Anfang Dezember.
Zurück
in der nassen Eifel.
Von
Schleswig-Holstein bis in den Taunus, überall zu wenig Regen.
In der
Eifel nicht.
Regen,
Regen, Regen.
Schon
okay, dafür bin ich gerüstet.
Zwei
Wochen war ich weg und die Schafe erinnern sich noch.
Zumindest
an das Schlechte.
Das war
doch die, mit den fiesen Hunden.
Panik
schon als wir aus dem Auto steigen.
Vielen
Dank!
Also
wieder das alte Programm.
Ylva,
meine erfahrene Strobelhündin, mit viel Abstand und auf den Punkt
arbeiten lassen.
Und
Lille, meinen überschäumenden dreijährigen Tiger, nur in klaren
Grenzen, an denen er sich fest halten kann, die die Schafe als „no
go“ klar erkennen können.
Und
dann erinnern sie sich doch auch an das Gute.
Das war
doch die, die einen zu leckerem Futter geführt hatte!
Das
waren doch die Hunde, die, wenn man sich an die klar
nachvollziehbaren Regeln hielt, absolut verlässlich freundlich
waren.
Wir
fangen an das Hüten zu genießen.
Eigentlich
sollten die Schafe ja lammen. Dafür bin ich hier, um zu
unterstützen.
Aber
die ersten drei Tage kommt nichts.
Ich hab
gleich ein schlechtes Gewissen.
So
wenig zu tun.
Dabei,
mit morgens Hütehunde bewegen und versorgen, Stall füttern, zur
Herde fahren, Nachtpferch bauen, Hüten... damit ist der Tag auch gut
rum.
Außerdem
füttere ich dann eben noch bei den Einstellpferden mit.
Pferde.
Wunderschöne
Tiere.
Und mir
total fremd.
Heißt
angelegte Ohren nicht schlecht gelaunt?
Ich
kann sie nicht lesen, gar nicht.
Deswegen
habe ich als Jugendliche auch schnell jeden näheren Kontakt
aufgegeben. Immer
mit einer gewissen Erleichterung, keine Pferdeleidenschaft zu haben.
Spart viel Zeit und Geld.
Jetzt
finde ich spannend, dass ich zu diesen Tieren keinerlei Gefühl habe,
wo ich doch hingegen bei Hunden, Schafen, Katzen sehe oder auch
spüre, was sie denken.
Na, die
Pferde bleiben bei dem Wetter immerhin im Stall. Nicht,
weil sie lieber drinnen wären, nein, sie müssen, damit sie die
Weiden nicht unterpflügen.
Da
haben es die Schafe auf ihren Winterweiden deutlich besser. Nur ich
muss mit ihnen im Regen stehen. Und der wird von Tag zu Tag doller.
Dazu kommt sogar noch Wind.
Fast
wie Zuhause in Schleswig-Holstein.
Den
ganzen Tag im strömenden, kalten Regen arbeiten, das kostet egal wie
Kraft.
Als ich
abends rein komme, werde ich gefragt, ob es nicht heute so ein Tag
war, an dem ich meine Berufswahl bereue.
Was?
Heute?
Nein!
Denn
dieses Gefühl, nach solch einem Tag abends ins warme Haus zu kommen!
Unbeschreiblich!
Aus den
klammen Stiefeln schlüpfen.
Den
aufgequollenen und doch noch dichten Filzhut von den strähnig am
Kopf klebenden Haaren lupfen.
Die
nassen Sachen vom Körper schälen.
Den
Modder mit warmem Wasser und Seife von den Händen schrubben.
Rot
glühende Wangen spüren.
Auf
einer Toilette sitzen, und nicht den kalten Hintern in den Regen
halten müssen, an der Regenhose vorbei zielend.
Unter
die heiße Dusche steigen, harte lösende Strahlen auf verspannten
Rückenmuskeln.
Frische
Hausklamotten.
Heißer
Tee und warmes Essen.
Und
dann ins trockene Bett.
Die
müden Glieder, der müde Geist.
Alles
streckt und rekelt sich.
