Februar.
Und da
ist er, der Winter.
Eisiger
Frost, bitterkalter Wind, Sonne.
Im
Radio reden sie von Sibirisch-Hessen.
Und die
Schafe lammen draußen.
Ja,
denn die Wiesen sind immer noch grün, leckeres frisches Futter für
die Herde.
Und, ich hatte schon letztes Jahr darüber geschrieben, lammen Schafe draußen meist problemloser ab. Sie haben mehr Platz sich für die Geburt zurück zu ziehen, stehen sicherer bei ihrem Lamm, werden seltener von anderen Tieren bedrängt.
Natürlich
müssen dafür die Voraussetzungen stimmen, dazu gehört besonders
auch eine gute Überwachung der Herde.
Alle
Gelammten werden in den Stall gefahren, kommen dort in eine
Einzelbucht. Hier bleiben sie, bis wir sicher sind, dass das
Mutter-Kind-Band fest ist und die Mutter genügend Milch hat. Schafe
mit Zwillingen immer etwas länger als Einzelne.
Die
Lammzeit startet gleich richtig durch, 20 bis 25 Ablammungen am Tag,
ca. die Hälfte davon sind Zwillingen. So haben wir nach zwei Wochen
über 300 Lämmer im Stall.
Das alles
will gemanagt, überwacht, versorgt werden.
Auch
Nachts.
Es ist
22 Uhr.
Mit
einem müden Stöhnen wälze ich mich aus dem Bett, schalte den
Wasserkocher an.
Ich
schlüpfe in Lagen über Lagen dicker Kleider und stopfe die
Feuerkammer der kleinen Küchenhexe so voll mit Holz wie es geht. Das
Wasser kocht, die Wärmflasche gefüllt und ins Bett gelegt.
Nun in
die schweren Schuhe und die Stirnlampe auf die Mütze. Die Hunde
stöhnen ähnlich wie ich als sie mir in Dunkelheit und bittere
Kälte folgen, lassen sich im Auto sofort wieder zum Schlafen nieder.
Weit
ist es nicht bis zur Herde, eine viertel Stunde, einmal durch den
Ort.
Die
Schafe liegen weit verteilt im Nachtpferch, schlafen.
Zu
beginn der Lammzeit waren sie ziemlich irritiert als ich Nachts
auftauchte, zwischen ihnen laufen wollte. Nun rühren sie sich nicht,
schlafen weiter oder blinzeln in den Schein der Lampe.
Ich
kann mich zwischen ihnen bewegen, kein Geräusch in der Nacht. Nur
das derer, die gelammt haben, ihre Lämmer begrüßen. Oder die,
denen die Geburt bevorsteht, die unruhig sind, leise Grunzen.
So kann
ich schon durch Hören ganz gut einschätzen, was mich wo erwartet.
Langsam
und ruhig durchstreife ich den Pferch, verschaffe mir einen
Überblick, zähle Schafe und Lämmer. Vier Muttern, sechs Lämmer
und eine am Machen.
Sehr
gut, das bekomme ich verladen, muss nicht zweimal fahren. Das kam
auch schon vor, denn mehr als fünf Schafe passen nicht. Ich will
nicht prope voll laden, die Heimfahrt soll so entspannt wie möglich
verlaufen. Den großen Ifor Williams Hänger mag ich Nachts nicht
fahren, müsste ich ihn doch rückwärts hundert Meter an den Stall
rangieren und das im Dunkeln mit der spärlichen Hängerbeleuchtung,
womöglich für drei Schafe. Nein, Danke, da fahre ich zur Not lieber
doppelt.
Die
beiden Mütter mit den Zwillingen stehen in unterschiedlichen Ecken,
die zwei mit den Einzellämmern stehen beieinander und die, die noch
macht, tüddelt an den Lämmern der einen Zwillingsmama rum. Nach der
Gebärenden gucke ich nun. Das Lamm liegt richtig, ich sehe die
Vorderklauen und darauf das Näschen. Die Füße sind groß, und auch
der Schleim ist ziemlich gelb, das darauf hindeutet, dass das Lamm
schon übertragen ist. Alles kein Problem und zu jeder anderen
Tageszeit würde ich sie noch in Ruhe lassen. Doch nicht jetzt. Als
sie sich zum Pressen legt, greife ich sie mir. Vorsichtig ziehe ich
abwechseln an den Füßchen, wische den Schleim vom Schnäuzchen.
Oh, das
Lamm steckt schon ganz schön fest. Mit den Wehen und dem Pressen des
Schafes ziehe ich kräftiger. Da, der Kopf ist raus! Nun noch die
Schultern und der Rest flutscht nach.
Ich
lege das Lamm der Mutter vor die Nase.
„Guck,
was für einen Brocken, fein gemacht!“
Die
Mama fängt sofort an mit leisem Grunzen ihr Lamm zu lecken.
