Geschafft!
Wir
haben es überstanden!
Stallzeit,
ich mag sie nicht!
Wie ich
das Frühjahr herbei sehne!
Sonne!
Wärme!
Grünes
Gras.
Nicht
dieses tote Zeug, was ich den Schafen jeden Tag auftischen muss.
Nein,
es ist kein schlechtes Heu und auch die Silage ist gut. Die Schafe
fressen gerne.
Aber
eben, es ist keine grüne Wiese.
Und es
wird auch echt Zeit, die Lammzeit ist schon seit vier Wochen rum. Die
weibliche Nachzucht, die ohne Lämmer, die Mütter der nun
abgesetzten Dezemberlämmer, alle haben wir raus auf die Koppel
gefahren.
Alle
Klauen sind durchgeschnitten und auch die Wolle ist runter.
Anfang
April scheren und dann raus aus dem Stall. Für Schleswig-Holstein
unvorstellbar, hier im Rhein-Main Gebiet kein Problem. Bin ich aus
dem Norden bei Schneefall zum Arbeitseinsatz gefahren, in Hessen
trägt man schon T-Shirt.
Ich
baue den Zaun auf der Wiese neben dem Stall.
Die
Schafe beobachten mich durch die Gitter und ein Raunen geht durch die
Herde.
-Die
Schäferin baut Zaun! Wir kommen raus!
Ja, die
Schafe wissen was das bedeutet, rufen aufgeregt.
Die
Lämmer hingegen sind ahnungslos.
Noch
nie waren sie draußen, kennen keinen grünen Halm, kein gar nichts.
So
bauen wir aus Hurden einen Gang zur Wiese, schließen das stark
schlagende Hausstromgerät an den Elektrozaun.
Und auf
gehen die Tore.
Um die
400 Muttern und ihre Lämmer rennen, springen, schreien, in alle
Richtungen.
Wir
sind mit Hurden und Hunden dabei sie aus dem Stall zu drängen.
Endlich
ist auch das letzte Lamm gepackt, alle draußen.
Der
Lärm ist ohrenbetäubend.
Jedes
Lamm schreit nach seiner Mutter.
Jede
Mutter schreit nach ihren Lämmern.
Mutter
will grünes Gras fressen und dabei das Lamm beaufsichtigen.
Lamm
findest alles gruselig und unglaublich spannend, will am Gras
nibbeln, am Elektrozaun...oh. Aua, Mama! Oder doch lieber mit anderen
Lämmern rasen.
Was für
ein Chaos!
Was für
eine Freude!
Am
Abend hat sich die Stimmung beruhigt, was das ganze nicht leiser
macht. Mütter und Lämmer halten beständig stimmlich Kontakt.
Es ist
Zeit für den ersten Flächenwechsel.
Es sind
nur zweihundert Meter und doch ist am Getreide entlang ein Zaun
gestellt.
Und es
läuft gut, alle kommen auf der Nachtweide an.
Morgen
wird es ernst.
Der
nächste Tag.
Heute
geht es auf Tour.
Morgens
fahren wir die zu ziehende Strecke ab, bauen den Zaun auf der
Nachtwiese auf.
Gleich
zu Anfang muss die Herde über die Straße, einen Weg runter, dann
ein Brückchen über den Bach und dahinter scharf nach rechts, am
Bach entlang. Weiter geht es immer am Bach durch den Wald. Dieses
Stück fahren wir nicht ab, bin ich das doch letztens gelaufen. Neben
der Brücke bauen wir Zäune, wir hatten schon mal Lämmer im Bach.
Los
geht’s.
Ich
gehe vorne weg, rufe die Schafe.
Die
laufen sehr zögerlich.
Natürlich.
Kein
Tier ohne Lämmer in der Herde.
Die
Lämmer wissen nichts.
Nicht
das sie folgen sollen, nicht was ein Hund ist, was eine Straße, was
ein Baum.
Und
selbst das beste Leitschaf denkt zuerst an sein Lamm.
So
lasse ich Lillebror, meinen zweijährigen Altdeutschen Hütehund, an
der Leine, aufgeregt wie er ist, ist es doch zu viel für ihn.
Ylva
kann ich auf Abstand an der Herde laufen lassen.
Der
aufgebaute Zaun macht das queren der Brücke leicht, und dann sind
wir auf dem Waldweg.
Es geht
langsam voran, aber das macht nichts, laufen wir eben langsam.