Absolut
zufrieden!
Der
Himmel auf Erden!
Dieses
Gefühl bekommst Du nicht, wenn Du Dich vielleicht gerade mal zwei
Stunden mit dem Hund raus gequält hast.
Und es
ist eines der schönsten in meinem Beruf!
Und
dann fangen sie doch an zu lammen.
Noch
nicht viele, ein zwei am Tag.
Reicht.
Ich
hatte im letzten Bericht erwähnt, dass es sehr ursprüngliche Schafe sind.
Was
heißt, sie lammen absolut problemlos, stören sich nicht an dem
Wetter. Lämmer die schnell auf den Füßen sind, sofort das Euter
finden, dick und rund bei ihren zuverlässigen Müttern stehen.
Was
will man mehr?
Nja,
dem Lamm nach laufen wäre auch nicht schlecht.
Aber
nein, so gut kennen wir Dich ja nun auch nicht! Wenn Du mir das Lamm
klaust, muss ich es aufgeregt suchen.
Aber
Dir zu dem Hänger folgen?
Nö!
Auf
keinen Fall!
Es sind
nicht alle Mütter gleich schlimm. Manche bekomme ich mit viel Tricks
bezirzt, andere aber gar nicht.
Da muss
ich dann die Herde eng stellen.
Weil
das ja so wunderbar funktionierte.
Aber
was muss, das muss.
Mit
Ylva dränge ich die Schafe vorsichtig, mit möglichst wenig Unruhe,
in eine Ecke des Pferches.
Lille
hyperventiliert derweil im Auto. Wie kann ich nur wagen, ohne ihn zu
arbeiten?
Und so
bekomme ich dann die unwillige Mutter gefangen, da ihr Fluchtweg durch andere Schafe versperrt ist. Nun muss ich sie nur noch
zum Hänger schleifen, wo sie sich dann über ihr Lamm freuen kann.
Mehr zu Lammzeit im Freien:
Frühjahr 2017
Zombies in der Lammzeit
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Frühjahr 2017
Zombies in der Lammzeit
Das
Zusammenstellen der Schafe funktioniert doch erstaunlich gut. Sie
haben sich mit mir und meinen Hunden arrangiert. Da kann ich das doch
auch gleich mit Lille trainieren, dem das ruhige Arbeiten in so einer
schnell hoch gepuschten Situation noch sehr schwer fällt. Und dem
ein oder anderen Schaf die Klauen schneiden. Lang geht das eh nicht,
höchstens zwanzig Minuten. Immerhin steht der Pferch auf
Bauernwiesen und die wollen wir ja nicht schwarz machen, zertreten.
Dann
geht es hüten. Zufrieden fressende Schafe, fleißige Hunde,
Schäferglück.
So
eingespielt könnte ja Routine einkehren.
Aber
nein, der Nachbarschäfer zwei Täler weiter muss drei Tage auf eine
Fortbildung.
Und ich
bin die Vertretung.
Zwei
Tage vorher zeigt er mir alles.
Es sind
auch Schwarzkopf-Kreuzungen, aber größer, mit doch deutlichem
Merinolandschaf-Einschlag.
Für
die drei Tage gibt es einen riesigen Schlag Gras, eigentlich könnte
man auch komplett koppeln. Lammen werden sie auch nicht.
Wozu er
mich dann überhaupt braucht?
Ja, so
hätte es auch ein Freund bewerkstelligen können. Aber wir hatten
den Termin schon lange abgesprochen, da wusste er noch nicht, wo die
Herde steht. Und er ist einfach froh, mich verlässlich gebucht zu
haben.
Das ist
doch schön.
Über
Nacht kann ich in dem ersten Betrieb bleiben, brauche also nicht mal
mein ganzes Geraffel und Reisekatze umziehen.
So
breche ich am ersten Morgen mit dem schönen Gefühl auf, einen
wirklich entspannten Tag vor mir zu haben.
Höre
ich da den ein oder anderen schon lachen?
JA!
ICH
HABS VERGESSEN!
Die
erste Schäferregel.
