Es ist
sieben Uhr morgens und die Sonne fängt schon an zu brennen.
Höchste
Zeit mit meinem Tagwerk zu beginnen.
Seit
einer Woche bin ich nun als Urlaubsvertretung im Ländle, nicht mehr
weit der Donau.
Die
Altdeutschen Hütehunde am Haus dürfen aus ihren Zwingern.
Max,
Bär und Susi begrüßen mich begeistert und ich schwinge mich aufs
Fahrrad. Auf geht es zur ersten Morgenrunde.
Susi
ist elf Jahre und Bär etwas über ein Jahr, beides Füchse.
Susi und Bär |
Max ist
bereits 14, ein kurzhaariger Tiger und er fasziniert mich sehr, hat
er doch so viel von meinem Lillebror, nicht nur optisch.
Max |
Ist es
das, was mich in ein paar Jahren erwartet?
Lille |
So weit
will ich eigentlich noch nicht denken.
Nach
dem die Hunde zu ihrer Zufriedenheit bewegt sind, reinige ich die
Zwinger und versorge die Hühner, auch immer mit frisch gerupftem
Grün.
Nun ist
der Garten dran. Gießen, gießen, gießen.
Alles
nass? Aufs Fahrrad und ab zum Stall.
Die
Hunde in den Zwingern versuchen, wie es sich gehört, ihre
Begeisterung zu unterdrücken.
Ich
gucke erstmal in den Stall. Um die 20 Schafe mit kleinen Lämmern
begrüßen mich lautstark. Naja, Begrüßen ist natürlich eigentlich
das falsche Wort, es ist die Forderung nach sofortigem Hafer.
Den
fülle ich in Eimer und trage ihn über die Straße auf die Koppel.
Dabei dürfen sich meine beiden Hunde Lille und Ylva die Beine
vertreten. Ylva läuft ohne Hinken, sehr gut, die Pfote ist nach
nächtlichem Zugsalbenverband und Antibiotikaspritzen wieder gut.
Die
beiden kommen zurück in ihren Zwinger und ich lasse die Schafe aus
dem Stall. Wildes Gestürme zu den Hafertrögen, ich scheuche Lämmer
nach und verschließe die Koppel.
Nun
sind Lucy und Bella, die beiden Altdeutschen Hündinnen dran. Bella
ist hitzig und deswegen fahre ich getrennt von den anderen mit ihnen
Rad.
Danach
sind auch hier die Zwinger dran und natürlich der Stall. Wasser,
Heu, Einstreu und die noch extra stehenden Mütter mit den Lämmern
der letzten Woche.
Draußen
brennt die Sonne schon gnadenlos und ich sehe zu, dass ich mit meinen
Hunden zur Herde komme.
Weit
ist es nicht, fünf Kilometer, idyllisch an einem See gelegen,
erwartet mich eine kleine Herde Merinolandschafe. Schöne, runde,
gleichmäßige Tiere, ein Stolz für jeden Merinoliebhaber.
Guten Morgen! |
Das
Hütegebiet ist klein, einfach und zusammenhängend um den See
gelegen.
Ich muss keine Flächen wechseln, kein Wasser fahren und hab
nur nach außen angrenzende Mähwiesen zu schützen.
Im
Grunde leichtes hüten und für die Hunde fast schon langweilig.
Wobei es ja die Außengrenzen gibt, einige sogar mit inneren Winkeln,
die einen schon exakt arbeiten lassen müssen.
Auch
muss ich sehr genau einteilen. Würde ich die Herde einfach laufen
lassen, wären sie am ersten Tag über alles drübergeschleift,
würden vielleicht noch einen zweiten Tag fressen und schon am
dritten Hungern. Es soll doch aber zehn Tage reichen. So halte ich
mich rigoros an den Grundsatz:
Hüten
heißt Halten.
Ich
habe das Gebiet in gedankliche Parzellen eingeteilt, jeden morgen
lasse ich die Schafe zuerst auf der gleichen fressen, wie schon all
die Tage zuvor. Langsam steigere ich von Stück zu Stück die
Futterqualität. So fressen sie den ganzen Tag schön. Für abends
gibt es immer noch etwas ganz frisches.
Auch
heute morgen fressen sie brav.
Was für
nette Schafe.
Nach
den paar Tagen fangen sie auch immer besser an auf mich zu reagieren.
Solange
ich nicht total unvernünftige Dinge von ihnen will.
So
einen kleinen Haufen hab ich seit bald 20 Jahren nicht mehr gehütet.
