Es ist Ende Februar und ein weiterer Hüteeinsatz ruft mich nach Bayern. Das Wetter ist irrsinnig, heftige Stürme toben über das Land. Ich starte früh, um sieben Uhr morgens bin ich auf der Autobahn. Siebenhundertfünfzig Kilometer liegen vor mir und mir ist wichtig Zeit zu haben. Werde ich müde, fahre ich am nächsten Rastplatz raus, ein paar Minuten Schlaf im Sitzen, Power Nap, und die Weiterfahrt geht leichter und sicherer.
Der Wind heult mit kräftigen Sturmböen, will das Auto in plötzlichen Attacken zwischen LKWs, auf Brücken oder Freiflächen springen und tanzen lassen. Ich halte das Steuer fest in Klammergriff, hier gibt’s kein Ausbrechen, nie schneller als Hundertzwanzig Kilometer pro Stunde. Normalerweise reicht ein voller Tank, nicht diesmal. Ich muss nachfüllen und ja, die 1,69 Euro pro Liter scheinen mir entsetzlich teuer. Ha, ha. Hätte ich da schon gewusst was der Welt bevorsteht, dass hohe Spritpreise das kleinste Übel sein würden.
Und da bin ich wieder zurück in Bayern. Die Stallarbeit hat sich seit dem letzten Mal verändert. Bis auf ganz einzelne lammen die Tragenden noch nicht, alles ist in dieser ruhigen Erwartung. Ging ich vor ein paar Wochen durch den Stall, musste ich mich ruhig und langsam bewegen, wollte ich nicht Wellen von Panik auslösen. Nun bin nicht ich es, die runden Schiffe zwingen mir ihre Ruhe, ihre Langsamkeit auf. Kugelrunde, hochtragende Mütter, kein Schritt zu viel wird gemacht, erst recht nicht für mich. Ich arbeite um sie herum, und schubste nur die liegenden leicht an: „Komm, Mama, steh auf, ich muss hier streuen. Und hey, es geht doch, du kommst noch hoch.“
An meinem ersten Tag steht Großaktion an, Schlachtlämmer müssen aus der Hüteherde aussortiert werden, andere entwurmt. Wie immer stimmt Planung und Organisation, die fahrbare Sortieranlage ist schnell aufgebaut, die Schafe drängen in den Trichter.
Meine Aufgabe ist dafür zu sorgen, dass die Tiere, sollten sie mal nicht drängen, trotzdem laufen. Ich schließe Bekanntschaft mit einer sehr freundlichen Ziege. Die ist doch neu hier? Ja, es wurden einige Toggenburger zugekauft, die sind mit der tragenden Herde im Stall. Nur diese hier, die wollte sich fremde Lämmer aneignen. Eine Fahrkarte nach draußen. Hier ist sie nun, etwas verloren, die anderen Ziegen sind nicht interessiert an der Fremden, so bändelt sie mit mir an. Sie könnte natürlich auch durch den Trichter auf frisches Futter und zu dem Karottenfrühstück laufen, aber halt, sie ist eine Ziege. Zwinker.
Meine Hunde verbringen die Zeit auf dem Pickup, Lille
am jammern und hyperventilieren. Endlich wieder Schafe nach langweiliger Pause
und er darf nicht helfen? Unverschämt. Aus seiner Sicht.
Als alle Schafe durch sind, bringt der Pickup absortierte Lämmer weg. Ich lasse die Hunde raus, Lille guckt, wo sind die Schafe, wo ist eine Grenze? Noch ein fragender Blick zu mir und er geht arbeiten, Furche laufen. Ich helfe beim Abbau der Sortieranlage, dann mache ich mich hütefertig. Das Wetter hat sich beruhigt, in der Sonne ist es sogar richtig warm. Und doch ist Februar, abends kommt Frost. Also wird Schippe, Hut und Rucksack mit Mütze, Regenzeug, Schal, Handschuhe, Pulli, Tee, Brot geschultert. Hüten!