Sage
NICHT, dass heute ein entspannter Tag wird!
Niemals!
Wirklich
NIEMALS!
Hört
auf zu kichern!!!
Mir ist
da eher zum Heulen.
Als ich
ankomme, steht die Herde in acht Netzen bestem Futter, pappe satt.
Aber
Lämmer über Lämmer.
Zwei
mal Zwillinge, drei Einzelne und ein Schaf am Machen.
Letztere
hat Schwierigkeiten.
Woher
ich das weiß?
Das ist
das Problem für Anfänger in der Schäferei.
Ich
kann nicht erklären, woher ich es weiß.
Das ist
etwas was Zeit, Gefühl und Erfahrung lehrt.
Das A
und O in der Schäferei.
Schafe
beobachten.
Sie
zeigen bei Problemen keine deutlich beschreibbare Symptome.
Und ich
muss sie trotzdem wahrnehmen.
Und so
weiß ich, dass dieses Schaf Schwierigkeiten bei der Geburt hat.
Ich
lade erstmal alles auf, was gelammt hat.
Die
Muttern laufen hier nicht besser, als in der anderen Herde.
Im
Gegenteil, sehen sie mich und die Hunde heute doch zum ersten Mal.
Nie
würde ich auf die Idee kommen, eine fremde Herde die uns nicht kennt
zusammen zu stellen, um einzelne Tiere raus zu fangen.
Aber
was muss, das muss.
Die mit
den dicken Einzellämmern könnten ja draußen bleiben.
Zwei
davon laufen aber auch.
Zwillinge
und Schwergeburt, die müssen.
Herde
zusammen stellen.
Also
Lille zum empört Kreischen ins Auto gesteckt.
Ylva
ist die bessere Wahl, immerhin kennen die Schafe schwarze Hunde.
Ich
präge mir die Schwergeburt ein. Groß, weiß, um jedes Auge einen
braunen Ring. Hinten sieht man nichts, nur etwas Feuchtigkeit.
Nun
rufe ich den Hund, schiebe mit ihm die Herde in die Ecke des Pferches
nahe dem Hänger. Dabei lasse ich das Schaf nicht aus den Augen.
„Ylva!
Was machst Du?“
Blick
nach dem Hund.
„Hör
auf Nachgeburten zu fressen! Arbeiten.“
Und
damit habe ich das Schaf verloren.
Langsam
wandere ich durch die Herde.
Wo ist
sie?
Oh,
gibt es da viele Weiße mit braunen Augenringen.
Such.
Nein,
ich finde sie nicht.
Muss
ich halt warten, bis sie wieder presst.
Doch!
Da ist
sie!
Woher
ich jetzt weiß, dass sie die ist?
Kann
ich wieder nicht erklären, nur, dass sie es ist.
Mit der
Schippe angehakt und kurz nachgefühlt. Ja, da liegt etwas falsch.
Aber erstmal Heim zum Betrieb.
Dort
sind Einzelbuchten aufgebaut: „Ich bau ein paar Buchten auf, nur
für den Fall. Sie könnten zwar lammen, aber haben die ganze Zeit
nicht. Da werden sie die drei Tage auch nicht.“
Jo.
Ich
verstaue die Schafe mit ihren Lämmern in Buchten.
Dann
laufe ich über den Betrieb. Es ist ein großer Hof mit jede Menge
Einstellpferden, fetter Reithalle und allem drum und dran was jedes
Pferdemädchenherz höher schlagen lässt.
Ich
finde jemanden vom Hof, der auch gerne mitkommt, mir hilft.
Ich
angel das Schaf vom Hänger, lege es auf die Seite und bitte, es
einfach ruhig zu halten, damit ich entspannt helfen kann.
Ein
Lamm liegt normalerweise mit dem Schnäuzchen auf den Vorderfüßen
und rutscht so durch den Geburtskanal.
Dieses
Lamm hat die Vorderbeine weiter zurück und die Nase liegt auf die
Brust geklappt. Nun wird mit dem Pressen der Hinterkopf geschoben.
