Nachruf auf den ersten Hund
Einige
von Euch werden dies schon kennen. Als Gipsy 2008 im Alter von 13
Jahren starb, schickte ich sie mit diesem Bericht über die
Regenbogenbrücke im Borders-Forum. Dem damals heißesten Treffpunkt
für Hütehundinteressierte, offen auch für Altdeutsche Hütehunde.
Nun,
neun Jahre später, gehört Gipsy weiter zu meinem Leben und so meine
ich, dass ich auch hier von ihr erzählen möchte.
„Seit
meiner frühesten Kindheit war mein größter Wunsch ein eigener
Hund. Aber selbst als die Erfüllung möglich gewesen wäre, verkniff
ich ihn mir. Schon lange wusste ich, dass ich Schäferin werden
wollte und viele Betriebe nehmen dich Unerfahrenen nicht mit eigenem
Hund.
In der
Lehre lernte ich erst mal mit erfahrenen Althunden Hüten. Als es
dann hieß, die nächste läufige Hündin wird belegt und ich bekomme
einen Welpen, war meine Aufregung ins unermessliche gestiegen.
Ich
träumte davon mir aus einem Wurf meinen Hund auszusuchen, am
liebsten eine schwarze, zottige Strobelhündin mit etwas weiß.
Ja, und
dann wurde bis Januar keine der Hündinnen läufig, nun alle auf
einmal. Jetzt war ein Decken unmöglich, da die Welpen in der
Hauptreisezeit, in der jeder Hund arbeiten mußte, kommen würden.
Mitte
Juni fand sich dann eine bereits 10 Wochen alte Tigerhündin aus
einer befreundeten Schäferei. Sie hieß Gipsy, nach ihrer
Ururgroßmutter und der Jimi Hendrix Verehrung ihres Züchters.
Nichts
war wie ich es mir in meinen Träumen ausgemalt hatte. Gipsy war
kurzhaarig, braun-dunkelbraun getigert mit weiß und stehohrig. Ich
war verliebt.
Ein
kleiner frecher Teufel und blitzgescheit dazu.
Gipsy, 4 Monate, Anna, 19 Jahre |
Gipsy
wuchs zu einer fröhlichen, überschäumenden Junghündin heran,
liebevoll genannt Gräte Rübennase (Gräte wegen ihrer langen
Grätenbeine).
Gräte Rübennase |
Sie war
begeistert an den Schafen und lernte manches mal schneller als ich.
Als ich
ihr das Springen zeigte, sprang sie beim Zaunumbauen einfach aus
Freude immer wieder hin und her.
Dannewerk, Herbst 1995, Gipsy beginnt die Schafsfront zu wehren. Auf der Außenseite läuft der Haupthund |
Dosenmoor, Sommer 1996, Gipsy auf der Außenseite, zu erkennen an ihren spitzen Ohren |
Beim
Laufen lassen der Betriebshunde, rumpste sie absichtlich gegen die
Leithündin, um dann schon weit weg zu sein, wenn diese knurrend nach
dem Übeltäter Ausschau hielt.
Solch
Schabernack machte Gipsy einfach Spaß, ohne dass sie je Interesse an
der Führungsposition im Hunderudel hatte.
Schafsberg, Winter 1996, das Hütehunderudel: Border Collie "Racki", Altdeutsche Hütehunde "Gipsy", Gelbbacke "Biene" und deren Mutter Tiger "Fanny" |
Als
Gipsy etwas über ein Jahr war, meldete mich mein Meister zum
Frauenleistungshüten bei Harald Höfel auf dem Heuberg an. Zu dem
Zeitpunkt lief Gipsy noch nicht die Außenseite und Stand auch noch
nicht auf Entfernung, das motivierte.
Gipsy an der Ecke... |
...stehen bis zum Schluß |
und gucken ob nicht noch irgendwo ein Tier im Graben hängt |
Drei
Monate später schafften wir dann tatsächlich als zwei Lehrlinge
unter all den Schäferinnen den zweiten Platz und Gipsy beeindruckte
besonders durch den sichtlichen Spaß den sie bei der Sache hatte.
Leistungshüten bei Harald Höfele auf dem Heuberg 1996, Auszug aus dem Engen Gehüt |
Gipsy hat sichtlich Spaß |
Preisverleihung, 2. Platz |
Zwei Jahre später dann wurden wir sogar erster.
1998, Heuberghüten |
Nach
der Lehre gings erstmal für zwei Monate mit Freundin im Auto durch
die USA. Die Amerikaner bewunderten Gipsy für ihre freundliche,
ruhige Art und ihren gehorsam, denn Hundeerziehung schien da
weitestgehend ein Fremdwort.
Gipsy
passte auf uns auf, besonders Nachts, wenn wir im Auto übernachteten.