Die
Arbeit hat meine Kollegin hinten.
Lämmer
die nicht folgen, Mütter die zurück gerannt kommen, nach ihren
Lämmern gucken.
Und
dann liegt ein Baumstamm quer.
Groß
genug, dass die Lämmer nicht rüber gucken können.
Der lag
da schon auf meinem Spaziergang, aber hatte ich ihn wahr genommen?
Nein.
Die
Schafe wollen nicht darüber.
Und
auch wollen sie mir nicht drum herum folgen.
Ich
rufe und locke.
Es
bewegt sich nichts.
Meine
Kollegin kommt vor gerannt. Sie ist die Mutter dieser Herde, jedes
Schaf liebt sie.
Und
tatsächlich, die Herde zieht an.
Doch da
drehen hinten die Lämmer, rennen zurück.
Die
Herde wendet.
Zurück
in vollem Galopp.
Zum
Glück ist noch einer an der Brücke, die Zäune wieder abbauen.
Er
schafft die Herde vor der Straße zu stoppen.
Durchatmen.
Nochmal
das Ganze.
Wieder
stoppt es am Baum.
Mein
Locken und Rufen hilft nicht.
Meine
Kollegin kommt vor, doch diesmal ist noch ein Mann hinter der Herde.
Die
Schafe bewegen sich endlich am Baum vorbei und darüber, weiter
geht’s.
Die
Herde folgt, aber es zieht sich.
Ich
kann nicht bis zum Ende sehen, so höre ich erst später, dass ein
großer Schwung Lämmer nicht am Baum vorbei gekommen war, einzeln
hinüber gehoben werden musste.
Es geht
zögerlich. Lille ist hibbelig, will Laufen, darf nicht.
Auch
das schreckt die Schafe, der energiegeladene Hund neben mir.
Ich
rufe meine Kollegin an, ob wir nicht tauschen wollen? Die Schafe
vertrauen ihr einfach mehr, ist es doch ihre Herde, sie viel mehr mit
ihnen zusammen.
Als der
Weg breiter wird, eine verwilderte Wiese neben uns, tauschen wir. Ich
renne nach hinten, sie nach vorne.
Und
weiter.
Wir
verlassen den Wald, kommen ins Feld.
Die
Hitze schlägt auf uns wie Zement.
Neben
uns junges Getreide.
Nun
können die Hunde laufen.
Schaffen,
schaffen, schaffen.
Bis die
Zungen am Boden hängen, der Schritt taumelt.
Zum
Glück läuft der Bach weiter parallel. So können die Hunde sich
immer wieder ins kühle Nass stürzen.
Besonders
Mühe machen die fremden, über Winter im Betrieb notuntergestellten,
Coburger Fuchsschafe. Schon da hatten sie mit Zwergenlämmchen und
über Hurden hupfen genervt. Und irgendwie sind sie jetzt immer noch
da.
Lämmer
die nichts von der Welt wissen, sind das Eine, Schafe etwas ganz
anderes. Spritzt Ersteres von der Herde ab, will es doch immer wieder
zurück. Ein älteres Schaf, dass nie gelernt hat, der Herde zu
folgen, geht gerne seine eigenen Wege. Doch immerhin lassen sich
diese Füchse auf extra Einladung vom Hund, dann doch wieder
überzeugen mitzukommen.
Die
Strecke zieht und zieht sich, es wird heiß und heißer.
Schafe,
Hunde, Schäfer, alle taumeln unter der hämmernden Sonne.
Es ist
nicht mehr weit, ein kleines Lamm fällt zurück, ich nehme es auf
den Arm, trage es. Das Begleitfahrzeug ist umgedreht, Zuhause den
1000 Liter Tank mit Wasser einladen.
Endlich,
da ist die Wiese, eine herrlich schattige Wiese mit altem
Obstbaumbestand.
Doch
bis dahin kommen wir nicht. Zur Wiese führt ein Grünstreifen mit
Bäumen. Die Herde sinkt in den Schatten. Wir lassen sie, sollen sie
zur Ruhe kommen. Auch wir und die Hunde genießen den Schatten.
Pause.
Erst
nach einer Stunde fangen die ersten an zu fressen, langsam vorwärts
fressend geht es auf die Nachtwiese. Hier gibt es noch Bütten mit
Wasser, aber so durstig sind die Schafe gar nicht. Das Gras im
Frühjahr hat einfach viel Flüssigkeit.
Fresst
schön! Bis morgen, zur nächsten Etappe.