Unmöglich, dass es so raus kommt.
Ich
schiebe es gegen die Wehen zurück in die Gebärmutter und richte den
Kopf richtig auf den Füßen aus. Nun versuche ich zu ziehen. Aber
auch, wenn es ein kleines Lamm ist, zusammen mit meiner Hand passt es
nicht durch den Geburtskanal. Auch die Füße bekomme ich nicht richtig zu fassen. Was nun? Eine Schnur um den Kopf müsste
helfen.
Ich
überlasse das Schaf kurz den haltenden Händen meiner Hilfe und
suche mir eine Strohschnur.
Doch
als ich zurück bin, ist das Lamm durch die nun richtige Lage ein
ganzes Stück weiter vor gerutscht. Ich bekomme es auch so raus.
Ein
totes Frühchen.
Arme
Mama.
Sie
kommt zur Erholung in eine Einzelbucht.
Ich
lasse mir noch eine Waschmöglichkeit zeigen, bedanke mich herzlich
für die Hilfe und eile, die Herde müsste nun doch langsam Hunger
haben.
Doch
wie war das mit fremden Schafen?
Da
stehen sie auf dem frischen leckeren Futter, dicht gedrängt mittig,
beäugen mich und die Hunde misstrauisch.
Kommt
Schofis! Wir sind harmlos!
Und ich
bin so platt von dem Vormittag.
Und
ungeduldig.
Kurz
überlege ich, einfach einen großen Zaun zu bauen.
Dann
könnten sie ungestört fressen und ich habe meine Ruhe.
Aber
das würde ja das Problem nur nach hinten verlagern.
Die
Schafe würden sich nicht an mich oder die Hunde gewöhnen und wenn
ich etwas an ihnen machen muss, wäre es weiter die Katastrophe.
Also
lasse ich die Hunde in ihren Grenzen, schaue den Schafen beim
Nichtfressen zu.
Humpf.
Doch
auch hier ist es erstaunlich, wie schnell sie umschalten, anfangen zu
fressen. Erst zögerlich und dann mit großem Hunger. Als sie merken,
dass ich und die Hunde keine Gefahr sind, geht es auch gleich einen
Schritt weiter.
Dann
kann man anfangen zu drücken.
Auf der
anderen Seite des Hundes schmeckt es sicher besser!
Nachdem
auch das geklärt ist, verteilen sie sich weit, fressen ruhig.
Als
hätte sie darauf gewartet kommt die Sonne raus, bescheint uns in
totaler Schäferromantik.
Doch
sie lammen weiter.
Und ich
beschließe, alle mit runden, fitten Einzellämmern draußen zu
lassen.
Nicht
nur, um meine Kräfte zu wahren. Es reicht mir, die mit Zwillingen
zu fangen und zum Hänger zu zerren, so ein Merinomix ist ja auch
kein Leichtgewicht, auch um die Wiese zu schonen. Wie gesagt,
Fremdwiesen schwarz machen kommt bei dem Eigentümer nicht gut.
Man
will ja im nächsten Winter wieder drauf.
Am
anderen Morgen erwartet mich wieder einiges an neuen Lämmern, aber
nur einmal Zwillinge und eine, bei der nur der Lämmerkopf raus
hängt.
Sch***
Gefangen.
Das
Lamm ist tot, und deutlich auch schon lange. Damit meine ich, es ist
nicht unter der Geburt gestorben, sondern das Mutterschaf stößt den
sich schon zersetzenden Leichnam ab. Doch ist das Lamm riesig und der
Geburtskanal komplett trocken. Dazu ist die Mutter zappelig und
unruhig. Ich entschließe mich zur gleichen Aktion wie am Tag davor.
Die
Fracht zum Betrieb gefahren und gucken, ob ich jemand finde. Zwei
Frauen und ein Mann stehen um ein Pferd herum. Ich grüße und frage,
ob jemand vom Hof da ist.
„Nein.
Sind schon alle weg. Weshalb?“
Ich
erkläre meine Situation und sage, dass ich mich einfach freuen
würde, wenn mir jemand das Schaf hält.
