Von der
Eifel geht es weiter in den Taunus.
Zwei
Jahre ist es nun her, dass ich das letzte Mal hier gearbeitet habe.
Gleich
am ersten morgen fahren wir mit zwei Hängern zu einem
Nachbarschäfer, 20 Schafe kaufen.
Warum
kauft ein alter Betrieb mit lange etablierter Herde Mutterschafe zu?
Sicher,
es sind mit die stattlichsten, bestversorgten Merinos die ich je
gesehen habe.
Aber
damit braucht sich der Betrieb auch nicht verstecken, definitiv
nicht.
Also
warum?
Es sind
die letzten.
Die
Zwanzig letzten.
Einer
Ära.
Eines
Schäferlebens.
Zu
ende, vorbei.
Die
Gesundheit schafft selbst diese Zwanzig nicht mehr.
Ein
Lebenswerk, zu ende.
Da ist
es ein gutes Gefühl, dass zumindest diese letzten in einer Herde
aufgehen die es Wert ist.
Wir
führen die üblichen Schäfergespräche.
Und,
ach, wenn es Dir langweilig wird, wir machen Dir den Stall voll.
Also im
Frühjahr, wenn Du wieder fit bist, kommste sie wieder holen!
Das ist
ganz einfach, Du kommst, rufst, und alle 20 werden die Herde
verlassen und zu Dir kommen.
Das
glaube ich sofort.
Es
reicht ein Ruf von ihm und sie folgen treu auf die Hänger.
Abschied.
Etwas
was so vielen Schäfern dieser Tage blüht.
Keine
Kinder die das Lebenswerk übernehmen wollen.
Kaum
Stallfläche, keine Zahlen die in irgendeiner Weise zum Weiterführen
einladen. Oder keine Pflegeflächen, eigenes, oder Pachtland, was
ganz andere Werte hat, wenn es denn nicht mehr Schafweide ist.
Der
Schmerz einer aussterbenden Zunft.
Und der
Stolz.
Ein
rechter Schäfer ist immer bei seiner Herde, 365 Tage im Jahr.
Und dann bist Du das, arbeitest Deinen Rücken krumm und für was?
Nicht
nur, dass Deine Kinder es garantiert anders haben wollen.
Das
auch.
Aber
war es ein florierender Betrieb?
Hieß nicht jeder Schaden am Betriebsauto schlaflose Nächte?
Ganz zu
schweigen von Trockenheit, Nässe, Kälte, Hitze, Gülle, Moderhinke,
Blauzunge, Futterpreise, Haarlinge, Lämmer...
Dann
kommt 2019.
Und der
Markt, der schon seit Jahren gerade mal die Hälfte des Kilopreis für
das Lamm zahlt, der einen Betrieb tragfähig macht, nun bricht er
total ein. Es werden einfach die Lämmer nicht mehr abgenommen.
Preise von 2 Euro das Kilo Lebendgewicht. Oder der Händler geht
nicht mal ans Telefon.
Und das
obwohl Deutsche Lämmer gerade mal noch 39 % des eigenen Marktes
ausmacht.
Soll
ich da noch „Wolf“ sagen.
Ja,
nichts nutzt da mehr der Stolz.
Ich
kann es keinem Verdenken, der sagt, dass tue ich mir nicht an.
Naja,
mache ich ja auch nicht.
Selbstständig
als Aushilfe und Betriebshelfer im Schäfereibetrieb mit eigenen
Hütehunden.
Damit
ich noch Zeit für die Kinder finde.
Damit
ich den Betrieb wieder verlassen kann, die Sorgen und Ängste dort
belasse.
Nicht
einfach.
Und
dann all die Absagen.
Ich bin
voll, Ausgebucht mit Stammkunden.
Und
doch kaum eine Woche ohne Anfrage, die Hoffnung auf Urlaub, ein paar
Tage raus, den Betrieb in guten Händen wissen.
Aber
auch oft Verzweiflung, Not, Krankheit, Verletzung.
Und die
Herde muss doch laufen!
Ist
denn niemand da der rettet?
Und
alles was ich mache ist ablehnen, alles Gute und viel Kraft wünschen.
Die
Daumen für eine Lösung drücken.
Junge,
engagierte SchäferInnen, die sich an diesem Ehrenkodex aufreiben.
Kein
Frei, kein Urlaub, kein Feierabend.
Ein
Gehalt das weit, weit vom Mindestlohn entfernt ist.
Da kann
sich ein Schäfer schon freuen, wenn er Mindestlohn auf eine normale
38,5 Stunden Woche bekommt. Eine Stundenzahl bei der man spätestens
Donnerstag Nachmittag die Schippe fallen lassen könnte.
Aber
Frei?
Gibt es
nicht.
Standard
ist in etwa so:
Klar
kannst Du frei machen. Bau Netze vor.
Natürlich,
ich baue 12 bis 20 Netze zusätzlich, stelle die Herde da rein. Fahre
mit dem unsicheren Gefühl, wird das Futter reichen? Und dann, wieder
zurück, müssen die Netze ja auch zusätzlich abgebaut werden.
Niedergang
eines Berufstandes, der doch so wertvoll ist.
Ich bin
wieder in Hessen.
