alle.
Trockener
Sommer.
Trockener
Herbst.
Winterfutter
wird jetzt schon gefüttert.
Die
Preise von Heurundballen sind bei 75 bis 90 Euro, Tendenz steigend.
Die
Landwirte hoffen alle noch auf einen Schnitt.
Die
Trockenrasen der Herbstweiden schauen aus wie Wüstenlandschaften.
Ja, so
lange im Moor bleiben wie möglich.
Und
tatsächlich, ich soll die Schnucken, die zwei Wochen, im Moor hüten.
An
meinem Ankunftstag lerne ich Schäfer, Hunde, Schafe, Betrieb und
Flächen kennen.
Die
Herde steht am Hof, wir entwurmen sie, mit Hilfe eines sheep clamb.
Die Schafe laufen durch den Trichter, die Rampe zu dem Clamb hoch und
ich trete im richtigen Moment auf die Schiene. Das Schaf wird fest
geklemmt und ich kann es entwurmen.
Ich bin
begeistert!
Was für
eine Arbeitserleichterung!
Und
auch die Schafe empfinden es nicht als schlimm. Laufen freiwillig und
entspannt durch den Trichter und bleiben im Klammergriff ruhig. Kein
panisches Gehupse und das sind immerhin Schnucken.
Danach
fahre ich mit der Mule, einem Fahrzeug, das etwas an einen Golfer
Caddy erinnert, zu den Pferchwiesen für die nächsten Tage, auf der
anderen Seite des Moores. Dort baue ich die ersten zwei Pferche auf,
jeweils fünf Netze. Das ist ein ordentlicher Nachtisch für die
Herde, doch Moor alleine reicht nicht mehr.
Es sind
Weiße Ungehörnte Heidschnucken oder eben echte Diepholzer
Moorschnucken. Sie reagieren von Anfang an positiv auf mich und meine
Hunde. Eine brave, gut gezogenen Herde.
Endlich!
Endlich
wieder mit Schnucken im Moor.
Das
endlose graugrün und gelb.
Ja,
gelb. Denn auch hier ist die Trockenheit gnadenlos.
Und
wird mir noch deutlicher, als überall anders.
Ich bin
richtig geschockt!
Ich
hatte gehört, dass es auch in den Mooren trocken ist.
Ja,
gehört.
Aber
nicht wirklich geglaubt.
Die
Moorschäfer. Die haben es doch dieses Jahr gut.
Wenn
keiner mehr Wasser hat, im Moor wird es nicht ausgehen.
Boah,
hatte ich geirrt.
Es ist
so trocken!
Keinerlei
Wasser.
Nirgends.
Nicht
in den Gräben, nicht in den Löchern, nicht unter den Schwimmrasen,
nicht in den Bereichen, die nie beweidet wurden, weil zu nass. Selbst
die großen schwarzen Wasserflächen, nun Mondlandschaft mit Kratern.
Wie
sagt die Kollegin, die die zweite Herde des Betriebes hütet: Wann
kann man schon mal über Torfmoos laufen und es knirscht bei jedem
Tritt!
Der
Auszubildende fährt den Schafen Wasser ins Moor.
Immerhin
besteht keinerlei Gefahr, dass ein Schaf stecken bleibt.
Da
brauche ich also keine Sorgen dran verschwenden.
Nur
satt muss ich sie bekommen.
Und
auch das ist nicht einfach. Wie schon gesagt, die Moorzeit ist
eigentlich abgeschlossen.
Heide
fressen sie auch noch im tiefsten Winter, doch eben nur so zwei
Stunden. Dann reicht es ihnen. Dann geht es an die Birken. Doch bei
denen kann ich zusehen, wie die Blätter von Tag zu Tag gelber
werden. Aus pflegerischer Sicht macht das Beweiden jetzt keinen Sinn
mehr, die Birken stört der Blätterverlust nun nicht mehr. Doch um
Pflege geht es um diese Zeit eh nicht mehr, es geht um Schafe satt
hüten. Und Schaden kann man jetzt auch nicht mehr anrichten. So kann
ich mich mit der Herde frei bewegen, große Strecken zurücklegen.