Die
eine Frau quietscht: „Ühh, das kann ich nicht!“
Die
andere, die vor dem Pferd kniet, am Huf am machen ist, sagt: „Hält
das Schaf nicht still?“
„Doch.
Vermutlich schon. Ich finde es nur ganz nett, wenn jemand sie sicher
hält.“
„Also,
ich hatte nie das Glück,
dass da jemand zum Halten war!“
…
„Vielen Dank!“
Die ganzen Wörter mit F gibt’s nur in Gedanken.
Ich hole das Schaf vom Hänger, lege es hin und mache mich an dem
Lamm zu schaffen.
Da alles so trocken ist und ich keine Ahnung habe, wo ich
Gleitschleim finden könnte, ist es ziemlich schwierig. Zurück
schieben geht nicht. Manchmal bekommt man ein Lamm auch nur am Kopf
raus. Nicht dieses mal. Ich muss an zumindest einen Fuß kommen,
diesen greifen und raus ziehen. Was schließlich auch gelingt. Das
Lamm kommt. Kurz droht das Bein abzureißen, es ist eben nur noch ein
Kadaver. Aber dann kommt auch der Rest.
Mama! Du hast es geschafft.
Und so brav still gehalten.
In eine Einzelbucht mit Dir.
Schnell zur Herde.
Und FOR YOU.
Ich bin 42 Jahre.
Habe den Sinn des Lebens erreicht!
Habe mehr Lämmer alleine aus Gebärmüttern gepult, als sich nur
ansatzweise zählen lässt.
Ich habe es nicht nötig, mich da zu beweisen.
Wirklich nicht.
Und wenn jemand am Kopf des Schafes ist, eine ruhige tröstende Hand
am Hals der Mutter, dann kann ich hinten einfach entspannter meinen
Arm in die pressende Gebärmutter tauchen.
For you!
Das Hüten ist heute noch mal schwieriger. Die frischgebackenen
Mütter, die zwar mir mit ihren Lämmern im Leben nicht auf den
Hänger folgen würden, bleiben brav bei ihrem Neugeborenen.
So stehen an unterschiedlichen Stellen auf dem Stück ein Schaf mit
Lamm.
Vielleicht erinnert sich der ein oder andere, wie Ylva auf so etwas
reagiert...
Genau, sie stellt das Arbeiten komplett ein.
Die Mütter könnten ja gefährlich sein.
Nö, sie macht nichts mehr, außer Nachgeburten mampfen.
Ein Glück, dass ich tags zuvor gehütet habe. So haben die Schafe
diesen riesigen, hellen, druckstarken Tiger schon einmal erlebt, mit
dem ich nun alles machen muss. Da fällt mir dann erstmal auf, wie
viele von den diffizilen Hütesituationen ich Ylva regeln lasse.
Und wie angenehm es ist, einen Hund für die Mannseite und einen für
die Außenseite zu haben.
Das muss nun alles mit Lille gehen.
Geht es auch.
Aber es kostet Energie und ich bekomme nicht mal eine Tasse Tee am
Tag getrunken. Schön, dass ich die volle Kanne mit schleppe.
Wenn Ihr Euch das jetzt gerade alles vorstellt, vergesst nicht den
Wind, die fünf bis sieben Grad und den Regen.
Und da ist auch schon der dritte und letzte Tag.
Drei Schwergeburten an drei Tagen?
Das wird nicht passieren!
Selbst zwei sind doch schon total ungewöhnlich.
Als ich ankomme gibt es nur einmal Zwillinge. Die Mutter folgt sogar.
Aber in den Hänger steigt sie nicht. Oder doch, bleibt aber nicht
drinnen, rennt davon, wenn ich näher komme.
Also die Herde zusammen
gestellt und sie gefangen. Kaum hab ich sie, stellt sie sich tot, was
heißt, ich muss diesen 80 kg Sack zum Hänger schleifen. Aber ich
schaffe es und alle Einlinge sind gute Mütter, können bleiben.
Eine ist am Machen, aber noch nicht lange, wir gehen hüten.