Eigentlich
wäre mit diesem Tag mein Arbeitseinsatz schon zu Ende.
Doch
ist es heute knapp an Leuten, und die Herde muss weiter.
So habe
ich meine Kids organisiert und hänge einen Tag ran.
Die
Strecke ist nicht so lang und doch brechen wir früh auf. Die Hitze
soll uns nicht nochmal erwischen. Selbst morgens knall die Sonne
schon und doch geht noch eine leichte Brise.
Wir
brechen früh auf.
Heute
geht es durch Feld und Dorf.
Ich
gehe vorne und die Herde läuft schon viel besser als am Tag zuvor.
Die
Hunde halten das Feld sauber.
Dann
auf die Straße durch den Ort. Die Straßen sind eng und viele
Blumenpötte säumen den Weg. Doch Lillebror pendelt sich ruhig auf
der Blumenseite ein, schützt diese.
Die
Dorfbewohner die uns begegnen sind alle hoch erfreut über ihre
Attraktion.
Wir
lassen das Dorf hinter uns, nun ist es nicht mehr weit.
Nur noch etwa zwei Kilometer Straße an Getreide entlang.
Und da
ist auch schon die Wiese, ein malerisches Hangstück mit Obstbäumen,
oben die Bahntrasse.
Unter
der geht es später durch einen kleinen Tunnel auf die Nachtwiese.
Aber
erstmal verteilt sich die Herde zum Fressen. Um diese Jahreszeit nie
leise, beständig halten Mütter und Kinder durch Rufen Kontakt.
Ich
mache mich auf, laufe die Strecke zurück. Es ist halb zwölf
Mittags, die Sonne kracht. Wie gut, dass die Schafe schon angekommen
sind.
Ich
baue die sieben Zäune des alten Pferches ab, lade alles ein und
fahre zurück.
Die
Schafe liegen schon zum Wiederkäuen im Schatten.
Ich
beaufsichtige sie alleine weiter.
Um zwei
Uhr fangen sie wieder an zu fressen und, da sie das Stück schon
etwas langweilig finden, auch zu Drücken. Ein Dreieckstück, auf der
einen langen Seite Getreide, auf der anderen die Bahn, auf der Kurzen
ein Kleingarten, nicht abgezäunt.
So
haben die Hunde und auch ich zu tun. An der Bahnseite muss ich selbst
wehren, da kann ich keinen Hund laufen lassen. Zum Glück ist der
Hang zum Gleis fast vollständig mit meterhohem Dornengestrüpp
bedeckt, nur weit weg von der Unterführung ist ein Stück frei.
Gegen
vier haben die Schafe keine Lust mehr, wollen weiter.
Kein
Problem, der große Pferch wartet.
Meine
Kollegin kommt, damit wir den kaum einen Meter breiten Tunnel zu
zweit bewältigen.
Sie
geht vor, die Schafe kennen seit vielen Jahren den Weg, folgen
begeistert.
Ich
scheuche Lämmer nach.
Fast
alle Tiere sind durch, da spritzen drei ab.
Mist!
Die
letzten Schafe sind im Tunnel verschwunden, die Lämmer haben jeden
Anschluss verloren.
Ich
versuche sie in die richtige Richtung zu scheuchen.
Sie
weichen aus, schlagen Haken.
Eins
ist extra, mit Lilles Hilfe bekomme ich es gepackt.
Das hat
doch gut geklappt.
Ich
trage es durch den Tunnel, setze es in den Pferch.
Meine
Kollegin ist dabei, diesen zu sichern.
Ich
gehe zurück, noch zwei zu fangen.
Auf der
Wiese keine Lämmer.
Wo sind
sie denn?
Wo?
Da höre
ich Bremsen quietschen und Hupen von der Bahntrasse.
Mein
Herz fällt in die Hose, ich renne los.
Ich
gucke die Gleise entlang, in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Da,
etwas 150 Meter entfernt stehen die beiden Lämmchen auf den Gleisen.
Ich
greife mein Handy. Bei dem ich ausgerechnet heute Nacht vergessen
habe, das Ladekabel anzuschließen. Noch 13%. Ich rufe meine Kollegin
an, bitte sie, unseren Chef anzurufen und die Bahn, damit die Strecke
gesperrt wird, erkläre wo ich stehe. Sie will telefonieren, den Zaun
der Herde mit Strom versehen und dann kommen.
