Und ein
zweites Mal geht es zur Urlaubsvertretung 700 Kilometer in den Süden.
Baden-Württemberg, an der Grenze zu Bayern.
Über
die Unterschiede von Nord nach Süd hatte ich mich schon letztes Jahr
ausgelassen.
Beim
Lesen meines Berichtes von damals, berührt mich besonders der
Schluss, stimmt mich traurig. Ich möchte nicht wieder so enden und
doch ist es wichtig.
Also
beginne ich dieses Mal mit dem gleichen Ende:
Urlaubsvertretung
in der Schäferei ist Arbeit, die mich zufrieden macht, mich erfüllt,
die mich gut beschäftigt.
Und
doch bin ich mir meines Luxus sehr bewusst.
Der
Betrieb ist bestens organisiert und auf mich vorbereitet.
Ich
habe den ganzen Tag zu tun und habe doch so viele Dinge nicht getan.
Keine
Zäune, außer dem Nachtpferch gebaut, kein Wasser gefahren, keine
Parasiten behandelt, kein Winterfutter gemacht, kein Weidetagebuch
oder Bestandsregister geführt, keine Anträge geschrieben, überhaupt
nichts an Papierkram, keinen Stall gemistet, keine Schur organisiert,
keine Lämmer geschlachtet und vermarktet.
Zum
Glück stand auch kein Kontrolleur auf dem Hof, der erwart, dass ich
alles liegen und stehen lasse und nun mit ihm Flächen abfahre,
vermesse, Tiere begutachte, Schlachträume inspiziere, Bücher
durchgehe. Gefühlt gibt es pro Betrieb einen Kontrolleur, der, gut
bezahlt nach Stunden, nichts anderes macht, als Fehler zu suchen und
zu ahnden.
Auch
habe ich keine Herdenschutzhunde versorgt, keinen Wolfsschutz gebaut,
keine Nachtwache gehalten.
Erst
recht habe ich nicht das Haus geputzt, Reparaturen vorgenommen, Amts-
und Arzttermine wahrgenommen oder Freunde getroffen.
Auch
dieser Betrieb hat, wie alle in denen ich aushelfe, trotz stattlicher
Kinder, keine Nachfolger.
Unter
diesen Bedingungen, bei denen es sich dazu abzeichnet, dass es nur
noch schlechter wird, will keiner mehr schäfern.
Die
Hüte-Wanderschäferei stirbt.
Eine
jahrhundertealte Kultur stirbt.
Eine
Lebensweise stirbt.
Und
nimmt vieles mit:
Das
Schaf, letzte Nutztierart, die noch in Freiheit lebt.
Hütehunde,
deren Art Herden in kleinteiliger Kulturlandschaft zu hüten,
weltweit einmalig hier entstanden ist.
Mager-
und Trockenrasen.
Heideflächen.
Moore.
Kulturlandschaft,
die Mensch und Tier und Nutzung in Einklang mit Natur bringt.
Es sind
nicht nur Schäfer und Schafe die verlieren, es ist die Gesellschaft.
Ja,
Urlaubsvertretung.
Das
heißt, ich habe den Betrieb, die Schafe, für mich ganz alleine.
Die
Hunde der Schäferei erinnern sich noch an mich, gehen gerne mit mir
auf die morgendliche Fahrradtour.
Nur der
alte Max, der meinem Lille so ähnlich sah, ist nicht mehr dabei.
Schade.
Im
Stall stehen um die zwanzig Muttern mit kleinen Lämmern, die über
Tag auf die Wiese kommen.
Die
Herde steht ein paar Kilometer vom Hof entfernt, malerisch an einer
Seenlandschaft.
Der
große Vorteil, ich muss kein Wasser fahren. Dazu weiden die Schafe
die schmalen Uferstreifen, eine unglaublich schöne Kulisse zum
Hüten.
Als ich
aus dem endlich angenehmen Schleswig-Holstein ankomme, sind hier
30°C. Mich haut die Hitze fast um, doch zwei Tage später fällt es
auf höchstens 17°C.
Das
schafft mich.
Die
Schafe auch.
Nach
Monaten Hitze und Trockenheit plötzlich Regen und kalt, die Schafe
verzichten aufs fressen. Nasses Grass, iih, pfui Teufel.
Zumindest
kann ich mir erzählen, dass es daran liegt, nicht daran, dass sie
sich an mich gewöhnen müssen.
Doch,
sicher, wir müssen uns auch zusammen raufen.
In
manchen Dingen bin ich ein gnadenloser Hüter.
Ich
liebe fressende runde Schafe.
Die
verwöhne ich, stopfe sie mit Leckereien voll.