Der Schäfer unterhält sich mit Spaziergängern, deren großer Berner Sennenrüde ist brav an der Leine. Doch als sie weitergehen, machen sie den Hund wieder los. Der hat nichts besseres zu tun, als Richtung Herde zu stürmen. Da stehe ich mit meiner Schippe und Lille kommt schon gerannt, kampfbereit. Doch ich kann die Situation entschärfen, schicke Lille zurück in seine Grenze und der Bernersenne trollt sich.
Der Schäfer, bereits am Abfahren, sagt noch: „Den Hund hätte er nicht packen dürfen. Denen gehört das halbe Tal hier.“
Auweia, Glück gehabt. Wie gut, dass Lillebror, doch rüdenunverträglich, seinen Hütejob über alles Vergnügen stellt. Und wir hüten endlich wieder!
Für die Herde im Stall beginnt die Lammzeit und auch hier draußen gibt es ein paar ungeplante Lammungen in den nächsten Tagen
Und auch wenn es schon hunderttauendmal gesagt wurde. Die Lämmer die nun geboren werden, werden nicht zu Ostern geschlachtet!
Dafür sind sie viel zu klein.
Lammt das Schaf bei der Herde, sehe und höre ich es frühzeitig. Die Mutter ist unruhig, dreht sich um sich selbst und stößt diese typischen, einzigartigen, tiefen, brummelnden Grunzer aus, die ihr Baby willkommen heißen. Ist das Lamm geboren, wird es geleckt, das Brummen ist manchmal mehr ein Blubbern. Das Frischgeborene antwortet mit hellem Zirpen und versucht auf die Füße zukommen. Nach kürzester Zeit stakst es bereits um die Mama, auf der Suche nach Milch. Die Herde grast derweil uninteressiert an diesem Wunder des Lebens. Selbst die Ziege findet hier draußen spannenderes als neue Lämmer zu mopsen. Nur ich beobachte, immer noch tief berührt von diesem ersten Moment.
Geht es mit der Herde weiter bleibt die Mutter mit ihrem Lamm stehen. Manchmal sprechen mich besorgte Spaziergänger darauf an: „Da hinten steht noch ein Schaf.“ Dann erkläre ich die Situation und sie sind ganz beglückt ob dieses einmaligen Erlebnisses. Dann kommt auch schon das Mama-Taxi. Das Lamm wird an den Vorderfüßen hochgenommen, mit möglichst wenig menschlichen Körperkontakt, dicht am Boden vor Mamas Nase zum Hänger getragen. Das Schaf folgt seinem Lamm und kann nach Hause in den Stall gefahren werden.
Um das noch einmal ganz deutlich zu sagen, Bilder dieses Momentes mit der Unterschrift, hier wird ein Lamm der Mutter weggenommen um für den Osterbraten geschlachtet zu werden, sind propagandistischer Betrug und eine zu tief verletzende Verleumdung unseres Schäferstandes!
Die am ersten Tag absortierten Tiere waren mindestens ein halbes Jahr, eher älter, gehen nun Heim in den Stall und werden dort dann im betriebseigenen Schlachthaus geschlachtet und direkt vermarktet. Die Böckchen haben ein Alter, in dem sie sich auch natürlich von der Mutterherde separieren würden. Oder genauer, vom Widder vertrieben würden, der keine Konkurrenz duldet. So höre ich an diesem Tag auch kein Klagen von einer Mutter die ihr Lamm vermisst.
Die Tage vergehen und wie immer verschwinde ich in der Routine des Hütens. Immer das gleiche und doch jedes Mal anders. Nicht nur sind Wetter und Jahreszeit unterschiedlich, auch Landschaft und Bewuchs. Dieses Mal ist es etwas hügeliger, weniger Ackerfrüchte und dafür mehr Wiese. Typisch für Bayern verschönert meist eine Dorfkirche den Blick in die Ferne. Die Stücke bleiben klein und überschaubar. Die Schafe laufen auf der ganzen Flächen, stellen sich auf, wie sie möchten. Das klingt doch einfach. Da kann ich mich doch auf mein Klapphöckerchen setzen und ein Buch lesen, bis es weiter auf das nächste Stück geht. Lach. Schön wärs. Aber nein, auch dieses Hüten hat seine Besonderheiten und Herausforderungen. Denn ja, die Schafe sollen fressen, möglichst viel und die ganze Hütezeit über. Im Pferch gibt es nicht mehr viel, das Tageslicht begrenzt den Zeit.
