Freitag, 2. Februar 2018

Taunus im Dezember 2017



 Als ich morgens zum Pferch komme liegt die Herde noch weit verteilt, satt und zufrieden vom Vortag.

Erst langsam erheben sich die Merinolandschafe, wissen sie doch, dass es nun los geht.
So kann ich mir einen ersten Überblick verschaffen, ohne vor Gedränge nichts zu sehen.
Keine kleinen Lämmer heute. Gut so, immerhin wurden die letzten Tage alle, die mit prallen Eutern beim Laufen schaukelten wie Schiffe, dicke, bauchige Lastkähne, in den Stall gebracht.
Da hatte es heute morgen auch sieben neue Lämmer gegeben, eine Mama sogar mit Drillingen.


Ich lasse meine beiden Altdeutschen Hütehunde aus dem Auto. Ylva und Lillebror sind vorfreudig und geladen. So beginnen sie ein wildes, lautes Kampfspiel.
Ich ermahne sie, sich zusammen zu reißen. Immerhin stehen jetzt alle Schafe und sind vermutlich nicht weniger vorfreudig.
Doch die Hunde müssen sich noch etwas gedulden. Ich öffne den Zaun, rufe den lauten Lockruf: „Koooouuum! Koooouuum!“ und die Herde trottet auf das Stück neben dem Pferch, verteilt sich zum Fressen.


Das die Merinoschafe mir so selbstverständlich und bereitwillig folgen, erstaunt und ehrt mich sehr. Immerhin ist es nun schon anderthalb Jahre her, dass ich sie das letzte mal gehütet habe. Doch eine Schafherde hat ein langes Gedächtnis.
Verwundert war ich, dass sie, im Gegensatz zu mir, meinen Tigerrüde Lillebror als völligen Fremden empfanden und anfangs einen Mindestabstand von 20 Metern zu seiner Grenze hielten. Lille wiederum war dadurch gelangweilt, was ihn angespannt und unzufrieden machte. So strahle er noch mehr Druck aus und ermutigte erst recht kein Schaf.
Aber natürlich, bis auf eine Stunde im September, hatte die Herde Lille auch seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen. Und da war er ein kleiner Pups von sieben Monaten, der seine ersten Schritte an Schafen wagte. Nun ist er ein, vor Energie strotzender, Zweijähriger.


Immerhin gewöhnte sich die Herde schnell an ihn. Macht er doch wahnsinnig Druck, rennt ein großes Merino auch mal einfach über den Haufen, ist er gleichzeitig verlässlich und berechenbar. Lille würde nicht aus der Grenze in die Herde knallen oder anderweitigen plötzlichen Unsinn machen.
So fressen sie bis an seine zu laufende Linie heran, was wiederum ihn beruhigt und entspannt.


Er kommt in ein gleichmäßiges Pendeln, nur mal unterbrochen von dem Suffolkbock, der es unbedingt und immer wieder wissen will. Mit dem neckt sich Lille, bis er ihn sauber im Nacken packt. Damit hält der Suffi erstmal einen halben Meter Abstand zur Grenze.
Suffolkböcke!
In allen Herden, die ich hüte, dass gleiche. Sie müssen zwanghaft den Hund testen. Und es geht dabei nicht um das grünere Futter auf der anderen Seite der Grenze, nein, denn zum Beispiel ein Teerweg bietet definitiv nichts leckeres. Es geht nur darum den Hund zu ärgern.
Aber zurück zu diesem schönen Morgen, an dem es ausnahmsweise mal nicht Grotten regnet, schneit oder beides in Kombi, wie die letzten Tage.


Ich baue den Nachtpferch, sechs Elektronetze, ab und behalte die Hunde eisern in meiner Nähe. Zu hüten gibt es gerade nichts!
Im Sommer stehen die Schafe Nachts meist in gerade drei Zäunen ohne grün. Aber da kommen sie auch pappesatt rein. Jetzt, um diese Jahreszeit reicht das Tageslicht einfach nicht, um sie ganz satt zu bekommen. So braucht die Herde nachts noch einen Nachtisch. Außerdem ist das Wetter saumäßig und die Tiere sollen natürlich keinesfalls im Schlamm stehen.
So wird jeden Tag wieder der perfekte Nachtpferch gesucht. Die Fläche muss groß genug für sechs Netze a 50 Meter und mit grünem Gras bewachsen sein. Der Bauer darf nicht schon Gülle gefahren haben, auch nicht in den letzten sechs bis acht Wochen, sonst frisst kein Schaf mehr. Die Wiese darf nicht zu nass sein. Regen und Schnee stört kein Schaf, auch nicht auf dem Gras, doch ins Wasser legt es sich definitiv nicht. Auch Kälte kümmert Schafe nicht, nur Starkwind, in Verbindung mit Regen, das ist Mist. Ist es also stürmisch oder Sturm angesagt, sucht man nach einer Pferchfläche mit Windschutz in Form von einem Knick oder Wald.
Direkt an die Straße legen wir die Herde auch nach Möglichkeit nicht. Sollte etwas passiert, könnte das mit dem Verkehr gefährlich werden. Außerdem möchte man sich den Nerv mit anzeigewütigen Tierrettern ersparen.
Ja, es ist für Schafe im Winter Witterungsschutz und trockene Liegeplätze vorgeschrieben.
Wir hatten das schon.

