Lammzeit
1996
Ein
Wochenberichte vom 18.03. - 24.03.1996 aus meinem Berichtsheft:
Ich
sitze hier in einer Pause. An meinen Händen sind noch Reste von
Viehzeichenfarbe und Geburtsschleim. Diese Woche geht es nun richtig
rund. Dienstag 40, Mittwoch 32, Donnerstag 44, Freitag 51 Lämmer. 25
Flaschenlämmer, so viele Zwillinge wie nie zuvor. Während der
Arbeitszeit ist einer immer am „Lämmersortieren“, nach
Feierabend wechseln wir uns ab, um 20.00 Uhr, 22.00, 01.00, 04.00 Uhr
und dann Früh wieder. Mit anfangs 16 später 20 Einzelbuchten. Bei
so vielen Mutterschafen mit Lämmern heißt das: Mutterschaf mit Lamm
rein, Mutterschaf mit Lamm raus, teilweise stündlich, Zwillinge
sollen etwas länger drinnen bleiben. Keine Milch, will den Zwilling
nicht, will gar kein Lamm, kaum Milch, will das Lamm von der da
drüben, Lamm tot, also unterstoßen eines Flaschenlammes, an einem
Tag drei, also drei Einzelbuchten besetzt, Scheidenvorfall, kitzlig
am Euter, Schwergeburt, Tierarzt muss kommen, Gebärmuttervorfall,
bei den Nichttragenden findet sich ein neugeborenes Lamm …
Trotz
des Stress gehört die Lammzeit für mich zu den schönsten,
befriedigendsten Jahreszeiten. Wenn ich dann todmüde aber zufrieden
im Bett liege, gehe ich in Gedanken die Einzelbuchten nochmals durch
und sortiere im Traum Lämmer.
Ja,
viel hat sich da in den letzten 22 Jahren nicht geändert.
Hauptsächlich,
dass die Lammzeit nun nicht mehr zu meiner Lieblingsjahreszeit
gehört.
Die
Kräfte sind ja auch nicht mehr die selben.
So bin
ich froh nach vier Wochen eine Woche Pause zu haben, um etwas erholt
in die letzten drei Wochen zu starten.
Eine
Woche verändert viel.
Die
Herdenschutzhundwelpen sind ausgezogen.
Mutter
Yuna ist erfolgreich in das größere HSH Rudel integriert.
Nur ein
Welpe, Goran, bleibt und lebt weiter im Stall. Zur Seite hat er
seinen Vater Gunnar, der sich zwar mit Schafsböcken anlegt, aber mit
Schafen, Lämmern und kleinen Welpen die Sanftmut in Person ist. Auch
würde er nie über eine Hurde springen. Ein gutes Gespann.
Morgens,
während dem Füttern, sperre ich Gunnar auf eine Wiese, so kann ich
meine Hütehunde laufen lassen.
Für den Welpen ist das
Hundeabwechslung, für Ylva und Lillebror Bewegung und für mich
Hilfe. Lille räumt die Gangraufe frei, damit ich die Seiten runter
lassen kann, ohne Schafhälse zu quetschen. Und er hält Muttern und
Lämmer zurück, während Heurundballen in die Raufen gefahren
werden.
Hier ein Link zu einem Filmchen über das morgentliche Füttern:
Das
Gröbste ist nun geschafft, es sind 100 Muttern nach, die noch lammen
müssen.
Auch
die Spitzen mit über 30 Lämmern am Tag sind geschafft.
So
möchte ich in diesem Bericht auf Probleme in den Einzelbuchten
eingehen.
Wer
etwas empfindlich zu drastischen Beschreibungen und Bildern ist,
sollte sich vielleicht diesmal den Bericht schenken.
Ein
neugeborenes Lamm braucht Biestmilch oder auch Kolostrum genannt. Es
enthält wie die später gebildete
Mich Proteine, Enzyme,
Vitamine, Mineralien, Wachstumsfaktoren, Aminosäuren
und von der Mutter gebildete Antikörper, jedoch in wesentlich
höheren Anteilen. Damit wird das Lamm gestärkt und seine
Immunabwehr aufgebaut. Hat ein Lamm keine Biestmilch bekommen,
überlebt es in der Regel nicht.
So sucht ein Lamm auch, kaum auf den Beinen, nach dem Euter der
Mutter und trinkt.
Hierfür lasse ich Mutter und Lamm gerne etwas Zeit, bevor ich mich
einmische.
Ob das Lamm etwas im Bauch hat, lässt sich gut erfühlen. Bin ich
unsicher kann ich nun auch das Euter überprüfen, ist es schon
angetrunken? Oder noch durch einen Pfropfen verschlossen?