Sie
lief sich am Grand Canyon die Pfoten wund, badete im Pazifik,
spazierte durch das nicht mit Worten zu beschreibend schöne Montana
und sah die Niagarafälle.
Texas 1997 |
Pazifik, Trinidat |
einmal um die Welt! |
Grand Canyon |
Washington State, Wild Horses monument, wir rennen mit |
Zurück
im Schäferalltag wandelten wir eine reine Koppelherde in eine
Hüteherde.
1998 |
Gipsy
arbeitete mit sehr viel Überblick.
1999, Dummersdorfer Ufer, Gipsy auf der Außenseite |
Eine
Grenze bei starkem Schafsdruck zu halten, war nicht ihre Stärke, da
gab sie schonmal nach.
Von
Ziegen ließ sie sich aber nie einschüchtern, im Gegenteil, sie
geierte nach ihnen und diese sonst so frechen Biester waren ihr
gegenüber Lammfromm.
Gipsys
große Leidenschaft war die Sortieranlage, dort arbeitete sie
Druckstark auf engstem Raum.
Auch
die Schafe im Winter aus dem Stall zu treiben, damit wir einfüttern
konnten, gehörte zu ihren Spezialitäten. Da konnte das Mutterschaf
noch so renitent sein, sie bewegte es und wäre im Traum nicht auf
die Idee gekommen an das danebenstehende Lamm zu gehen.
Schafsberg 1999, Schafe mit kleinen Lämmern aus dem Stall treiben zum Einfüttern |
Beim
Wiederreinlassen in den, mit Hafer eingefütterten, Stall hielt sie
die Schafe bis direkt vors Tor und sicherte dann ihre Torseite, so
dass sich kein Schaf am Eingang drückte.
Ihr
zweiter Spitzname war Hühnerretze. Zu dem kam sie, weil sie zu gerne
ganz entspannt an einer Gruppe scharrender Hühner auf dem Hof
vorbeilief, um dann plötzlich mitten hinein zu springen. Da stand
sie dann lachend, das aufgeregt gackernde Spektakel beobachtend.
Ihre
große Liebe unter den Hunden war der Border Collie Racki des
Schäferkollegen. Die beiden waren immer zusammen, außer wenn Gipsy
Heiß war und sie erlaubte auch keinem anderen Hund das Spielen mit
Racki. Noch Jahre später freute sie sich über jeden schwarz-weißen
kleineren Hund und blickte sich suchend um, wenn man „Racki“
sagte.
Gipsy, Katze Smilla, Border Collie Racki |
Als
meine Katze nicht genug für ihre Babys hatte, sprang Gipsy ein,
bildete Milch aus und übernahm die Pflege.
1997 Gipsy übernimmt Smillas Babys |
Gedeckt
wurde sie von einem gelbbackigen Strobel.
1995, Gipsy und Strobel Schorsch, beide 9 Monate alt |
Mit dem hatte sie zuvor auf
der Grünen Woche in Berlin in gemeinsamen Hütevorführungen die vom
Aussterben bedrohten Tierarten des Jahres 1998, die Weiße Gehörnte
Heidschnucke und den Altdeutschen Hütehund, repräsentiert.
1998. Berlin, Grüne Woche |
Gipsy
war Fremden gegenüber sehr zurückhaltend. Sie ließ sich zwar
streicheln, zeigte aber in all ihrem Ausdruck, dass sie das nicht
wollte. In jüngeren Jahren versuchte sie, die Leute auch gerne nach
solch einer Streichelattacke von hinten zu knapsen.
Manch
einen Praktikanten und auch meinen angehenden Mann trieb sie zur
Weißglut, wenn sie einfach ihren Schuh durchzog. Ich sehe sie noch,
wie die Praktikantin vor ihr steht und sie ausschimpft. Und Gipsy
lacht sie aus, mit diesem typischen Grinsen im Gesicht und dazu ein
Jaulen, dass jeder verstand.
Mochte
sie jemanden, dann gab sie gönnerhaft ihre Aufmerksamkeit. Begrüßte
durch ihr einzigartiges Heulen und sich auf den Rücken legend
forderte sie zum Bauchkraulen auf. Wirklich jeder, der ihre Gunst
besaß, fühlte sich dadurch geehrt.
Einmal
hatte die ranghöchste Betriebshündin Biene sich einen verbotenen Knochen
geklaut. Ich war so doof, und packte die Hündin am Nacken, damit sie
ihre Beute wieder freigab. Diese ließ den Knochen fahren und ging
auf mich los, zerbiß meine Hose und dann war Gipsy da, stellte sich
dazwischen und wehrte ihre wütende Chefin von mir ab.
mit Biene |
Überhaupt
waren Gipsy und ich uns lange so nahe, dass ich mir ein Leben ohne
sie kaum vorstellen konnte.