Dieses
hebt den Kopf, wackelt, schüttelt, zirpt hell.
Immer
und immer wieder berührend.
Auch
nach all den Jahren.
Auch
mitten in der Nacht unter Taschenlampenlicht.
Aber
weiter geht’s.
Ich
nehme die Zwillingslämmer an den Vorderbeinen hoch und halte sie
dabei tief über dem Boden, Bauch und Nabel zur Mutter gedreht. So
kann sie ihre Lämmer am besten riechen und sehen.
Als
erstes erkennt ein Schaf seine Lämmer am Geruch, dann an der Stimme
und zuletzt am Aussehen. So ist es wichtig, dass ich den Geruch nicht
mit meinem eigenen verfälsche und auch die Keime mit denen die
Lämmer in Berührung kommen, sollen nicht meine sein. Das Schaf
brummelt seinen neuen Lämmerruf und folgt, die Nase am Lämmerbauch
zum Auto. Selbstverständlich steigt sie hinter ihren Lämmern ein.
Ich zücke einen Viehzeichenstift und alle drei bekommen an der
gleichen Stelle einen Strich aufs Fell. So kann ich sie später
sicher zuordnen, die endgültige Nummer die Mutter und Lamm zusammen
zeichnet, gibt es erst in der Einzelbucht.
Das
Prozedere wiederhole ich mit den drei anderen Gelammten. Alle folgen
sie brav, etwas was einerseits selbstverständlich für gute Mütter
ist, andererseits mich jedes Mal wieder freut und erleichtert.
Gerade
zwei Nächte zuvor hatte ich zwei Erstlammende. Die eine mit dickem
Einzellamm, die andere mit großen Zwillingen. Beide waren
begeisterte Mütter, hatten sich gut um ihre Erstgeborenen gekümmert. Doch mir und den Lämmern folgen? Nein! Auf keinen Fall. Totale
Hysterie. Schreiend durch den Pferch rennen, aus dem Pferch, um den
Pferch. Aber nicht bei den Lämmern bleiben. Ja, mitten in der Nacht,
nur im Taschenlampenlicht, es ist viel erwartet von einem jungen
Schaf.
Aber
eben: Aber!
Die mit
dem Einzelnen hätte ich ja noch ohne bedenken draußen gelassen. Das
Wetter stört nicht im geringsten. Doch die mit den Zwillingen,
Schweinchen mit Namen, die vor zwei Jahren ein Flaschenlamm war?
Nein, die musste Heim in eine Einzelbucht.
Was
also tun?
Zuerst
hatte ich alle anderen Gelammten verladen, gehofft, dass sie sich
etwas beruhigen, sehen, dass da noch andere mit Lämmern ruhig am
Fahrzeug und auch darin stehen.
Aber
nein! Fluchtdistanz von zehn Metern zu mir, da komme ich auch mit dem
Fanghaken nicht ran.
Schweinchen!
Du warst mal ein zahmes Flaschenlamm!
Interessierte
sie jetzt auch nicht, lieber panisch kreischend durch die Gegend
rennen.
Was
nun?
Ein
Hund aus dem Auto lassen? Die Herde zusammen stellen?
Ein
Hund im Dunkeln? Das könnte zur Panik bei allen führen. Nein,
Scheißidee.
Also
rief ich: „Kooum! Kooum!“
Die
Herde erhob sich, scharte sich eng um mich.
Danke!
Danke!
Sie
standen dicht genug, um den beiden Kopflosen die Flucht zu
blockieren. Ich konnte sie packen und verladen. Geschafft.
Nach
ihrem Aufenthalt in der Einzelbucht und der Gewöhnung ans Muttersein
sind sie wesentlich entspannter.
Doch
heute Nacht hab ich das Problem nicht. Die, bei der ich geholfen
habe, kommt als letztes dran, das Lämmchen steht schon, versucht
auf staksigen Beinen das Euter zu finden. Auch das überprüfe ich
kurz, kein dicker Pfropfen im Weg des Milchflusses. Gezeichnet und
Eingeladen. Jedes Lamm oder Lämmerpaar kommt in eine Mauerbütt, die
Mutter steht davor. So können sie nicht auf den Lämmern
herumtreten. Klappe zu, Heim geht’s.
Doch
noch ein Moment, einen ganz kurzen Moment.
Ich
mache die Stirnlampe aus, stehe am Pferch.
Die
Schafe liegen unter dem weiten Sternenhimmel.
Absolute
Zufriedenheit und Stille.
Ich
atme tief durch, fühle.
Aus den
Fahrzeug brummt und zirpt es.
Heim
jetzt!
Vorausschauend
steuere ich uns nach Hause, kein abruptes Bremsen, keine schnellen Kurven.