Dabei teste ich gleich beide Euterhälften, sind beide frei? Nicht,
dass eine einseitige Euterentzündung entsteht.
Lämmer die über längeren Zeitraum noch nichts im Bauch haben,
wirken erstmal nicht unbedingt unfit. Nur werden sie in ihrem Suchen
immer chaotischer, lutschen an Beinen, an Hurden, rufen, sind schnell
unterwegs. All das ist ein Zeichen, dass dringend Hilfe nötig ist.
Da muss nun schnell Milch rein.
So schiebe ich das Muttertier in der Einzelbucht in eine Ecke und
hake den Hinterfuß zu meiner Seite in die Hurde hoch. Das Lamm und
ich haben nun freien Zugang zum Euter.
Vorne halte ich das Schaf mit einem Arm, oder sogar nur mit einem
Knie, um die Hände frei zu haben. Mit denen steuere ich das Lamm ans
Euter.
Bin ich sicher, überzeugt und entspannt hält die Mutter brav still.
Beim Lämmersteuern ist das Wichtigste, möglichst wenig Zwang. Je mehr
ich festhalte, presse, je mehr leistet es Widerstand, trinkt nicht.
Sollte
ich es so nicht zum Saufen bekommen, setze ich die Mutter um, auf den
Hintern zwischen meine Beine. Das Lamm lege ich zwischen ihre Beine
vor das Euter. Nun greife ich mit einer Hand den Kopf des Lammes und
klemme mit dem Finger das Mäulchen auf, mit der anderen melke ich
Milch hinein. Ich schließe das Maul um die Zitze, hoffe auf
Schlucken. Fördern kann ich das noch mit streicheln des Lammhintern
oder leichte Stoßbewegungen des Lämmerkopfes gegen das Euter. Meist
fängt das Lamm nun an gierig zu saugen. Tut es das nicht, mache ich
eben weiter mit meinen Überredungskünsten.
Hat die Mutter keine oder nicht genug Milch gehe ich mit dem Lamm auf
Klauertour bei anderen frischen Einlingsmüttern. Sind keine da, taue
ich Biestmich im Wasserbad auf, nicht zu heiß, sonst gehen die
Inhaltsstoffe verloren.
Biestmilch eingefroren von Schafen mit viel Milch oder Ziegen ist
immer die beste Lösung. Es gibt auch unglaublich teures Pulver. Oder
man fragt beim nächsten Milchbauern an, für den sind ein, zwei
Liter Biestmilch nichts, kippt er sie oft sogar weg und bei uns
rettet das mal eben zehn Lämmer.
Hat das Lamm etwas im Bauch lasse ich Mutter und Kind erstmal wieder
in Ruhe.
Viele Dinge lösen sich mit Zeit und Ruhe von ganz von alleine.
Lässt ein Schaf ihr Lamm nicht trinken, kann das unterschiedliche
Gründe haben.
Mag sie einen ihrer Zwillinge nicht, kann ich nichts tun. Zumindest
habe ich noch kein Schaf dazu gebracht, das gehasste Lamm doch noch
zu nehmen. Und gerade bei diesen Schnucken, die doch schon so selten
zwei bekommen, kommt das ziemlich häufig vor.
Da habe ich dann ein Flaschenlamm.
Manchmal will eine Mutter aber noch nicht mal ihr eines Lamm. Gerade
bei Erstlammenden kommt auch vor, dass sie kitzelig am Euter ist,
oder zu aufgeregt zum stillhalten, oder ohne Verständnis dafür, was
das Lamm da unter ihrem Bauch will.
In meiner Ausbildung habe ich gelernt, dann das Schaf anzubinden. Mit
zwei Stricken oder breiten Spanngurten wurde die Mutter stehend an
der Hurde fixiert. Nicht zu fest, aber schon so, dass sie diese
Position nicht verlassen konnte. Wichtig dabei war, das die
Nachgeburt schon draußen war, man das Tier in Überwachung hatte, es
an Futter und Wasser gelangte und man es nicht zu lange hängen ließ.
Aber meist reichten auch schon ein, zwei Stunden. Denn nun konnte das
Lamm ohne Schwierigkeiten an das Euter und trinken. Und die Mutter
konnte fühlen, dass das gar nicht so ein Drama ist, konnte am
Hintern des Lammes riechen und es als ihres erkennen. Diese
Anbindemethode war fast immer von Erfolg gekrönt.
Und was mache ich, wenn die Mutter ihr Lamm sehr liebt und sie
genügend Milch hat, das Lamm aber nicht überlebt? Dafür gibt es
die unterschiedlichsten Gründe, Frühgeburt, im Bauch oder unter der
Geburt gestorben, im Fruchtwasser erstickt, lebensschwach, schwer
verkrüppelt, erkrankt, usw. Lämmertode sind vielfältig. Nun habe
ich da eine trauernde Mutter, die ihr Kind vermisst. Warum sie nicht
mit einem neuen beschenken, ihr eines unterstoßen?