Aber tun sie das nicht einfach? Fressen? Schafe fressen doch immer!
Ja, hab ich ein Schaf in einer festeingezäunten Koppel frisst es wann immer es möchte, tags und auch nachts. Nicht das das einfacher ist, es bringt andere Probleme mit sich wie Parasitendruck, selektives Fressen und daraus resultierend eine Zunahme der Pflanzen, die nicht so sehr gemocht werde, was irgendwann wieder zu Hunger führt. Dazu verwildern die Schafe, sind für Gesundheit und Pflege nicht mehr leicht zu fangen.
Das ist nun nicht mein Problem, ich möchte einfach nur, dass sie fressen. Ich kann am Rand der Fläche mit der Fressfront der Herde mitlaufen. Doch bewege ich mich zu schnell erwecke ich schnell die Erwartung, dass es weiter geht, besseres Futter irgendwo anders wartet. Dann also doch auf dem Höckerchen sitzen bleiben? Das funktioniert, für eine kurze Weile. Die Schafe sind so an ihren Hüter gebunden, sie richten sich nach mir. Und wenn ich da so unbeweglich verharre kommt über kurz oder lange die Herde zusammen, stellt das Fressen ein, macht Pause. Nicht, weil sie satt sind, oder nicht noch fressen würden. Nein, einfach weil ich Pause mache. So muss ich immer meine Position und Bewegung ausloten, die Schafe zum fressen motivieren und doch zeigen, dass ich an Weitergehen noch nicht denke. Gar nicht so einfach.
Leichter tut sich Lillebror mit dieser für uns doch immer noch neuen Art zu Hüten. Jede dieser Flächen hat Grenzen, klar und überschaubar. Hatte ich vor einem halben Jahr noch gesagt, der Hund läuft die Außenseite nur, wenn er den Rückweg zu mir sieht? Habe ich. Und doch macht er nun, mit sechs Jahren, den Sprung in die abgelöste Selbständigkeit. Ich zeige ihm einmal die Grenzen, sei es Weg, Ackerfurche oder einfach nur ein unterschied im Wiesenbewuchs, ab dann läuft er. Er ist immer auf der Höhe der Herde, den Schafen, die nahe der Grenzen weiden, läuft alle vier Seiten. Die Entfernung zu mir ist ihm egal, ich kann auch auf dem Nebenstück Zäune bauen, er bleibt unbeirrt und zufrieden. Was für ein Hund!
Such den Lille ;) |
Lille auf der Außenseite |
Und dann sehe ich auf der Außenseite den Mann mit seinem Berner Sennen. Ja, da rufe ich Lille doch lieber zu mir. Lieber kein Risiko! Und was macht die vermaledeite Ziege? Sie verlässt die weit grasende Herde, rennt dem Berner Sennen nach. Und nun? Lille neben mir verfolgt die Situation, sagt mir deutlich, dass er das lösen kann. Ich bin mir da nicht so sicher.
Es ist zu weit für mich, ich würde den ganzen Haufen zusammen schrecken. Sie müssen auf dem Stück noch fressen. Durchatmen, also gut, Lille, mach mal. Mein Hund stürmt los, ignoriert den sich in Pose stellenden Fremdrüden, packt die Ziege. Die stößt das typisch empörte Ziegenquieken aus, das so sehr nach Unschuld und Opfer klingt und flüchtet zurück in die Herde. Bin ich zufrieden mit meinem Hund!