Die Schafe sind wesentlich beweglicher und feiner zu steuern, das
macht mir richtig Spaß. Auch sind sie direkte, harte Altdeutsche
Hütehunde gewohnt. Es gibt keine Nervosität oder Fluchtattacken vor
meinen Hunden, im Gegenteil, wird auch schon mal geguckt, wie weit
Schaf es treiben kann.
Um kurz
nach zwölf ist es dann schon so heiß, dass es die Herde in den
Schatten drängt. Brav laufen sie in das umzäunte Gebüsch. Keine
Erinnerung mehr an das Drama des ersten Tages, als sie das Gebüsch
als Fremd abgestempelt hatten und ich sie Schaf um Schaf hinein
stopfen musste.
Ich
schließe den Zaun, Strom drauf, Mittagspause.
Bevor
ich Heim fahre, nehmen Hunde und ich noch ein kühles Bad.
Zuhause
bereite ich mir mein Mittagessen. Extra für mich wurde ein Lamm
geschlachtet und in Scheiben geschnitten. So brutzle ich mir jeden
Tag Lamm. Einfach ein paar Scheiben in der Pfanne von beiden Seiten
jeweils eine Minute scharf anbraten, dann ein halbes Glas Wasser
dazu, Deckel drauf und eine viertel Stunde schmoren lassen, nach
Wunsch salzen und pfeffern, fertig.
Dazu
noch etwas Schmorgemüse und Salat, was der Garten oder die
Biogemüsekiste so her gibt. Das kann ich echt immer essen.
Nach
einem herrlich ersehnten Mittagsschlaf fahre ich um kurz nach vier
wieder raus.
Die
Abendrunde, die Zeit in der die Herde am besten frisst, beginnt.
So
hüten wir bis ungefähr neun Uhr, damit auch alle Schafe kugelrund
und satt sind, sich im Nachtpferch gleich zum Schlafen legen.
Die
Hunde und ich gehen nochmal baden und fahren wieder Heim.
Schafe
in den Stall, die Hundegruppen noch mal laufen lassen und füttern.
Nun ist
es bald halb elf und ich falle zufrieden ins Bett.
Ein
entspannter und natürlich doch langer Arbeitstag liegt hinter mir.
Ich
genieße den Betrieb für mich zu haben, einfach in der Arbeit zu
sein, angekommen zu sein.
Ja, der
Anfang war etwas holprig.
700
Kilometer, einmal durch die ganze Republik ging meine fahrt.
Als ich
dann wie per SMS angekündigt abends um 18.00 Uhr auf dem Hof stand
war niemand da.
Natürlich
nicht, waren die Schafe doch sicher noch nicht satt.
Also
rief ich an, erreichte aber niemand.
Endlich,
nach einer Stunde: „Ich bin grad mit Schafen und jungem Hund im
Feld, ruf Dich später zurück.“ Aufgelegt.
Ich
warte noch eine halbe Stunde und so langsam kommt es mir doch seltsam
vor.
Über
Handy krame ich meine Mails raus.
Und...
Kaltes
entsetzen wäscht über mich.
Da
steht, schwarz auf weiß, von mir selbst geschrieben, ein
Ankunftstermin der erst in drei Tagen ist.
Warum
tut sich der Boden nie auf und verschluckt einen, wenn man sich das
wünscht?
Oh, wie
peinlich!!!!
Was
nun?
Am
liebsten würde ich direkt vom Hof fahren, drei Tage später wieder
kommen.
Ein
Blick ins Navi sagt mir, dass meine nächsten Freunde 250 Kilometer
entfernt wohnen.
Und,
ja, es wäre einfach feige.
Da muss
ich jetzt durch!
Natürlich
kann ich nicht erwarten, ab morgen arbeiten zu dürfen, aber ich muss
den Arsch in der Hose haben, dass jetzt anzusprechen, zu meinem
Fehler zu stehen!
Und wie
immer, wenn man schlimmstes erwartet, kam es ganz anders.
Es
wurde sich riesig gefreut mich zu sehen und ich wurde herzlich in den
Arm geschlossen, auch konnte ich gerne bleiben.
Die
genau durchgetacktete Organisation hatte ich ordentlich durcheinander
geschüttelt, aber es wurde neu geplant.
Nun
eine Woche später, bin ich vielleicht noch nicht in der Lage darüber
zu lachen, aber ich kann auch das Gute in meiner Palleaktion sehen.
Und damit meine ich nicht, dass ich in Zukunft jedes Datum sicher
fünf Mal prüfen werde, sondern auch, dass ich die Herde schon drei
Tage früher hüten durfte.