Zwei Stunden später ist klar, dass sie Probleme hat.
Die Herde auf altes Futter geschoben, zusammen gestellt.
Wo ist sie jetzt?
Ach, da. Gefangen, Hund mach Platz!
PLATZ!
ES IST NICHTS ZU TUN!
Zumindest für Hund nicht.
Bei dem Schaf rein gegriffen und ein Schwänzchen gefühlt.
Steislage.
Manchmal geht das auch so.
Aber nicht hier.
Das Lamm tiefer rein geschoben, nach den Hinterbeinen geangelt und
diese vorsichtig nach hinten ausgeklappt. Nun zügig das Lamm
gezogen. Schnell ist wichtig, da der Kopf ja noch drin ist, wenn die
Nabelschnur reißt.
Diese Sorge ist überflüssig, das Lamm ist tot.
Ich lange noch einmal rein, zur Sicherheit.
Da ist ein Zweites. Auch hier der Hintern zu mir.
Als ich es raus habe, wirkt es nicht ganz so tot.
Ich befreie es vom Schleim, rubbel, massiere, klopfe.
Nach einer viel zu langen Ewigkeit holt es plötzlich Luft, fängt an
zu atmen.
Viel zu lange, weil es mehr nicht tut.
Nichtmal ein Kopfwackeln, kein Saugreflex.
Nur atmen.
Die Mutter steht auf, geht, keine Lust auf diese Lämmer.
Und lange atmet das Kleine auch nicht.
Gesund war es im Bauch neben dem toten Geschwisterchen sicher nicht.
Für mich Schäferalltag.
Ja.
Und doch.
Mist!
Es ist nicht ungewöhnlich.
Lammzeit heißt, dass viele Schafe auf einen Zeitpunkt Lämmer
bekommen.
Früh- und Todgeburten kommen nun mal meist früher.
So ist es häufig, dass die Lammzeit mit Toten beginnt.
Gar nicht außergewöhnlich.
Zufall, dass es genau meine drei Tage sind.
Und doch bin ich fertig.
Auch körperlich.
Mir tut alles weh.
Fertiger als ich zugeben mag.
Vor mir.
Vor anderen.
Abends bin ich in einem tiefen, schmerzenden Loch.
Denn damit kommen die Monster.
Die Selbstzweifel.
Was bin ich für eine Schäferin, wenn mir so bisschen Lammzeit so
zusetzen?
Tauge ich überhaupt für meinen Beruf?
Kann ich überhaupt noch?
Will ich überhaupt noch?
Schmerz der mir die Beine weg zieht.
Das Herz durchbohrt.
Wackelig an Körper und Seele kehre ich am nächsten Tag zu der
vertrauteren Eifelherde zurück.
Fünf Lammungen.
Vier folgen mir brav auf den Hänger.
Nur mit der fünften muss ich kämpfen.
Die Herde versucht beim Verladen neben mir aus dem Pferch zu
schlüpfen.
Ich bin doch die, mit dem frischen Futter.
Sie freuen sich über mich, gucken nach mir.
Mir geht das Herz auf.
So gerne habe ich sie!
Am Abend gebe ich mir einen Ruck, thematisiere vorsichtig, wie es mir
am Tag zuvor ging.
Nicht um Mitleid zu bekommen.
Oder Verachtung.
Sondern weil ich eigentlich überzeugt davon bin, dass es ein Schritt
ist, ehrlich über seine Monster zu reden.
Am nächsten Morgen erhalte ich das Angebot, dass mit raus gefahren,
die Lämmer abgesammelt werden.
Und sofort ist es da, das schlechte Gewissen.
Nein, natürlich schaffe ich das alleine.
Überhaupt jammere ich doch auf hohem Niveau.
Die Schafe gebären problemlos, kümmern sich um ihre Lämmer. Diese
sind sofort fit, auf den Füßen, finden das Euter, unberührt von
allen Wettern.
Da kenne ich es auch ganz anders. Vertauschte, verlorene, schwache
Lämmer, nicht vernünftig Milch, will das Lamm nicht usw.