Das
einzige Auto, das um diese Zeit noch auf den Straßen ist.
Am
Stall schalte ich die Lichter an, entlasse meine Fracht, sortiere die
Mütter mit Zwillingen und die frisch gelammte in die freien
Einzelbuchten. Die Zwei mit den Einlingen kommen zusammen auf den
freien Platz vor den Buchten. Irgendwas scheint mir mit ihnen
seltsam.
Aber
bevor ich danach gucke, schaue ich nochmal die Buchten durch und die
jungen Gruppen. Alles gut hier? Ja. Sehr gut.
Jetzt
nochmal nach den beiden Einzelnen schauen. Ein Fuchsschaf, ein
Milchschaf, zwei Fuchslämmer. Anhand des Äußeren kann man hier
keine Lämmer zuordnen, die Herde ist so bunt gemischt, dass die
Lämmer in allen Farben fallen, selten ein Zwilling dem anderen
gleicht.
Aber
trotzdem, etwas stört mich an dieser Aufteilung. Das Milchschaf ist
sich sicher, dass das ihr Lamm ist, hat auch Blut an Hintern und
Beinen, was auf Lammung hindeutet.
Aber
das Fuchsschaf, sie würde das Lamm der Milchschafmutter dazu
akzeptieren, hat auch deutlich gelammt.
Hm.
Ich
greife mir das Milchschaf.
Fasse
hinten rein.
Und
fühle direkt die Hinterfußwurzel eines Lammes.
Steißlage.
Nicht
wirklich geweitet, kaum Wehentätigkeit und ziemlich trocken.
Mist!
Mist! Mist!
War das
Milchschaf nicht schon beim Hüten am Tag mehr als normal gelegen?
Mist!
Ich
lasse sie nochmal los, gehe Gleitschleim holen.
Mit
ordentlich Schleim an den Händen mache ich mich ans Werk.
Langsam
weite ich den Geburtskanal, fühle das, was da kommt.
Steißlage,
mit einem angewinkelten Bein direkt vor dem Ausgang.
So
passt das Lamm auf keinen Fall durch. Ich schiebe und ziehe bis ich
den einen Fuß nach hinten raus haben. Wie komme ich jetzt an den
anderen? Es ist zu eng, als dass ich das Lamm zurück schieben und an
den anderen Fuß zu kommen könnte.
Das
Lamm ist auf jeden Fall tot und das auch schon länger. Ich kann zwar
nicht riechen, aber der Gammel ist schon an dem einem Bein, das ich
habe, zu merken. Und tatsächlich reißt das bei leichtem Zug auch
einfach ab.
Scheiße!
Ich
muss doch weiter rein. Mit viel Gleitschleim dehne ich den
Geburtskanal.
Die
Mama stöhnt, presst und will immer wieder aufstehen.
Endlich
kann ich den Steiß greifen, ziehe.
Der
Hintern kommt, das andere Bein, der Bauch.
Die
verrottete Wirbelsäule bricht, das Lamm zerreißt.
Die
Mutter will nicht mehr, zappelt, will weg.
Ich
halte sie mit einer Hand, mit der anderen versuche ich mehr von dem
Lamm zu greifen.
Kopf,
Vorderbeine, Schultern, alles noch drin und meine Finger glipschen
von der Wirbelsäule, finden keinen halt. Auch tut meine Hand langsam
immer doller weh, schwillt durch den beständigen Pressdruck der
Wehen an.
Oh,
Mama! Es tut mir so leid!
Wie
soll ich hier weiter machen?
Ich
kann nicht mehr.
Durchatmen.
Mir
bleibt nichts anderes übrig, ich muss die Frühschicht wecken.
Ich
lasse die Mama los, versuche meine Hände so weit zu reinigen, dass
ich das Handy bedienen kann.
Bitte!
Bitte! Geh ran!
„Ja?“
Eine verschlafene Stimme, die ich jetzt umarmen könnte!
Meine
Kollegin kommt.
Ich
halte die Mutter während sie den Rest des Lammes rausackert.
Das
Schaf bekommt einen Antibiotika-Stift gelegt.
Mama!
Du hast es geschafft! Und ein schönes Lamm hast Du Dir geklaut! So
hast Du wenigstens einen Lohn für all das Elend.
Vielen
Dank an meine Kollegin!
Eis von
einem Eimer geschlagen und die Hände mit Heu geschrubbt.
Nun die
Hunde im Auto geweckt und unter strahlend frostigem Sternenhimmel
nach Hause gewandert. Der Ofen ist längst aus, das Hüttchen schon
ziemlich kühl.
Aber
egal, mein Schlafplatz ist mullerig warm von der Wärmflasche. Ich
kuschele mich auf ein Schaffell, unter mein Daunenbett, mit dicker
Wolldecke darüber.