So
schön das Gebiet hier am See ist, spiegelt es nicht die eigentlichen
Weideflächen wieder. Natürlich nicht, wurde doch für die Aushilfe
das Gelände gewählt, das am einfachsten zu bewältigen ist.
Die
ersten drei Tage waren richtig spannend. Die zu hütenden Stücke
lagen zwischen landwirtschaftlichen Nutzflächen, waren winzig und
verstreut. So erforderte es dauernde Hundearbeit und Konzentration.
Die Wege dazwischen waren so schmal und uneinsehbar, dass man trotz
der kleinen Herde zum Teil zu zweit sein musste, vorne einer mit Hund
und hinten einer, um keinen Flurschaden zu verursachen.
Ich
finde diese wahnsinnigen Unterschiede in der landwirtschaftlichen
Struktur von Nord- zu Süddeutschland faszinierend.
Hier
unten sind die Felder alle so winzig, da würde in Schleswig-Holstein
kein Bauer seinen Schlepper aus der Scheune holen.
Naja,
mit Gerät würde der auch schon nicht mehr auf die Fläche passen.
So
beweiden Schafe die noch kleineren Eckchen dazwischen und Feldränder.
Oder
kleine Naturschutzbiotope.
Oder
Obstbaumreihen um die nicht gemäht wurde auf Heuwiesen.
Selbige
Wiesen sind so bunt in ihrer Blumenpracht, wie es die
Weidelgrassteppen im Norden schon lange nicht mehr kennen.
Als besonders Leckerli gibts dann auch mal eine frisch abgemähte Heuwiese.
Wasser! |
Als ich
ankomme geht mir der Mais bis zum Knie, eine Woche später kann ich
nicht mehr vernünftig aus dem Autofenster gucken.
Jeder
der auf dem Land aufgewachsen ist kennt sie. Die Straßen, die die
kleinen Ortschaften verbinden, sich Landstraßen nennen, aber doch
eigentlich nur geteerte Feldwege sind.
Was für
ein vergnügen, auf diesen zu fahren. Man kann sogar bei der
Landstraßengeschwindigkeitsbeschränkung bleiben, ohne das es an
Spaß verliert.
Die
Musik so weit aufgedreht, dass man in der Stadt als der letzte
Vollidiot gelten würde, legt man sich in die Kurven, rauscht durch
deren inneren Winkel. Kommt einem ein Auto entgegen, wird in letzter
Sekunde entschieden, wer wie weit die geteerte Straße verlässt. Die
rechten zwei Räder knirschen auf Sand und Kies, man hofft, dass sich
kein all zu tiefes Schlagloch unter den Pfützen verbirgt. Und wenn,
gilt das Motto: Je schneller über die Löcher, je weniger huckelt
es. Dann ist der Entgegenkommer vorbei, man zieht das Auto wieder
hoch, springt auf die Fahrbahn und rein geht es in die nächste
Kurve.
Der
Mais hat dieses Vergnügen noch erhöht, sieht man nun erst in
letzter Sekunde ob da jemand entgegen kommt.
Okay,
okay, ich gebe es zu:
Ich bin
zu alt für diese Scheiße.
Mit der
weile fahre ich langsam und vorausschauend, kommt einer von hinten
angehobelt, lasse ich ihn vorbei. Ein Spielverderber bin ich dann
auch nicht.
Doch
zurück zu „meinen“ Schafen und dem Betrieb den ich nun seit
einer Woche für mich alleine habe. Den nächsten Tag ändert sich
das Wetter und plötzlich habe ich mehr Luft. Morgens brauch ich
nicht mehr den Garten gießen und die Herde frisst mittags länger.
So fange ich erst um acht an, habe weniger Zeitdruck.
Und
dann fangen die Schafe wieder an zu lammen. Es sind nur ein, zwei am
Tag. Doch diese Heim zu fahren, einzeln zu stellen, zu beobachten,
kennzeichnen, in die große Gruppe umzusetzen und die Einzelbuchten
zu misten frisst Zeit.
Drei
Tage vor Ende gebe ich abends das letzte Stück frisches Futter.
Zuerst nur ein Teil. Doch nach einer Halben Stunde machen sie so
einen Druck und Theater, dass ich ihnen auch den Rest überlasse. Ich
erwarte von den Schafen, dass sie nun ruhig fressen. Immerhin ist das
alles was es noch gibt. Aber nein, anstatt sich weit aufzustellen,
laufen sie fressend hin und her. Damit ist mir klar, dass ich mein
imaginäres Stück zu groß gemacht habe. Ich hätte es nochmal
unterteilen sollen.