Wer den
ganzen Tag rumzuchtelt, da und dahin drückt, den Kopf in die Luft
reckt, nicht frisst, den belohne ich am Abend garantiert nicht mit
frischem Futter. Erstrecht nicht, wenn es den ganzen Tag ja schon
frisch war, immerhin ist die Herde gerade erst in dem Gebiet
angekommen.
Und mir
ist auch egal, dass sie vorher saftigere Wiesen gehabt hatten.
Das ist
es, was es gibt! Fresst es! Oder lasst es bleiben!
nur übers Futter latschen |
Dann bleibt ihr stehen! |
Geht doch! |
Morgen
habt ihr dann schon Hunger!
Vier
Tage reiben wir uns so, die Schafe und ich.
Nein,
kein bisschen frustrierend.
Der
fünfte Tag beginnt mit kalten 7°C, ich muss mir mehr Klamotten
zusammen suchen.
Aber es
ist klar und sonnig, herrlich!
Und
direkt nach dem Ausfahren aus dem Nachtpferch, merke ich schon die
veränderte Stimmung.
Die
Schafe fressen, fressen, fressen.
Ich
starte jeden Morgen mit dem gleichen Futter der Tage zuvor. Mit
leerem Magen kann man auf dem Alten auch noch mal fressen.
Ja, ich
weiß, ich wiederhole mich, aber es ist einfach wichtig.
Es
macht die Bäuche voll, die Fläche wird sauber ausgefressen und,
jetzt, wo auch hier so viel vertrocknet ist, die Bauern den letzten
Halm noch mähen wollen, gibt es nichts zu verschwenden.
Und
heute fressen sie und fressen.
Egal wo
ich sie „hin halte“, sie haben die Köpfe unten, sind am rupfen.
Überhaupt,
wenn jemand das noch nie gehört hat: Geht, hört es euch an!
Es gibt
KEIN schöneres Geräusch als das!
Eine
zufrieden Gras rupfende Schafherde.
Der
Klang hat etwas von leichter Brandung am Morgen, oder Wind, der in
Blättern spielt. Unglaublich beruhigend und entspannend.
Wenn
dann noch Regen oder Gewitter in der Luft liegen, die Schwalben tief
über den Schafen fliegen um Insekten zu fangen, da bleibt die Zeit
stehen. Verwachsen wir in dem Moment.
Ein
Landwirt kommt vorbei, schaut einen Moment zu und sagt, dass er da
hinten, neben dem Nachtpferch, noch eine Stilllegung mit Klee hat. Ob
ich die haben wolle? Er würde sie sonst nur unterpflügen.
Natürlich
nehme ich die gerne!! Vielen Dank!
Was für
ein Geschenk!
Als die
Herde abends eigentlich satt ist, gehen wir auf den Klee.
Die
Schafe sind total begeistert.
Doch
ich bin auf habacht.
Klee
ist unglaublich lecker, aber gleichzeitig sehr, sehr gefährlich.
Er
bläht. Ratz, fatz und dir platzen die Schafe weg.
Nicht
umsonst heißt eine alte Schäferweisheit:
Ein
Schaf sucht jeden Tag seinen Tod.
Darum
ist der Beruf des Hirten auch einer der ältesten der Welt.
Das
Schaf braucht seinen Hirten, der es behütet.
Ich
gebe der Herde zehn Minuten.
Und ich
lasse sie nicht über das ganze Stück laufen, sie bekommen eine
Fläche von ca. 30 auf 30 Meter. Da mögen sie noch so sehr weiter
wollen.
Mehr
Klee, mehr Klee!
Die
Stiele könnt ihr auch fressen!
Und so
stehe ich, schaue auf die nun wirklich schlingende Herde.
Nach
sechs Minuten heben die ersten zwei die Köpfe, kotzen.
Vielleicht
hier kurz für Nichtschäfer:
Ein
Schaf, das kotzt, hat nichts mit dem, uns bekannten Erbrechen bei
Übelkeit zu tun.
Wenn
ich abends die Herde total satt habe, sie immer noch am Fressen sind,
gibt es einige, die einfach nicht aufhören können. Ist so ein Schaf
dann so richtig voll, reckt es den Kopf in den Himmel, bäumt sich
auf und kotzt Gras hoch. Das Wiederkäuen wird erzwungen, mehr geht
nicht.
So
erfreut den Schäfer abends kotzende Schafe.
Ich
beschließe, dass das reicht.
Sicher
ist sicher.
Zeit
für den Nachtpferch.
Herrlicher,
befriedigender Tag!
Die
Böcke sind im Ritt.
Das
heißt, sie sind in der Herde zum Decken der brünstigen
Mutterschafe.
