Als ich
morgens zum Pferch komme liegt die Herde noch weit verteilt, satt und
zufrieden vom Vortag.
Erst
langsam erheben sich die Merinolandschafe, wissen sie doch, dass es
nun los geht.
So kann
ich mir einen ersten Überblick verschaffen, ohne vor Gedränge
nichts zu sehen.
Keine
kleinen Lämmer heute. Gut so, immerhin wurden die letzten Tage alle,
die mit prallen Eutern beim Laufen schaukelten wie Schiffe, dicke,
bauchige Lastkähne, in den Stall gebracht.
Da
hatte es heute morgen auch sieben neue Lämmer gegeben, eine Mama
sogar mit Drillingen.
Ich
lasse meine beiden Altdeutschen Hütehunde aus dem Auto. Ylva und
Lillebror sind vorfreudig und geladen. So beginnen sie ein wildes,
lautes Kampfspiel.
Ich
ermahne sie, sich zusammen zu reißen. Immerhin stehen jetzt alle
Schafe und sind vermutlich nicht weniger vorfreudig.
Doch
die Hunde müssen sich noch etwas gedulden. Ich öffne den Zaun, rufe
den lauten Lockruf: „Koooouuum! Koooouuum!“ und die Herde trottet
auf das Stück neben dem Pferch, verteilt sich zum Fressen.
Das die
Merinoschafe mir so selbstverständlich und bereitwillig folgen,
erstaunt und ehrt mich sehr. Immerhin ist es nun schon anderthalb
Jahre her, dass ich sie das letzte mal gehütet habe. Doch eine
Schafherde hat ein langes Gedächtnis.
Verwundert
war ich, dass sie, im Gegensatz zu mir, meinen Tigerrüde Lillebror
als völligen Fremden empfanden und anfangs einen Mindestabstand von
20 Metern zu seiner Grenze hielten. Lille wiederum war dadurch
gelangweilt, was ihn angespannt und unzufrieden machte. So strahle er
noch mehr Druck aus und ermutigte erst recht kein Schaf.
Aber
natürlich, bis auf eine Stunde im September, hatte die Herde Lille
auch seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen. Und da war er ein
kleiner Pups von sieben Monaten, der seine ersten Schritte an Schafen
wagte. Nun ist er ein, vor Energie strotzender, Zweijähriger.
Immerhin
gewöhnte sich die Herde schnell an ihn. Macht er doch wahnsinnig
Druck, rennt ein großes Merino auch mal einfach über den Haufen,
ist er gleichzeitig verlässlich und berechenbar. Lille würde nicht
aus der Grenze in die Herde knallen oder anderweitigen plötzlichen
Unsinn machen.
So
fressen sie bis an seine zu laufende Linie heran, was wiederum ihn
beruhigt und entspannt.
Er kommt in ein gleichmäßiges Pendeln, nur
mal unterbrochen von dem Suffolkbock, der es unbedingt und immer
wieder wissen will. Mit dem neckt sich Lille, bis er ihn sauber im
Nacken packt. Damit hält der Suffi erstmal einen halben Meter
Abstand zur Grenze.
Suffolkböcke!
In
allen Herden, die ich hüte, dass gleiche. Sie müssen zwanghaft den
Hund testen. Und es geht dabei nicht um das grünere Futter auf der
anderen Seite der Grenze, nein, denn zum Beispiel ein Teerweg bietet
definitiv nichts leckeres. Es geht nur darum den Hund zu ärgern.
Aber
zurück zu diesem schönen Morgen, an dem es ausnahmsweise mal nicht
Grotten regnet, schneit oder beides in Kombi, wie die letzten Tage.
Ich
baue den Nachtpferch, sechs Elektronetze, ab und behalte die Hunde
eisern in meiner Nähe. Zu hüten gibt es gerade nichts!
Im
Sommer stehen die Schafe Nachts meist in gerade drei Zäunen ohne
grün. Aber da kommen sie auch pappesatt rein. Jetzt, um diese
Jahreszeit reicht das Tageslicht einfach nicht, um sie ganz satt zu
bekommen. So braucht die Herde nachts noch einen Nachtisch. Außerdem
ist das Wetter saumäßig und die Tiere sollen natürlich keinesfalls
im Schlamm stehen.
So wird
jeden Tag wieder der perfekte Nachtpferch gesucht. Die Fläche muss
groß genug für sechs Netze a 50 Meter und mit grünem Gras
bewachsen sein. Der Bauer darf nicht schon Gülle gefahren haben,
auch nicht in den letzten sechs bis acht Wochen, sonst frisst kein
Schaf mehr. Die Wiese darf nicht zu nass sein. Regen und Schnee stört
kein Schaf, auch nicht auf dem Gras, doch ins Wasser legt es sich
definitiv nicht. Auch Kälte kümmert Schafe nicht, nur Starkwind, in
Verbindung mit Regen, das ist Mist. Ist es also stürmisch oder Sturm
angesagt, sucht man nach einer Pferchfläche mit Windschutz in Form
von einem Knick oder Wald.