Meine
kleine Reisekatze kuschelt sich auf die Füße. Die Hunde schlummern
in der Vorkammer.
Die
Wärme spüren, die Glieder entspannen, morgen früh habe ich
immerhin eine Stunde länger.
Schlaf
fällt wie eine weitere Decke über mich.
Frühschicht
und Spätschicht.
So
mancher Schäfer wird jetzt den Kopf schütteln.
Er
schafft all das alleine.
Ja, so
ist es.
Die
meisten Schäferein sind in der Lammzeit nicht anders besetzt, als im
restlichen Jahr.
Arbeitet
ein Schäfer immer schon wahnsinnig viel, in der Lammzeit leistet er
übermenschliches. Da wird dann an Essen und Schlaf gespart.
Der
Schäfer ist in einem Zustand der „the walking dead“ gleich
kommt.
Noch
Geburtsschleim und Nachgeburt auf den Kleidern und selbst ein Zombie
würde ihn nicht mehr als essbaren Menschen einstufen.
Deswegen
ruft man seine Kollegen auch in der Lammzeit nicht an, hört nicht
nach ob sie noch leben. Es ist eine Zeit des Überlebens in den
Schäferein.
Weiß
Gott, ich habe auch so gearbeitet.
Besonders
schlimm die Lammzeit 2013, als dann noch die Grippe zuschlug. Drei
Wochen mit Fieber im Stall, von Hurde zu Hurde, mit festhalten, weil
ich so erschöpft war. Dann war mein Chef so weit wieder fit, dass er
das im gleichen Zustand weiter machen konnte. Eine Woche lag ich im
Bett, so schwach, dass ich kaum zur Toilette kam. Die echt noch
kleinen Kids waren plötzlich leise, versorgten sich selbst. Und kaum
kam ich wieder bis zum Stall ging es weiter. Lammzeit. Die Schafe
brauchen einen.
Ich bin
zu alt für diese Scheiße!
Bin nur
Lohnschäfer!
Und
einfach saufroh, die Lammzeit in einem Betrieb zu arbeiten, der
besser mit Leuten ausgestattet ist als die normale Schäferei! Danke!
Am
nächsten Tag bin ich am Hüten.
Die
Schafe stehen weit am Fressen.
Um
dieses Jahreszeit haben sie keine Zeit für Flausen. Sie fressen,
fressen und fressen.
Oder
lammen.
Schon
steht da wieder eine und beleckt ihre Zwillinge.
Eine
andere ist am Machen.
Da
kommt ein Anruf vom Stall.
Heute
morgen gab es eine Schwergeburt.
Schlitzohr,
eine der vor zwei Jahren zugekauften, hatte eine Fehllage. Das Lamm
ist groß und rund. Aber Schlitzohr hat beschlossen es unter keinen
Umständen zu wollen. Blöde Huddel! Schwere Geburt ist kein
Argument, denkt man an das Milchschaf vom Abend davor, die unbedingt
trotzdem ein Lamm wollte. Das gibt ne rote Brackohrmarke.
Aber
ja, hier beim Hüten ist eine in der Geburt.
Meine
Kollegin kommt mit dem Lamm raus gefahren. Gerade da gebiert das
Schaf. Kurz gegriffen und rein gefasst, kein weiteres Lamm, dickes,
volles Euter.
Also
ihr Lamm genommen und mit dem Verstoßenen zusammen gerubbelt.
Außerdem alles, was hinten an Ausfluss nach kommt, über den Kleinen
verteilt. Dem Lamm einen neuen Geruch aufmogeln. Schmier.
Und es
klappt, die Mama beleckt beide Lämmer gleichermaßen.
Etwas
irritiert ist sie, dass ein Kind sofort aufspringt, nach dem Euter
strebt.
Aber,
was für ein Sohn!
Sie
nimmt beide! Juhu!
Die
frischgebackenen Mütter und ihre Babys werden verladen und ich hüte
weiter.
Es ist
ein herrlich sonniger Tag, die Hunde ziehen ihre Bahnen, die Herde
frisst und ich beobachte auf meinen Stock gelehnt.
Ab und
an lammt noch mal eine. Alles problemlos, die Mütter kümmern sich
und die Lämmer sind schnell auf den Beinen.
Das
Wetter zieht viele Spaziergänger aus dem Dorf, die sich an den
Schafen erfreuen. Ich beantworte geduldig Fragen: „Das Schaf da
hinten hat gerade erst das Lamm bekommen. Die Mutter bleibt bei
seinem Neugeborenen stehen. Und heute Abend nehme ich es mit nach
Hause.“
„Was
für ein schöner, entspannter Beruf.“
Ja, ja.
Als ich
abends die satte Herde in den Nachtpferch lasse, sage ich nicht:
„Gute Nacht.“
Sondern:
„Bis später.“