Kreiere
ich ein Stück zum Abweiden, muss auch immer die Fläche zur Größe
der Herde passen. Ist es zu groß und sie „verlaufen sich darin“
tun sie genau das, laufen. Und sind sie erst ein zwei mal fressend
über das Stück getreten, besonders als Front, mögen sie das Futter
nicht mehr so gerne.
Ich
weiß, das widerspricht jetzt etwas dem, was ich erzählt habe, über
die Herde in Bewegung hüten.
Aber
was man wie macht, kommt eben immer auf das Gelände, die Herde,
Futter und Wetter an und lässt sich daher schlecht in „So und
nicht anders“ Regeln packen.
Die
letzten zwei Tage vor dem mittäglichen Stellen erforsche ich mit den
Schafen noch etwas das Gelände mit dem Gebüsch in dem der
Mittagspferch steht. So haben sie vor der Pause noch etwas Frisch zum
Knuspern.
Abends
erweisen sich meine Befürchtungen als richtig. Wo sie morgens auf
dem alten Futter noch fressen und fressen finden sie das frische
überlatschte als Nachtisch nicht mehr wirklich attraktiv. Sie
fressen zwar noch, aber nicht so, dass ich finde sie werden
ausreichend satt um sie in den Nachtpferch zu stecken.
Aber es
ist ja alles bestens organisiert. Und ich habe noch Ausweichflächen,
auf der anderen Seite des Sees. Keine Wiesen, sondern Aufwuchs auf
Abschiebungen. Frisch und schmackhaft, die Schafe freuen sich und
bekommen so den letzten Kick. Lecker.
Feierabend.
Und
damit ist meine Zeit im Ländle auch schon wieder um.
Die
Urlauber kehren Heim und schicken mich mit guten Worten und leckerem
italienischen Käse zurück in den Norden.
Es war
Arbeit die mich zufrieden macht, mich erfüllt, die mich gute
beschäftigte.
Und
doch bin ich mir meines Luxus sehr bewusst.
Der
Betrieb ist bestens organisiert und auf mich vorbereitet.
Ich
hatte den ganzen Tag zu tun und habe doch so viele Dinge nicht
gemacht.
Keine
Zäune außer dem Nachtpferch gebaut, kein Wasser gefahren, keine
Parasiten behandelt, kein Winterfutter gemacht, kein Weidetagebuch
oder Bestandsregister geführt, keine Anträge geschrieben, überhaupt
nichts an Papierkram, kein Stall aufgeräumt, keinen Weidewechsel
vorgenommen, keine Schur organisiert, keine Lämmer geschlachtet und
vermarktet.
Zum
Glück stand auch kein Kontrollör auf dem Hof, der erwarte, dass man
alles liegen und stehen lässt und nun mit ihm Flächen abfährt,
vermisst, Tiere begutachtet, Schlachträume inspiziert, Bücher
durchgeht. Gefühlt gibt es pro Betrieb einen Kontrollör, der gut
bezahlt nach Stunden nicht anders macht, als Fehler zu suchen und zu
ahnden.
Auch
habe ich keine Hirtenhunde versorgt, keinen Wolfsschutz gebaut, keine
Nachtwache gehalten.
Erst
recht nicht habe ich das Haus geputzt, Reparaturen vorgenommen,
eingekauft, einen Arzttermin wahr genommen oder mal Freunde
getroffen.
Auch
dieser Betrieb hat, wie eigentlich alle, in denen ich Aushelfe, trotz
stattlicher Kinder keine Nachfolger.
Unter
diesen Bedingungen, bei denen es sich dazu abzeichnet, dass es nur
noch schlechter wird, will keiner mehr schäfern.
Die
Hüte-Wanderschäferei stirbt.
Eine
Jahrhunderte alte Kultur stirbt.
Eine
Lebensweise stirbt.
Und
nimmt vieles mit:
Das
Schaf, letzte Nutztierart die noch in Freiheit lebt.
Hütehunde,
deren Art Herden in kleinteiliger Kulturlandschaft zu hüten weltweit
einmalig hier entstanden ist.
Mager-
und Trockenrasen.
Heideflächen.
Moore.
Kulturlandschaft
die Mensch und Tier und Nutzung in Einklang mit Natur bringt.
Es sind
nicht nur Schäfer und Schafe die verlieren, es ist die Gesellschaft.