Sie war
immer an meiner Seite, ob privat oder beruflich.
1999, Flaschenlamm Mowgli gehört dazu |
Sie
konnte auf jede Party mit, lief auf dem Bürgersteig, während ich
mit dem Fahrrad auf der Straße fuhr, stand auf Zuruf.
Mit
sieben Jahren bekam sie noch ein zweites mal Welpen, fast
gleichzeitig mit meinem ersten Kind.
2002 nochmal Mama |
Und
dann ereilte mich das was jeden Hundefreund ereilt.
Die
üble Erkenntnis, dass ein Hundeleben so viel, viel kürzer ist, als
das eigene.
Ich
selbst war noch mitten in meinem Muttersein, als sie schon alte Oma
wurde.
Mit
zehn Jahren machte sie mir auf die gleiche Weise, wie sie mir schon
immer ihren Willen deutlich gemacht hatte, klar, dass sie ihr Leben
nun lieber bei ihrer Urlaubsbetreuung weiter leben wollte.
Kein
lärmendes Kinder-jüngere-Hunde-und-gestreßte-Eltern-Haus mehr.
Sondern
Ruhe als Einzelhund bei älteren Leuten, mit gemütlichen
Spaziergängen, einem eigenen Bett, Sofortbeschmusung nach
Aufforderung, Spezialernährung und Leberwurstbrot.
Ich
konnte es ja verstehen und sie war nicht aus der Welt.
Gipsy mit zwei Kindern, Benne und Bode |
Dort
lebte Gipsy die letzten dreieinhalb Jahre ein ruhiges beschauliches
altengerechtes Leben, das letzte halbe Jahr an allen Beinen und dem
Rücken vergoldet.
Nun,
mit 13,5 Jahren, ging es ihr letzte Woche plötzlich schlechter, sie
erbrach sich, war schlapp, es wurde Magenverstimmung vermutet und
mehrere Tierärzte konsultiert.
In der
Tierklinik diagnostizierten sie Gebärmutterentzündung, meinten aber
auch gleich, dass man sich die OP gut überlegen sollte, denn es sei
unwahrscheinlich das der Hund diese überlebte.
An
ihrem letzten Abend war ich zum Verabschieden.
Gipsy
wirkte ganz entspannt, obwohl sie bereits nicht mehr auf die Beine
kam. Etwas stresste sie meine Anwesenheit und die viele Besorgnis die
im Raum hing. Zwischen ihrem wegdösen warf sie immer wieder besorgte
Blicke zu ihrem jetzigen Frauchen.
Alle
hofften wir, dass sie in der Nacht alleine den Weg finden würde.
Aber
nun kam doch die Tierärztin zu ihr nach Hause.
Ich war
nicht dabei, ich wollte nicht noch mehr Aufregung in diesen Raum
bringen.
Und nun
weiß ich nicht!
Ich
dachte, dadurch das sie so lange wo anders gelebt hatte wäre es
leichter...
Jetzt
sehe ich sie, wie sie da über die Regenbogenbrücke neben meinem
Schwiegervater her marschiert. Er langsam und bedächtig mit der
Leckerlitasche in der Hand. Aus dieser wird sie genau zehn bekommen,
da wir sonst vielleicht Mecker nach oben schicken. Sie geht neben
ihm, mit durchhängender Leine, ihre goldenen Augen auf sein Gesicht
geheftet, den Schwanz hoch erhoben, sich selbst bremsend, um auf
seine alten Schritte Rücksicht zu nehmen.
Ich
wünsche ihnen viel Spaß!“
Neun
Jahre ist das her und es treibt mir die Tränen in die Augen das zu
lesen. Dabei ist die Trauer längst vorbei, auch die Erinnerung an
die alte Gipsy. Nun ist sie wieder jung, so jung wie ich damals war.
Sie
gehört untrennbar zu meiner Jugend.
Vorbei
ist die Zeit, dass ich einen Nachfolger für Gipsy suche. Jeder
Abkömmling von ihr bleibt genau das, ein Abkömmling. Ich kann Dinge
von ihr in ihnen sehen, mich daran erfreuen, aber es ist nicht sie.
Es
gibt viele Nachkommen von ihr, manche sind grandiose Hütehunde
geworden, andere grandiose Familienhunde.
Gipsys
Platz an meiner Seite haben nun Ylva und Lille.
Lille
ist tatsächlich um viele Ecken mit ihr verwandt, ein kurzhaariger
Tiger.
Und
doch hat er wenig Ähnlichkeiten mit seiner Urahnin, besetzt einen
anderen Platz in meinem Herzen.
Gipsy
und ich.
Forever
young.