Direkt
an die Straße legen wir die Herde auch nach Möglichkeit nicht.
Sollte etwas passiert, könnte das mit dem Verkehr gefährlich
werden. Außerdem möchte man sich den Nerv mit anzeigewütigen
Tierrettern ersparen.
Ja, es
ist für Schafe im Winter Witterungsschutz und trockene Liegeplätze
vorgeschrieben.
Wir
hatten das schon.
Zur
Definition:
Trockene
Liegeplätze bedeutet, die Schafe im Nachtpferch nicht in Matsch oder
sogar Wasser stehen zu haben. Ist es den Tieren zu nass, legen sie
sich zum Schlafen nicht hin.
Also
liegen die Tiere geht es ihnen gut.
Witterungsschutz
bedeutet, dass die Schafe bei Sturm und Starkregen einen Nachtpferch
mit Windschutz haben. Auch das ist gut zu erkennen: Frierende Schafe
stehen alle in einer Ecke des Pferches, dicht gedrängt, den Hintern
in den Wind. Kein weit verteiltes liegen oder fressen.
So bin
ich am Tag zuvor ein ganzes Stück gezogen, um diesen perfekten
Pferchplatz zu finden. Mehr Futter, außer dem Stück auf dem sie
während des Auf- und Abbaus fressen, ist hier nicht, also geht es
nun direkt weiter.
Ich
rufe die Herde und auf geht es, wir müssen ein ganzes Stück ziehen.
Wieder vorbei an den zwei Pferden, die mich gestern so geärgert
haben.
Der Weg
ist schmal und biegt auch noch im rechten Winkel ab, direkt an der
Pferdekoppel.
Als ich
mit den Schafen kam, gerieten die Pferde völlig aus dem Häuschen,
rannten wie verrückt am Zaun auf und ab. Zaun? Ein lumpiger Draht,
der eher die Pfähle hielt, als umgekehrt.
Die
Schafe blieben irritiert stehen.
Und
ich?
Ich
hatte sofort die Stimme meines Meisters im Ohr: „Du schickst keinen
Hund zwischen Pferden. Ein Tritt und der Hund ist hin!“
Doch
die Herde stand, die Pferde galoppierten zwischen mir und den Schafen
hin und her. Auf der anderen Seite war ein steiler Hang mit Gebüsch,
schickte ich dort den Hund, würde er die Schafe in die Koppel
drücken.
Ich
rief.
Nichts
bewegte sich, nur die Herde drückte immer breiter, da Schafe von
hinten schoben.
Also
komm, Ylva, geh mal!
Lille
hatte ich fest, das war kein Moment für übereifrige, kopflose
Jungspunde.
Ylva
lief, wich den aufgedrehten Gäulen aus und machte an der Herdenseite
druck.
Batsch.
Ein
Zaunpfahl knackte, brach und der Draht lag.
Oh,
bitte, lass die Pferde in ihrer Koppel, lass sie nicht zwischen die
Schafe laufen!
Und
endlich zog die Herde an, folgte mir zögerlich um die Kurve.
Nun war
auf der anderen Seite ein tiefes Tal, dort konnte ich Lille runter
stellen, Druck auf die Flanken der Herde machen lassen.
Die
Schafe liefen!
Ylva
abrufen und aufatmen.
Als wir
ganz an der Koppel vorbei waren, telefonierte ich, damit der
Pferdehalter erfuhr, dass der Zaun lag.
Ja und
da muss ich nun zurück.
Die
Pferde stehen wieder in der Spitze des rechten Winkels. Doch diesmal
rühren sie sich nicht, beobachten nur. So zieht die Schafherde ruhig
an ihnen vorbei.
Erleichterung.
Bald
sind wir zurück auf den Flächen, die ich die letzten zwei Tage
gehütet habe.
Auf einer steht es noch gut und die Schafe verteilen
sich weit, fressen.
Die
Wiese ist komplett mit Bäumen umstanden, die Hunde und ich haben
Pause.
So blöd
das die Hunde finden, ich esse mein Vesper und genieße den heißen
Tee.
Aber
bald ist es zwei Uhr und wir müssen noch eine große Landstraße
überqueren. Etwas was natürlich bei vollem Licht geschehen muss. So
rufe ich die Herde und weiter geht es.