Hier
habe ich 2015 mit meiner Selbständigkeit begonnen.
Das
erste mal aus Schleswig-Holstein raus gearbeitet.
Das
erste mal Merinos.
So
viele Erinnerungen.
Und so
viel hat sich verändert.
Ich
habe mich verändert.
Keinerlei
Furcht mehr, dass mir die Herde aus der Kontrolle geraten könnte.
Und
Merinos sind keine unbekannte Spezies mehr für mich.
Tiefe
liebe erfüllt mich für diese weißen, großohrigen Riesen.
Und sie
danken es mir.
Was
habe ich früher gekämpft, dass sie mir horchen.
Ich
lockte, und vielleicht guckte mal jemand in meine Richtung, mehr
nicht.
Jetzt
folgen sie mir auf Schritt, ein Ruf genügt, sie achten auf mich.
Nach
zwei Jahren!
Natürlich
spielt meine Sicherheit und Selbstvertrauen eine große Rolle.
Und
Lillebror.
Eingehütete
Schafe wissen genau, was sie dürfen und was nicht.
Aber
sie sind auch Meister im erkennen der Schwachstellen, besonders im
Hund.
Ein
Hund wie Lille, da wird es gar nicht erst versucht.
So ist
das Hüten der Herde mal wieder mein großes Vergnügen.
Zusammen
mit meinen Hunden, der Herde, unterwegs durch Wald und Feld.
Es ist
und bleibt meine große Leidenschaft.
Wenn
nicht da die Sorge um Lillebror wäre.
Er
hatte Rückenschmerzen.
Beim
Springen ins Auto oder über einen Graben schrie er.
Die
Osteophatin kam, behandele ihn.
Auch
wenn eine Behandlung so viel kostet, wie ich an einem Tag verdiene.
Es ist
faszinierend wie sie durch fühlen und schieben die verdrehten Wirbel
wieder an ihren Platz rücken. Auch die Organe liegen nicht richtig.
Ob es noch daran liegt, dass als Welpe der Heurundballen auf ihn
gefallen ist?
Er
bekommt Entzündungshemmer und Schmerzmittel. Durfte nicht arbeiten.
Für die Eifel ok, war ich dort doch nur am Netzen.
Doch
hier in Hessen muss er wieder, will er wieder.
Der
Rücken zeigt sich gut, doch er fängt an auf der Hüfte zu eiern.
Dazu
bei unbedachten Bewegungen Schmerzäußerungen.
Ich bin
besorgt.
Nein,
panisch!
Er wird
doch diesen Monat erst vier Jahre!
Viel zu
jung für solche Probleme.
Es gibt
HD, sowohl in seiner Mutter als auch in seiner Vaterlinie.
Hüftgelenkdysplasie,
etwas, was wir Schäfer so gerne als nicht unser Problem betrachten.
Dabei
kommt es vor. Und, da die Hunde ja muskulär in top Kondition sind,
fällt es oft erst sehr spät auf. Der Hund ist bereits alt, hat sich
schon längst vererbt. Machen kann man dann ja auch nichts mehr,
warum also untersuchen lassen?
Lille
läuft so schlecht, dass ich mir schlimmstes ausmale.
Ist die
Zeit die wir mit einem Hund haben nicht schon viel zu kurz?
Muss
denn da noch Krankheit verkürzend eingreifen?
Und
dann Lille!
Der
Hund in meinem Leben!
Nicht
nur der begabteste aller Hütehunde mit denen ich je gearbeitet habe,
nein, auch der, der am tiefsten in meinem Herzen sitzt.
Für
Zuhause mache ich direkt einen Röntgentermin für Hüfte und Rücken.
Dazu, sollte sich der Verdacht bestätigen, gleich die Kastration. So
braucht es nur eine Narkose. Und ich möchte nicht, dass er mit solch
einer Genetik vererbt.
Bange
Tage für mich.
Und
viel zu viel Gedankenkarussell.
Was
machen, wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten?
Für
den Hund ein neues Zuhause finden?
Wo er
in seinem Bewegungsdrang eingeschränkt wird, wo er keine Schafe
sieht?
Oder
ihn behalten, auf Schmerzmitteln laufen lassen, so lange er möchte?
Ist das
Egoismus?
Könnte
man ihn Fragen, wäre seine Antwort klar.
Lillebror
würde immer die Schafe wählen.
Er
läuft unter Schmerzen, mit offenen Pfoten, auf drei Beinen, egal.
Die
Zeit, in der er nicht mit darf, heult er entrüstet.
Ja, für
Schafe würde er sogar mich stehen lassen.
Hüten,
hüten, hüten.
Ist
dies Egoismus?
Und
dann der Termin, die Aufnahmen.
ALLES
GUT!!!!!
Keine
HD, nichts am Rücken!
Perfekte
Knochen!
Yeah!
Was er
dann hat?
Vielleicht
ein Nerv der einklemmt.
Man
könnte eine Tomographie in einer Klinik machen.
Ein
1000der würde da aber gewiss fällig. Lach, Schnaub.
Jetzt
ist er erstmal wieder auf Schmerzmittel und wir schauen, wie der
nächste Arbeitseinsatz wird.