Immer auf der Suche nach den letzten grünen Blättern.
Besonders
viel Grün gibt es noch in den Birken- und Faulbaumwäldern im
Randbereich des Moores. So treiben wir uns da viel rum.
Oh, es
macht mir Spaß, durch dieses wilde Land zu streifen.
Aber es
ist auch aufregend und nervenzehrend. Ich sehe einfach nicht weit
genug. Wenn man nur einen kleinen Teil der Herde überblickt, was,
wenn nicht alle mitkommen? Besonders, wenn man Hunde hat, von denen
man weiß, dass sie gerne in die letzten dreißig Schafe
reinbrettern, anstatt darauf zu achten, dass auch die mitkommen. Und
wenn es dann noch Schnucken sind, wo diese dreißig dann lieber in
die andere Richtung davon rennen.
Tja,
damit komme ich zu dem Desastertag.
Die
Herde ist frisch durchgeschnitten, und doch gibt es ein paar die
Hinken und nochmal Kontrolle brauchen.
Ich
erwähnte schon einmal, wie schwierig es ist, fremde Schafe zum
Schneiden zu fangen?
Hier
ist es nicht anders. So nahe sie mich lassen, wenn ich was von ihnen
will, sind sie sofort auf Abstand. So muss ich sie mit dem Hund hart
eng stellen, um das gewünschte Tier zu fangen. Etwas, was sie auch
nicht kennen. An diesem Tag spritzt eine von der Herde weg. Ich rufe
Lille sofort ab und doch flüchtet das Schaf weiter, einen, in die
Binsen gemähten Weg entlang.
Normalerweise
bremst ein Hüteschaf, wenn es nicht verfolgt wird, nach ein paar
Meter ab, guckt, schlägt einen Bogen und kehrt zu seiner Herde
zurück.
Diese?
Ich
weiß es nicht.
Ich
sehe nicht, dass sie zurückkommt.
Doch
habe ich durch Wald auch nicht alles im Blick.
Eigentlich
bin ich sicher, dass sie zurück gekommen sein muss.
Aber!
Sicher
ist sicher, so hüte ich die Herde in die Fluchtrichtung.
Doch
das Schaf sehe ich nicht wieder.
Sie
wird schon wieder dazu gesprungen sein.
Und
wenn nicht, steht sie morgen neben dem Pferch.
Als ich
abends auf den Hof komme, wird berichtet, dass gerade jemand Bescheid
gesagt hat, dass auf dem Moordamm ein einzelnes Schaf rennt.
Im
Boden versink!
Also
wieder los, Schaf suchen.
Wo ist
sie bloß?
Da ruft
die Kollegin an. Sie hat da ein ganzes Herdchen Schnucken gefunden,
auf einer der Pferchwiesen, ohne Zaun.
Oh, du
meine Güte! Wie peinlich!
Wenn
der Boden zum versinken zu trocken ist, kann er sich dann nicht
wenigstens auftun und mich verschlucken?
Da habe
ich doch tatsächlich irgendwann in den Wäldern dreißig Schäfchen
oder so verloren. Die haben zufrieden alleine weiter gefressen und
sich dann zu einer ihrer Pferchwiesen begeben. Wie es sich für ein
anständiges Schaf gehört.
Glühende
Wangen.
Die
Schafe werden mit der restlichen Herde vereinigt. Die Einzelne wird
da doch sicher dabei sein, war es doch die gleiche Richtung.
Der
nächste Morgen, ich bin am Pferch aufbauen, wieder ein Anruf der
Kollegin. Sie hätte hier so eine Schnucke, die sich unbedingt ihren
Bentheimern anschließen wollte.
Was?
Die
Gute ist vier Kilometer gelaufen?
Na
super!
Ich
komme sie holen.
Wie
lade ich sie jetzt wieder aus, ohne dass die Herdenschutzhunde
stiften gehen? Der Hänger ist ja noch von dem Schaf besetzt.
Ach,
ich lasse sie direkt am Zaun raus. Sie wird die Herde sehen und schon
nicht abhauen.