Einer
dieser stolzen Merinolandschafböcke hatte sich so heftig geboxt,
dass ein Teil seiner Kopfhaut lose gerissen war. Nicht dramatisch,
aber doch muss so eine Wunde kontrolliert werden.
Kleine,
eigentlich harmlose Verletzungen sind ein gefundener Eiablageplatz
für Fliegen. Und die Maden fressen das Tier bei lebendigem Leib. Dass
gleiche kann bei verschissenen Schwänzen passieren. So ist eine
meiner Aufgaben, einen sehr genauen Blick auf alle Tiere zu haben.
Schafe zeigen Schmerzen und Unbehagen nicht wie wir oder auch Hunde.
Im Gegenteil, sie zeigen sie eigentlich gar nicht. Ein
Madenbefall ist dazu von außen, unter der Wolle versteckt, nicht zu erkennen.
Ich kann ihn nur daran sehen, dass das Tier unruhiger ist, den Kopf
etwas schräger hält, immer wieder in sich hinein horcht, mit den
Ohren schlackelt.
Den
Bock kontrolliere ich täglich. Das ist nach ein paar Tagen immer
wieder eine Herausforderung, da er gar keinen „Bock“ darauf hat,
und behandle die Wunde mit Blauspray. Am besten fange ich ihn
morgens, beim Äpfel fressen. Da ist er so gierig, dass er mich
vergisst.
Ja,
Äpfel bekommt die Herde morgens. Alle Nachbarn bringen ihr Fallobst
an den Stall und ich nehme es dann mit raus, verteile, mache die
Schafe glücklich. Wehe, es gibt einen Tag mal keine, dann ist das
Geschrei groß.
Merinoschafe
sind asaisonal. Das heißt, sie können das ganze Jahr über lammen.
So auch
jetzt.
Ab und
an erwartet mich morgens eine Mutter mit frischgeborenen Lamm. Die
lade ich ein, bringe sie Heim.
Im
allgemeinen etwas, was schnell und einfach zu machen ist. Lamm an den
Vorderbeinen genommen und die frischgebackene Mama läuft brav hinten
drein.
Doch
manchmal gibt es auch andere. So wie die Eine, die wie irre, in
unerreichbarem Abstand, um mich und ihr Lamm zirkelt, total
aufgeregt, aber auf keine Fall näher kommt.
Als ich
das Lamm ins Auto stelle und hoffe, dass sie dazu einsteigt, will sie
auch das nicht, rennt um die offene Tür.
Ach,
Mama, du siehst gar nicht aus, wie eine junge unerfahren
Erstlammende.
Aber
hilft ja nichts, bist du nicht willens, so...
Die
Herde mit dem Hund eng gestellt, das Schaf mit dem Schippenhaken am
Hinterbein gefangen und in Richtung Auto gezogen.
Doch
kaum haben wir die Herde verlassen, lässt sie sich fallen. Ein
schlaffes Schaf ist ungleich schwerer, als ein angespanntes. Ich
keuche und stöhne, während ich sie zum Auto zerre. Ein Blick auf
ihre Zähne verrät mir, dass sie schon drei Mal gezahnt hat.
Drei
Jahre alt, eigentlich zu alt für so ein Theater!
Aber so
fett und schwer wie sie ist, kann es natürlich auch durchaus ihr
erstes Lamm sein.
Endlich
habe ich sie am Auto, die Vorderbeine rein gehoben, doch am Rest
scheitere ich.
Sie ist
einfach zu schwer.
Das
Lämmchen ist ähnlich agil und schon längst wieder aus dem Auto
gepurzelt. So hat das Schaf auch keinerlei Motivation einzusteigen.
Was
nun?
Ich
könnte sie am Auto anbinden, das Lamm holen.
Den
Hund ran gerufen: „Ylva, ich brauche dein Halsband.“ Leine habe
ich am Gürtel.
Meine
Altdeutsche Hütehündin kommt brav, ich greife ihr Halsband. Sie
kriegt Panik in der Enge am Auto, zwischen mir und fest geklemmtem
Schaf, zappelt.
Das
Schaf bekommt einen Schreck, macht einen Satz nach vorne.
Ins
Auto!
Ich
lasse den Hund los, greife die Tür.
Die
Huddel dreht, will natürlich sofort wieder raus, spring mit allem
was sie hat gegen mich.
Ich
brülle wie ein Stier. Nicht aus Wut, auch nicht, um das Tier
abzuschrecken. Nein, einfach, um die Kraft zu halten.
Sie
hingegen stemmt die Hinterbeine in den Boden, legt ihr ganzes Gewicht
gegen mich.