Ziegen sind doch immer wieder eine Herausforderung. Ja, sie lassen sich gut in einer gehüteten Schafherde halten. Sie müssen sogar, da viele Schäferein in der Landschaftspflege einen Ziegenanteil als Auflage in den Pflegeverträgen haben. Das tägliche Hüten und die Abwechslung macht Ziegen zufrieden und nachts zauntreu. Wenn der immer ordentlich gebaut ist und mit ausreichend Strom versorgt. Doch ihre Neugier kennt keine Grenzen. Alles muss ausgekundschaftet, getestet werden, viel Arbeit für den Hund. Und der braucht Mut. Keinen ziegenfesten Hund? Dann wird über die Grenze gefressen, als gäbe es da gar keinen Hund, beim Ziehen bleibt Ziege zurück, beim Trichtern wird aus den Hurden gesprungen. Jeder neue Hund wird auf Herz und Nieren getestet. Die hat Lille. Erfahren, gelernt, gemerkt und doch wieder getestet. Aber darauf freut sich Lillebror nur! Yeahhhh!!!
Es wird März. Die Herde draußen nähert sich Tag um Tag der Heimat. Ja, die Winterweide geht zu Ende. In der Nacht gibt es noch Frost.
Doch am Tag klettern die Temperaturen in den zweistelligen Bereich. Die Bauern drängt es, sie wollten das Frühjahr einläuten. Und so ist es ein Spießrutenlauf. Nie kann länger als ein, zwei Tage vorausgeplant werden, immer im Kontakt und Gespräch mit den jeweiligen Bauern. Und trotzdem kommt es vor, dass die am Morgen für abends geplante Begrünung dann schon Acker ist. Ja, die Hütesaison ist bald vorbei, die Herde wird für kurze Zeit im Zaun gefüttert, bevor sie in den Frühling und ins Wachstum startet.
Damit geht auch meine Zeit in Bayern zu Ende.
Und schon ist der letzte Tag. Ich brauche nicht mehr Hüten, so kann ich schon am späten Nachmittag den Ritt gen Norden starten. Ich baue den Nachtpferch ab und wieder auf. Nun noch dem Schäfer über die Straße helfen. Es ist eine große, schnell und viel befahrene Straße. Als ich in den Stichweg abbiege, wartet die Herde da schon, gut abgesprochen. Ich schnappe mir die orange-weiße Fahne und gehe zur Straße. Es ist zu viel Verkehr, als dass ich auf eine Lücke warten könnte. Der Schäfer zieht an. Und nun ist es an mir den Moment genau zu timen. Wenn die Herde kommt muss die Straße frei sein, jedes Auto stehen! Ja, schon etwas früher, aber eben nicht zu früh. Ist für den Verkehr zu lange kein Grund ersichtlich, außer der Seltsamen mit Fahne und Hut, kommen manche Eilige auf leichtsinnige Ideen. Doch alles passt, die Schafe blockieren die Straße, ein Moment Entspannung. Der Schäfer biegt nach links auf Randstreifen und Fahrradweg. Doch der ist zu schmal für die Herde, ein Teil blockiert die rechte Spur. Hier müssen sich die Autos noch etwas gedulden. Der Gegenverkehr darf anrollen. Ich signalisiere Dank und sichere gleichzeitig das Ende der Herde. Der Schäfer vorne macht nun richtig Tempo, zieht die Herde schmal und lang. Sein junger, ungestümer Tiger ist mit Feuereifer am Helfen. Neuzugang Putin ist ein Bär von einem Hund, kampf- und willensstark. Er ruht in seiner Kraft, hat es nicht nötig sich in Szene zu setzen und ist grundsätzlich gutmütig. Ach, wenn doch sein Namensfetter etwas davon hätte.
Die Herde biegt nach rechts in den Wald, ich warte, biss auch das letzte Tier weit genug von der Straße weg ist, blicke ihnen noch einen Moment nach.
Was für nette, brave Schafe!
Tschüss Bayern!
Anmerkung: Alle Bilder mit neugeborenen Lämmern draußen sind älter und nicht aus Bayern.
Hallo Anna, aufgrund der aktuellen Lage und der daraus resultierenden Konsequenz, unseren Putin nicht mehr akustisch loben zu können (gut gemacht )😯...heißt er jetzt Buddel, viele liebe Grüße aus Bayern
AntwortenLöschenDeine Lämmer und Du, Ihr seid einfach toll;)
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