Auf,
Huddel, komm raus aus dem Hänger! Guck, da ist die Herde.
Nö.
Also
muss ich wohl reinkrabbeln.
Was im
letzten Betrieb die große Merinomutter nicht geschafft hat, für die
Schnucke kein Problem. Sie crasht zwischen Hängerdach, meinem Kopf
und Schulter durch, ab ins freie. Am Zaun entlang in den Wald.
Durchatmen.
Doch
dort stoppt sie, trippelt aufgeregt hin und her, rennt dann auf die
andere Seite des Pferches. Lecker frisches Futter.
Augenroll.
Ich
ignoriere sie, verstaue die Herdenschutzhunde und rufe die Herde zum
Hüten.
Die
Verrückte hat erbarmen mit mir, kommt um den Zaun und schließt sich
ihrer Herde an.
Geschafft.
Und ab
nun bin ich in den Wäldern noch achtsamer. Laufe viel, gucke selbst
nach den Flanken, sind alle beieinander?
So
etwas passiert mir nicht nochmal!
Oder
zumindest nicht nochmal, ohne das ich es mitbekomme!
Denn
gleichzeitig macht es einfach zu viel Spaß, sich durch die Wildnis
zu schlagen, schmale Dämme entlang zu wandern, die Herde hinter mir
aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Da muss ich mich verlassen,
dass alle kommen, der Hund darf auf keinen Fall laufen. Er würde nur
die Kette zerreißen. Und wirklich, es klappt. Ich verliere nichts
mehr.
So
teile ich meine Hütezeit zwischen Moorwald und Hochmoor.
Moorhüten.
Es ist
so anders, als alles andere Hüten.
Habe
ich doch sonst immer Grenzen, eingeteilte Stücke. Der Hund kann
seine Linien laufen. Ist die Fläche zu groß, setze ich imaginäre
Linien, lasse den Hund die laufen. So bewege ich mich von Feld zu
Feld.
Nicht
so im Moor.
Das
Hüten erfolgt immer in Bewegung. Nicht nur gibt es kaum klare
Grenzen, auch bleiben wir nie auf einem Stück, laufen und laufen.
Nur bestimme ich das Tempo, die Richtung und wie weit die Flanken der
Herdenformation aufmachen.
Der
große Vorteil ist, keine Schotterwege, die der Hund läuft.
Mein
Altdeutscher Rüde Lillebror bleibt dauerhaft fit. Nicht einmal geht
er steif, krabbelt abends vor Erschöpfung kaum aus dem Auto, hat
trotz Schuhen wunde Pfoten, verwandelt sich in zwei Wochen in ein
hochbeiniges Gerippe.
Der
Nachteil, er strotzt die ganze Zeit über vor Arbeitseifer.
Und, er
kann es nicht, hat noch nie im Moor gearbeitet.
Lille
läuft jede Grenze, unermüdlich. Auch die imaginären, ich zeige sie
ihm, er läuft sie.
Nur das
mit dem Vorhalten, die Fressfront abbremsen, dass klappt nicht
wirklich.
Denn
schicke ich ihn, knallt er.
Dann
ist er so übergedreht, dass mir kein vernünftiges abbremsen
gelingt, ich ihn nicht zum Verstand einsetzen bringe. Mit heftigem
Druck kann ich seine Aktion abwürgen, bevor der die Herde ganz
zusammen knallt. Dann kommt er gescholten zurück, nur unter noch
mehr Spannung, um bei dem nächsten auffordernden Wort wieder los zu
knallen. Der Groschen zwischen mach es, aber langsam und vorsichtig,
fällt einfach nicht.
Und
auch die Schafe sind bei dem Spiel nicht hilfreich, hören sie mich
Lilles Aktion abbrechen, klappen die Flanken der Herde schon von
alleine ein. Schaf will ja nicht riskieren, dass der Hund tatsächlich
angeblasen kommt.
In
meinem bisherigen Hütealltag hatte ich auch immer zu wenig
Gelegenheit, daran zu arbeiten, zu selten diese Situationen.
Aber
nun! Nun habe ich jeden Tag.