Kurzes
Schwanken und dann schaffe ich, nicht rückwärts umzufallen, drücke
zurück, bekomme die Tür geschlossen.
Das
Auto wackelt von dem tobenden Schaf.
Schnell
das Lamm geholt, zu seiner Mutter geschoben. Zufrieden grunzende Ruhe kehrt
ein.
Schäferei,
immer was los.
Die
Tage sind zu einem Ganzen verschmolzen.
Ich bin
eingetaucht in mein Tun, in diese Herde, in das Hüten, genieße es.
Die
Schafe bringen mir ihren Respekt, ihre Zuneigung entgegen.
Wir
nehmen alles Futter mit, das wir kriegen können. Dazu gehören auch
die Wegränder.
Langsam
wandere ich vorne her, die Hunde haben Pause und Schafe fressen an
den Rändern. Nun sind sie auch so weit, dass ich, wenn die Wiese
hinter einer Einfahrt lockt, nicht den Hund schicken muss. Ich rufe
nur: „Ey, ihr Lumpen, nicht weiter!“ Und sie drehen bei, folgen
mir.
Einmal,
die Herde ist gerade richtig lang ausgestreckt, kommt von vorne ein
großer Maislaster. Ich signalisiere, dass ich hier nun eh auf die
Wiese abbiege und er bleibt stehen.
Damit
es schneller geht, schicke ich den Hund, den Schafen etwas Beine
machen.
Eines
der großen Lämmer hüpft in den Nachtpferch, der auf der anderen
Seite des Weges steht.
Warum
auch immer.
Erstmal
die Schafe auf die Wiese bringen.
Nun
springt das Lamm aber nicht mehr raus. Nein, es hechtet sich in den
Zaun, reißt das Elektronetz auf ganzer Länge aus dem Boden.
Ich
lasse Schippe, Rucksack und Hut fallen, renne zurück.
Der
Zaun reißt, das Lamm springt, auf kürzestem Weg, hinter der Herde
her. Ins Gebüsch. Den Zaun über den Weg ziehend.
Lamm
gefangen, aus dem Netz gepult und den Zaun vom Weg geräumt.
Dann
mich bei dem Landwirt für sein Hilfsangebot und seine Geduld
bedankt.
Was
macht die Herde?
Nein,
sie ist noch nicht über die ganze Wiese geschleift. Danke auch an
Lillebror, meinen rumpeligen Altdeutschen Hütehundrüden, der in
solchen Situationen nicht etwa scheiße baut. Nein, er geht und hält
die Herde, hütet alleine, gestaltet ein erstaunlich gutes Hütebild.
Zum
Glück habe ich Zaunflickzeug im Rucksack und im Auto sind
Ersatzpfähle für die zerbrochenen.
Um uns
fällt der Mais.
Abends
geht es, vor dem Klee, noch eine halbe Stunde auf abgeerntete
Maisäcker.
Lecker
Kolben nagen!
Eine
halbe Stunde, weil zu viel Durchfall macht.
So
schaffen wir aus den geplanten fünf bis sieben, zehn Tage heraus zu holen.
Doch
dann ist wirklich alles runter gefressen.
Weiter
geht es.
Zu dem
See, an dem ich letztes Jahr schon gehütet habe.
Den
Mittagspferch dort habe ich die Tage zuvor gebaut und auch ein
Fahrrad hin gebracht.
Es sind
vier Kilometer durchs Feld.
Die
Schafe laufen, freuen sich darüber, dass es zu neuen Ufern geht.
Ich
mache extra langsam, am Wegrand fressen lassen, alles mitnehmen.
Überhaupt
wäre das meins.
Wegrandschäfer.
Mit
einem kleinen Herdchen Wegränder beweiden.
So wie
früher.
Früher
konnte eine Schäferei damit überleben.
Heutzutage
total utopisch.
So
kommen wir am Mittagspferch an. Genügend frisches Futter, dass ich
mich auf das Fahrrad schwingen kann, zurück radele und Auto und
Nachtpferch nachhole.
Und
damit ist meine Zeit schon wieder zu Ende.
Mir
bleibt noch ein schöner Tag im neuen Grün, mit den liebenswerten,
sofort wieder zappeligen Merinos.
Hach,
alles frisch! Soll ich da einen Happen nehmen? Oder da drüben? Da
hinten war ich noch gar nicht! He, wo frisst die denn? Das ist sicher
noch besser!
Drückt
nur ihr Lumpen! Dann halte ich eisern! Dafür habe ich meine Hunde!
Hüten
heißt halten!
Macht
es gut!
Bis
nächstes Jahr!
Ich
freue mich auf euch!