Über
die nächste Wiese, am Ackerrand hoch auf einen Feldweg. Den
verlassen wir bald wieder und es geht weglos in den Wald. An der
Stelle, an der der Weg die Straße kreuzt, kommt nicht viel weiter
eine Anhöhe. Über die kommen die Autofahrer geschossen und sehen
die Schafe erst spät.
So wird
im Wald auf der Anhöhe gequert, Autos sehen einen dann beidseitig
von weitem.
Ich bin
etwas zu früh in den Wald gebogen, habe ich doch heute morgen die
Strecke zum ersten Mal gezeigt bekommen und auch da nur den
befahrbaren Teil.
Doch
ich finde die Straße, ziehe parallel bis auf die Anhöhe und sammle
die Schafe hinter mir, warte bis auch alle Nachzügler aufgeschlossen
haben.
Dabei
behalte ich die Hunde eisern bei mir, nun kein unbedachtes Laufen und
womöglich Schafe die abspritzen.
Ich
warte bis die Straße in beiden Richtungen frei von rasendem Verkehr
ist und steige über die Böschung auf den Asphalt, dabei laut
rufend.
„Kooomt!
Kooomt!“
Und die
Herde zieht an, folgt.
Sehr
schön!
Immer
ein kritischer Moment, denn zögern sie zu lange, kann es sein, dass
das nächste Auto kommt, was wegen mir einsamer Gestalt mit
Sicherheit nicht langsamer macht. Dann muss ich in diesen Sekunden
entscheiden, was ich tue. Entweder winke ich wie irre und hoffe, das
Auto hält, oder ich gebe die Straße frei, gehe zurück zur Herde,
die aber dann schon Laufbereit am Rand steht und hoffe, dass die
Schafe sich nicht auf die Straße schieben.
Auch
den Hund schicke ich ungern, treibt er zwar die Schafe an, aber auf
dem Rückweg quert er an den Schafen die Straße, während ich schon
auf der anderen Seite bin. Und wer weiß, was bescheuerten
Autofahrern in den Kopf kommt.
Das ist
auch der Grund, warum ich vor dem Queren warte, bis die Herde dicht
aufgeschlossen hat, denn auch zum Nachzügler holen schicke ich
keinen Hund.
Ein
Schaf an ein Auto zu verlieren ist tragisch, aber den Hund?
Nein,
das mag ich mir nicht mal vorstellen.
Doch
die Schafe laufen brav hinter mir über die Straße.
Die
Autos, die von links und rechts kommen bremsen ab, machen ihre
Warnblinker an und warten bis das letzte Tier drüben ist.
Wunderbar!
Weiter
geht es durch den Wald über schmale Wege.
Unter
Bäumen auf wilden Pfaden mit einer Schafherde zu wandern, völlig
egal zu welcher Jahreszeit, gehört für mich zu den schönsten
Momenten des Schäfersein.
Und
wieder erreichen wir kleine Wiesen. Die Schafe verteilen sich zum
Fressen und die Hunde ziehen ihre Bahnen, halten die Tiere vom jungen
Getreide fern.
Bei
einem Schaf platzt die Fruchtblase und nicht lange und ein Lämmchen
sucht, leise zirpend, auf wackeligen Beinen, nach der warmen Milch
seiner tief brummenden Mama.
Die
Herde frisst weiter und die Mutter führt ihr Lamm langsam nach, bis
das Müttertaxi kommt, sie in den Stall bringt.
Die
Sonne, die sich die ganzen Tage nicht gezeigt hat, färbt den Himmel
in einem letzten aufglühen rot und ich baue den Nachtpferch.
Es ist
dunkel, die Schafe eingepfercht, Strom auf den Zaun und Heim geht es.
Spät
abends, vor dem Schlafen, laufe ich zur letzten Runde hinauf zum
Stall.
Nochmal
durch die Hochtragenden gucken und Neugelammte mit Zwillingen extra
sperren.
Dann die Einzelbuchten durchsehen, alle Lämmer fit und
rund?
Die
Flaschenlämmer bekommen ihre Nachtmilch in der Lammbar mit
Warmhaltevorrichtung.
Gut
Nacht ihr Schafe!
Licht
aus.
Ich
verlasse den Stall.
Ylva
und Lille trotten müde hinter mir her.
Meine
kleine Reisekatze, die so tapfer in alle Betriebe in denen ich
arbeite mit kommt, springt um uns herum.
Es hat
ganz aufgeklart.
Über
mir erstreckt sich unendlich und weit funkelnder Sternenhimmel.
Der
alte Wachturm über dem Dorf ist dezent zu Weihnachten beleuchtet.
Stille
Nacht!
Heilige
Nacht!
Alles
schläft, einsam Wacht!