Was ist dagegen schon, dem Lamm nicht zu folgen, wenn ich es trage!
Als ich raus komme sind es acht Mütter und neun Lämmer.
Die bekomme ich nicht mal alle auf den kleinen Hänger.
Durchatmen.
Mut fassen.
Mir einen Tritt geben.
Und das Telefon greifen: „Du hattest doch heute morgen angeboten
mit raus zu kommen. Du hattest recht! Könntest Du mit dem großen
Hänger kommen? Vielen, vielen Dank.“
Ja.
Ich.
Deren Mantra ist: „Ich schaffe das alleine!“
Vermutlich auch so eine Schäferkrankheit.
Ohne die wir den Beruf nicht machen könnten.
Ich kann mich dem jetzt, während ich den Nachtpferch umbaue, auf die
Verstärkung warte, genauso gut stellen.
Das die Pferdefrau mit ihrem doofen Spruch getroffen hat, wie mit
einem Dolch.
Das sind meine eigenen Monster.
Meine eigenen Schuldgefühle.
Nicht zu genügen.
Nie genug zu sein.
Nicht das zu leisten, was andere nebenbei machen.
Und doch der unbedingte Wille tatsächlich mehr auf mich zu achten.
Ehrlich gegenüber anderen und besonders mir zu sein, wie es mir
geht.
Etwas, was so, so, so schwer ist.
Ein Grund für meine Selbständigkeit als Aushilfsschäferin.
Da kann ich sagen, da habe ich Zeit und da nicht.
Da kann ich ganz klar meinen Kindern den Vorrang geben, deren
Anspruch auf eine intakte Mutter.
Und sollte ich mal so krank sein, dass abgesprochene Arbeit nicht
geht, braucht mich immerhin keiner bezahlen.
Angestellt?
Ich weiß nicht ob ich die nötige Achtsamkeit schaffen würde. Trotz
aller erlangten Weisheit.
Immer habe ich mich weit hinter dem Betrieb angeordnet.
So sind wir Schäfer.
Doch auf der anderen Seite, wie viele halten auf Dauer durch?
Seelisch?
Und Körperlich?
Nein.
Ich will! Ich habe! Für mich zu sorgen!
Nur ich kann mich selbst retten!
Ich weiß, die meisten Schäfer leben nach dem Motto:
Ich habe keine Zeit für mein burn out.
Oder nach der alten Soldatenweisheit:
Wenn Du nicht mehr kannst, hast Du erst 20% Deiner Kräfte
mobilisiert.
Die aber müssen mit 60 auch nicht mehr durch Schützengräben
hopsen.
Wir hingegen ...
Und dann kommt die Unterstützung, zeigt mir, wie ich mit dem
Elektrozaun zwei kleine Fächer vor den Hänger baue. Die Herde wird
ruhig davor platziert und nun die Mütter mit ihren Lämmern da rein
gesteuert. Vor dem Hänger können sie nochmal zur Ruhe kommen, sich
mit ihrem Lamm zusammen finden. Alles ganz ruhig und entspannt.
Dann wird erst die Klappe geöffnet, sie auf den Hänger getrieben.
Nur eine muss wirklich gefangen werden, bekommt mit einem dünnen
Seil ein Halfter und wird so zum Hänger geleitet.
Ruhig und Entspannt.
Ja, das kostet Zeit.
Bis die Hängerklappe hinter der letzten schließt ist es drei Uhr.
Aber ich kann ja noch bis ins dunkle Hüten und der Pferch für die
Nacht ist groß mit ordentlich Fallobst.
Also alles entspannt.
Anna! Entspanne!
Dieses Leben lohnt sich!
Und immer wieder, jeder kann sich nur selbst retten!
Trotzdem vielen Dank an alle, die mich mögen, unterstützen und
schätzen.
In diesem Sinne allen die bis hierher gelesen haben:
Besinnliche Weihnachten.
Und einen guten Start ins neue Jahr.
In die richtige Lammzeit.
Passt auf euch auf!
Der Frühling kommt gewiss!