Zur Definition:
Trockene Liegeplätze bedeutet, die Schafe im Nachtpferch nicht in Matsch oder sogar Wasser stehen zu haben. Ist es den Tieren zu nass, legen sie sich zum Schlafen nicht hin.
Also liegen die Tiere geht es ihnen gut.

Witterungsschutz bedeutet, dass die Schafe bei Sturm und Starkregen einen Nachtpferch mit Windschutz haben. Auch das ist gut zu erkennen: Frierende Schafe stehen alle in einer Ecke des Pferches, dicht gedrängt, den Hintern in den Wind. Kein weit verteiltes liegen oder fressen.

So bin ich am Tag zuvor ein ganzes Stück gezogen, um diesen perfekten Pferchplatz zu finden. Mehr Futter, außer dem Stück auf dem sie während des Auf- und Abbaus fressen, ist hier nicht, also geht es nun direkt weiter.
Ich rufe die Herde und auf geht es, wir müssen ein ganzes Stück ziehen. Wieder vorbei an den zwei Pferden, die mich gestern so geärgert haben.
Der Weg ist schmal und biegt auch noch im rechten Winkel ab, direkt an der Pferdekoppel.
Als ich mit den Schafen kam, gerieten die Pferde völlig aus dem Häuschen, rannten wie verrückt am Zaun auf und ab. Zaun? Ein lumpiger Draht, der eher die Pfähle hielt, als umgekehrt.
Die Schafe blieben irritiert stehen.
Und ich?
Ich hatte sofort die Stimme meines Meisters im Ohr: „Du schickst keinen Hund zwischen Pferden. Ein Tritt und der Hund ist hin!“
Doch die Herde stand, die Pferde galoppierten zwischen mir und den Schafen hin und her. Auf der anderen Seite war ein steiler Hang mit Gebüsch, schickte ich dort den Hund, würde er die Schafe in die Koppel drücken.
Ich rief.
Nichts bewegte sich, nur die Herde drückte immer breiter, da Schafe von hinten schoben.
Also komm, Ylva, geh mal!
Lille hatte ich fest, das war kein Moment für übereifrige, kopflose Jungspunde.
Ylva lief, wich den aufgedrehten Gäulen aus und machte an der Herdenseite druck.
Batsch.
Ein Zaunpfahl knackte, brach und der Draht lag.
Oh, bitte, lass die Pferde in ihrer Koppel, lass sie nicht zwischen die Schafe laufen!
Und endlich zog die Herde an, folgte mir zögerlich um die Kurve.
Nun war auf der anderen Seite ein tiefes Tal, dort konnte ich Lille runter stellen, Druck auf die Flanken der Herde machen lassen.
Die Schafe liefen!
Ylva abrufen und aufatmen.
Als wir ganz an der Koppel vorbei waren, telefonierte ich, damit der Pferdehalter erfuhr, dass der Zaun lag.
Ja und da muss ich nun zurück.
Die Pferde stehen wieder in der Spitze des rechten Winkels. Doch diesmal rühren sie sich nicht, beobachten nur. So zieht die Schafherde ruhig an ihnen vorbei.


Erleichterung.
Bald sind wir zurück auf den Flächen, die ich die letzten zwei Tage gehütet habe.


Auf einer steht es noch gut und die Schafe verteilen sich weit, fressen.
Die Wiese ist komplett mit Bäumen umstanden, die Hunde und ich haben Pause.
So blöd das die Hunde finden, ich esse mein Vesper und genieße den heißen Tee.