Ich
bleibe stehen, beobachte die Lämmer, weiß ich doch genau, laufe ich
zu ihnen, flüchten sie kopflos einfach immer die Strecke weiter.
Da
kommt von vorne der nächste Zug.
Er
bremst und kommt direkt vor den Lämmern zum stehen.
Nun
muss ich doch handeln.
Ich
renne los. Als ich fast an den Lämmern bin, schlagen die einen Haken
um mich herum, rennen auf den Gleisen zurück.
Erst
die Lämmer, dann ich mit den Hunden, dann der Zug.
Wir
haben um die 30° Grad.
Wir
kommen auf die Höhe, auf der rechts von uns die Herde steht. Die ist
zwar durch Büsche und Dornen verdeckt, doch hört man sie laut.
Ich
schaffe es, Ylva vor die Lämmer zu dirigieren, hoffe das sie
abbiegen.
Aber
die beiden sind schon so durch, dass sie nichts mehr schnallen, am
Hund vorbei springen, weiter rennen.
Und ich
bin nicht weniger durch, sonst müsste ich doch wissen wie unnütz
mein Rennen ist, hätte dem Lockführer gesagt, dass wir jetzt hier
stehen bleiben, auf meine Kollegin warten.
Ich
weiß es auch, stoppe aber trotzdem nicht, renne immer weiter. Rufe
nochmal meine Kollegin an, beschreibe in welche Richtung es nun geht,
nämlich in die gegensätzliche als zuvor beschrieben, dabei keuche
und schluchze ich.
Weiter
rennen wir.
Das
kleinere Lamm springt nach rechts in die Büsche. Noch auf Höhe der
Herde in ihrem langgezogenen Pferch?
Das
große rennt weiter.
Ich
verliere ganz den Kopf, hetzte Lille auf das Tierchen. „Pack es,
halt es!“
Lille
rennt, erwischt es, hat es am Boden.
Einen
Meter bevor ich dran bin, rappelt es sich hoch, rennt weiter.
Weiter
und weiter.
Dann,
irgendwann, springt es nach links den Hang hinauf.
Ich
folge, der Zug kann passieren.
Ich
klettere die steile Böschung hoch. Oben junges Getreide so weit ich
gucken kann.
Aber
kein Lamm.
Wo? Wo?
Da,
etwa 200 Meter die Strecke zurück, sehe ich es im Gebüsch der
Böschung zur Bahn verschwinden.
Ich
renne los.
Dort
angekommen, sehe ich kein Lamm mehr.
Ich
gucke, schlage mich durch die Büsche zum Pferch, treffe meine
Kollegin und auch schon meinen Chef. Die Bahn hat die Strecke
gesperrt. Der erste Lockführer ist überzeugt, die Lämmer
überfahren zu haben. Ob es doch mehr als zwei waren? Da noch Zwei
tote liegen? Nein, ich weiß, dass es nur zwei waren, dass sie noch
leben. Wir teilen uns zum Suchen auf.
Wieder
folge ich der Bahntrasse. Und da sehe ich das größere der Lämmer,
noch auf der linken Seite liegt es am Hang. 4% Akku, aber ich
erreiche meine Kollegin, beschreibe wo ich bin und warte bis sie
kommt. Mit ihrer ruhigen Art, mit der sie ihre Schafe handelt, fängt
sie das völlig unter Schock stehende Lämmchen.
Die
Bahnsicherheit kommt und die Polizei. Wir werden befragt, Daten
werden aufgenommen.
Die
Strecke wird freigegeben auf Sicht. Dass heißt, die Züge fahren
wieder, aber langsam.
Wir
dürfen das Gleisbett nicht mehr betreten.
Und
doch suchen und suchen wir nach dem letzten Lamm.
Wir
finden ein kleines Fuchsbaby, einen Rehbock und jede Menge Dornen.
Aber
kein Lamm.
Am
Abend geben wir auf.
Ich
fahre noch Heim.
500
Kilometer, wie unter Schock.
Auf der
A5 ein schwerer Unfall, auf der A7 Vollsperrung.
Es ist
fünf Uhr morgens, als ich Zuhause ankomme.
Am
nächsten Morgen frage ich nach. Aber das Lamm steht nicht wie
gehofft neben dem Pferch.
Das
andere Lamm muss gefahren werden.
Vielleicht
hatte der Zug sie doch angefahren?
Wo ich
das hier schreibe, übermannen mich Tränen.
Erschöpfung.
Erschöpfte Hunde |