Und
Lille ist ein Hund der es eigentlich können muss. Ist er doch ein
Läufer, der nie die Füße still halten kann. Kein Hund, der, wenn
er nicht Knallen darf, sich an meinem Bein fest schweißt, dann eben
gar nichts macht. Nein, er muss laufen.
Lasse
ich ihn, gestaltet er ein eigenes Hüten, immer am Druckpunkt, immer
an den Köpfen der Fressfront, mal die Flanken mitnehmend, mal nicht.
Dabei gibt er dem Schafdruck nach, lässt sich zurück schieben,
erweitert das Gehüt.
Also
genau das, was ich möchte.
Nur
eben bitte von mir gesteuert.
Wenn
ich es stimmlich nicht steuern kann, dann halt anders.
Ich
arbeite mit meiner eigenen Position.
Räume
öffnen und schließen.
Ich
stelle mich an der fressenden Herde, mit dem Blick dahin, wo ich
möchte, dass der Hund pendelt.
Die
andere Richtung schließe ich. Durch Körperhaltung, durch die
Schäferschippe, die einfach dem Hund den Weg versperrt und auch
durch ansagen. Da will ich es nicht!
Möchte
ich die Herdenfront in meine Richtung lenken, stehe ich weit vor der
Herde.
Der
Hund darf niemals zwischen mir und der Herde pendeln!
So
verhindere ich durch meine Position, dass er die Spitze der Herde,
die in meine gewünschte Richtung frisst, behelligt. So sorge ich
dafür, dass er raus zu den Flanken und unerwünschten Nebenfronten
pendelt.
Ist mir
die Herdenfront zu schnell, möchte ich da Tempo raus nehmen, stehe
ich weiter hinten neben der Herde. Der Hund pendelt automatisch die
Front.
Reicht
der Druck, den der Hund macht, nicht aus, lässt er sich zurück
drängen, lasse ich ihn mehr Druck machen, dies dann über Stimme.
Und zwar nicht, wenn er von mir weg läuft, würde ich da was sagen,
würde er sicher über das Ziel hinaus schießen, die Flanken
einklappen und so den Druck der Front noch erhöhen. Selbst, wenn er
sich auf den Punkt abrufen lassen würde, würden die Flanken auf
Grund meines Stimmeinsatzes einklappen.
So sage
ich, wenn der Hund auf dem Rückweg ist, an dem Frontpunkt ist, der
mir zu viel Druck macht: „Do! Do grad!“ Da, gerade, da mach
Druck. Der Hund kommt dem sofort mit Begeisterung nach. Und er kann
nicht über das Ziel hinaus schießen, da ich dann ja da stehe, den
Raum dicht mache.
Etwas
anderes, was ich mache, ist, immer dahin zu schauen, wo ich etwas
getan haben möchte. Und dann wieder zu dem Hund, der es tun soll.
Dazu denke ich mir, was ich möchte, das nun geschieht.
Etwas
was mit erfahrenen aufmerksamen Hunden gut funktioniert.
Wobei
Lille da noch nicht wirklich empfänglich für ist. Ach, da hat er
auch noch Zeit. Ist er doch noch keine drei Jahre, noch nicht
erwachsen. Und Rüden brauchen Zeit, um ihren Verstand mit zu nutzen.
Sagte
ich Rüden? ;)
So
vergehen meine Tage als Moorschäferin.
Wo die
ersten zwei Tage wie immer etwas schwierig waren, ich etwas schwierig
war, erst wieder in die Ruhe des Hüten finden musste. Das Handy
bleibt in der Taschen, Du brauchst nichts, was Dich ablenkt! Bleib
hier bei den Schafen, den Hunden!
Bin ich
angekommen, in dieser bezaubernden Herde und der grenzenlosen weiten
Einsamkeit des Moores.
Ich,
die Hunde, die Schafe und das Moor.
Oh, ihr
seid so süß!
Macht
es gut!
Auf
Wiedersehen!
Und
zuletzt noch einen herzlichen Dank an die Menschen der Schäferei, es
hat mir echt Spaß gemacht.