Aber bald ist es zwei Uhr und wir müssen noch eine große Landstraße überqueren. Etwas was natürlich bei vollem Licht geschehen muss. So rufe ich die Herde und weiter geht es.
Über die nächste Wiese, am Ackerrand hoch auf einen Feldweg. Den verlassen wir bald wieder und es geht weglos in den Wald. An der Stelle, an der der Weg die Straße kreuzt, kommt nicht viel weiter eine Anhöhe. Über die kommen die Autofahrer geschossen und sehen die Schafe erst spät.
So wird im Wald auf der Anhöhe gequert, Autos sehen einen dann beidseitig von weitem.
Ich bin etwas zu früh in den Wald gebogen, habe ich doch heute morgen die Strecke zum ersten Mal gezeigt bekommen und auch da nur den befahrbaren Teil.
Doch ich finde die Straße, ziehe parallel bis auf die Anhöhe und sammle die Schafe hinter mir, warte bis auch alle Nachzügler aufgeschlossen haben.
Dabei behalte ich die Hunde eisern bei mir, nun kein unbedachtes Laufen und womöglich Schafe die abspritzen.
Ich warte bis die Straße in beiden Richtungen frei von rasendem Verkehr ist und steige über die Böschung auf den Asphalt, dabei laut rufend.
„Kooomt! Kooomt!“
Und die Herde zieht an, folgt.
Sehr schön!
Immer ein kritischer Moment, denn zögern sie zu lange, kann es sein, dass das nächste Auto kommt, was wegen mir einsamer Gestalt mit Sicherheit nicht langsamer macht. Dann muss ich in diesen Sekunden entscheiden, was ich tue. Entweder winke ich wie irre und hoffe, das Auto hält, oder ich gebe die Straße frei, gehe zurück zur Herde, die aber dann schon Laufbereit am Rand steht und hoffe, dass die Schafe sich nicht auf die Straße schieben.
Auch den Hund schicke ich ungern, treibt er zwar die Schafe an, aber auf dem Rückweg quert er an den Schafen die Straße, während ich schon auf der anderen Seite bin. Und wer weiß, was bescheuerten Autofahrern in den Kopf kommt.
Das ist auch der Grund, warum ich vor dem Queren warte, bis die Herde dicht aufgeschlossen hat, denn auch zum Nachzügler holen schicke ich keinen Hund.
Ein Schaf an ein Auto zu verlieren ist tragisch, aber den Hund?
Nein, das mag ich mir nicht mal vorstellen.
Doch die Schafe laufen brav hinter mir über die Straße.
Die Autos, die von links und rechts kommen bremsen ab, machen ihre Warnblinker an und warten bis das letzte Tier drüben ist.
Wunderbar!
Weiter geht es durch den Wald über schmale Wege.
Unter Bäumen auf wilden Pfaden mit einer Schafherde zu wandern, völlig egal zu welcher Jahreszeit, gehört für mich zu den schönsten Momenten des Schäfersein.
Und wieder erreichen wir kleine Wiesen. Die Schafe verteilen sich zum Fressen und die Hunde ziehen ihre Bahnen, halten die Tiere vom jungen Getreide fern.


Bei einem Schaf platzt die Fruchtblase und nicht lange und ein Lämmchen sucht, leise zirpend, auf wackeligen Beinen, nach der warmen Milch seiner tief brummenden Mama.
Die Herde frisst weiter und die Mutter führt ihr Lamm langsam nach, bis das Müttertaxi kommt, sie in den Stall bringt.


Die Sonne, die sich die ganzen Tage nicht gezeigt hat, färbt den Himmel in einem letzten aufglühen rot und ich baue den Nachtpferch.


Es ist dunkel, die Schafe eingepfercht, Strom auf den Zaun und Heim geht es.
Spät abends, vor dem Schlafen, laufe ich zur letzten Runde hinauf zum Stall.
Nochmal durch die Hochtragenden gucken und Neugelammte mit Zwillingen extra sperren.


Dann die Einzelbuchten durchsehen, alle Lämmer fit und rund?
Die Flaschenlämmer bekommen ihre Nachtmilch in der Lammbar mit Warmhaltevorrichtung.


Gut Nacht ihr Schafe!
Licht aus.
Ich verlasse den Stall.
Ylva und Lille trotten müde hinter mir her.
Meine kleine Reisekatze, die so tapfer in alle Betriebe in denen ich arbeite mit kommt, springt um uns herum.
Es hat ganz aufgeklart.
Über mir erstreckt sich unendlich und weit funkelnder Sternenhimmel.
Der alte Wachturm über dem Dorf ist dezent zu Weihnachten beleuchtet.
Stille Nacht!
Heilige Nacht!
Alles schläft, einsam Wacht!



2 Kommentare:

  1. Direkt,lebensnah, knapp über der Grasnarbe beobachtet.Ein wunderbarer,
    positiver Stil zu schreiben.Genauso ist es-man(Frau) muß dazu geboren sein,sonst wird das nüscht.
    So nervig und hart es manchmal ist,nix ist entspannter als eine weidende
    oder ziehende Herde im Zusammenspiel mit den Hunden,kaum etwas ist schöner
    als neues Leben,ob im Stall oder auf der Weide,auch wenn wir die süßen Lämmer irgendwann als große Lämmer verspeisen oder verkaufen müssen.Der "Organismus Schafherde" produziert immer weiter Fleisch aus Gras,besser kann man Nutztiere nicht halten.
    Und die schönsten (oder liebsten)Lämmer werden wieder Mütter vieler Lämmer.Der Kreis schließt sich....
    Werde hier wohl noch weiterlesen wollen.Bin über die Petition "Weideprämie"hier her verlinkt worden und auch ein vielbeschäftigter
    Schafsmensch.
    Es grüßt Kuhni von der Weser

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    1. Hi Kuhni,
      schöner Kommentar!
      Vielen Dank!
      Immer runde Schafe, gutes Futter und fitte Lämmer!
      Liebe Grüße
      Anna

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