Dafür „mäntel“ ich das neue Lamm.
Es
sollte ungefähr genauso groß oder kleiner als das Tote sein. Auch
sollte es noch erinnern, wie man aus einem Euter trinkt. Ein dickes
Flaschenlamm, das nur noch nach dem Menschen schreit, werde ich
keinem Schaf mehr andrehen können. Dazu sollte es hungrig sein.
Bestes Szenario ist, ich setzte das bemäntelte Lamm zu seiner neuen
Mutter und es strebt sofort zum Euter, fängt an zu trinken. Die
Mutter riecht am Hintern und erkennt ihr Lamm.
Sehr gut!
Zum Mantel selbst, hier gibt es unterschiedliche Methoden, ich
erkläre meine.
Das tote Lamm wird an einem Hinterfuß aufgehängt. Mit einem
scharfen Messer ringele ich die beiden Hinterbeine und schneide dann
von einem Bein zum anderen eine Linie durch die Haut.
Nun ziehe ich das Fell ab, den Schwanz lasse ich am Fell, trenne nur
den Knochen vom Rumpf.
So kann ich das Fell, wie man einen Pullover auszieht, von dem Lamm
ziehen.
Hängt der Mantel nur noch umgekehrt an Kopf und Vorderbeinen
ringele ich auch hier und ziehe ihn ab.
Nun drehe ich alles wieder richtig herum und ziehe das ganze dem
Mutterlosen wie ein T-Shirt an. Wichtig ist, dass der Hintern
abgedeckt ist. Eine zweite Geburt für das Lamm.
Der Mantel bleibt so lange drauf, bis es darunter genauso entsetzlich
stinkt. Nun wird das alte Fell stückweise von dem Lamm geschnitten.
Dieses Jahr kann ich sagen, dass wirklich jedes bemäntelte Lamm, und
es waren einige, von den Müttern angenommen wurden.
Und wenn sich keine liebende Mama findet?
Was dann?
Dann muss der Zwerg wohl mit der Flasche aufgezogen werden.
Flaschenlämmer.
Oh, Flaschenlämmer.
Nun mach ich das ja auch schon seit fast 30 Jahren.
30 Jahre Flaschenlämmer.
Nein, definitiv schon lange nicht mehr mein Lieblingszeitvertreib.
So möchte ich auf keinen Fall Zeit mit unnötigem Getüddel vertun.
Was heißt ich renne nicht mit Nuckelflaschen und Thermoskannen durch
den Stall.
Es geht mir darum, das Lamm möglichst schnell an die Lammbar zu
gewöhnen.
Lammbar ist ein Eimer mit bis zu sechs Saugern, den ich an einer
Halterung auf Stehhöhe der Lämmer anbringe und aus dem sie dann die
Milch trinken.
Beachtet man ein paar Dinge, ist es kein Hexenwerk und ziemlich
schnell trainiert.
Das wichtigste, der Sauger auf der Flasche muss von der gleichen Art
wie die an der Lammbar sein.
So kann ich das kleine Babylamm, dass noch nichts weiß und erst
Trinken lernen muss, auf meinem Schoß anlernen. Auch hierbei gilt,
je weniger ich halte und zwinge, je eher trinkt das Lamm.
Ist das Lamm so weit, gierig zu saugen, ist es ein leichtes, es an
die Lammbar zu schieben.
Habe ich schon Lämmer die gut an der Bar saufen, lernen die
Neuzugänge sogar oft von alleine dort auch zu trinken.
So stelle ich auch immer zuerst die Lammbar auf. Dann füttere ich
mit der Flasche die Lämmer, die noch irgendwo in Einzelbuchten bei
Müttern sind. Zwischendurch fische ich alle Lämmer deren Bäuche
prall wie Ballons sind von der Bar, sperre sie weg. Platzen sollen
sie ja nicht und so haben nun andere Raum zum Trinken. Erst zum Ende
schaue ich, ob alle Mägen ausreichend gefüllt sind. Bei jüngeren
Lämmern füttere ich gegebenen Falls noch Flasche nach, bei älteren
unterstütze ich ihr Trinken an der Bar.
Dieses Jahr bringe ich nicht fertig, liebenden Schafsmüttern mit
nicht ausreichend Milch ihr Lamm abzusetzen. So kommen sie in eine
Bucht direkt neben den Flaschenlämmern. Ich kann ihre Lämmer zum
Trinken an die Bar setzen und später zurück zu ihren Müttern.
Die liebe zwischen Mutter und Lamm, diese innige Bindung ist und
bleibt das, was mir am meisten Freude macht!