Freitag, 29. November 2019

November 2019 in Hessen


Von der Eifel geht es weiter in den Taunus.
Zwei Jahre ist es nun her, dass ich das letzte Mal hier gearbeitet habe.
Gleich am ersten morgen fahren wir mit zwei Hängern zu einem Nachbarschäfer, 20 Schafe kaufen.
Warum kauft ein alter Betrieb mit lange etablierter Herde Mutterschafe zu?
Sicher, es sind mit die stattlichsten, bestversorgten Merinos die ich je gesehen habe.


 Aber damit braucht sich der Betrieb auch nicht verstecken, definitiv nicht.
Also warum?
Es sind die letzten.
Die Zwanzig letzten.
Einer Ära.
Eines Schäferlebens.
Zu ende, vorbei.
Die Gesundheit schafft selbst diese Zwanzig nicht mehr.
Ein Lebenswerk, zu ende.
Da ist es ein gutes Gefühl, dass zumindest diese letzten in einer Herde aufgehen die es Wert ist.
Wir führen die üblichen Schäfergespräche.
Und, ach, wenn es Dir langweilig wird, wir machen Dir den Stall voll.
Also im Frühjahr, wenn Du wieder fit bist, kommste sie wieder holen!
Das ist ganz einfach, Du kommst, rufst, und alle 20 werden die Herde verlassen und zu Dir kommen.
Das glaube ich sofort.
Es reicht ein Ruf von ihm und sie folgen treu auf die Hänger.
Abschied.


Etwas was so vielen Schäfern dieser Tage blüht.
Keine Kinder die das Lebenswerk übernehmen wollen.
Kaum Stallfläche, keine Zahlen die in irgendeiner Weise zum Weiterführen einladen. Oder keine Pflegeflächen, eigenes, oder Pachtland, was ganz andere Werte hat, wenn es denn nicht mehr Schafweide ist.
Der Schmerz einer aussterbenden Zunft.
Und der Stolz.
Ein rechter Schäfer ist immer bei seiner Herde, 365 Tage im Jahr.




Und dann bist Du das, arbeitest Deinen Rücken krumm und für was?
Nicht nur, dass Deine Kinder es garantiert anders haben wollen.
Das auch.
Aber war es ein florierender Betrieb?

Hieß nicht jeder Schaden am Betriebsauto schlaflose Nächte?
Ganz zu schweigen von Trockenheit, Nässe, Kälte, Hitze, Gülle, Moderhinke, Blauzunge, Futterpreise, Haarlinge, Lämmer...
Dann kommt 2019.
Und der Markt, der schon seit Jahren gerade mal die Hälfte des Kilopreis für das Lamm zahlt, der einen Betrieb tragfähig macht, nun bricht er total ein. Es werden einfach die Lämmer nicht mehr abgenommen. Preise von 2 Euro das Kilo Lebendgewicht. Oder der Händler geht nicht mal ans Telefon.
Und das obwohl Deutsche Lämmer gerade mal noch 39 % des eigenen Marktes ausmacht.
Soll ich da noch „Wolf“ sagen.
Ja, nichts nutzt da mehr der Stolz.
Ich kann es keinem Verdenken, der sagt, dass tue ich mir nicht an.


 


Naja, mache ich ja auch nicht.
Selbstständig als Aushilfe und Betriebshelfer im Schäfereibetrieb mit eigenen Hütehunden.
Damit ich noch Zeit für die Kinder finde.
Damit ich den Betrieb wieder verlassen kann, die Sorgen und Ängste dort belasse.
Nicht einfach.
Und dann all die Absagen.
Ich bin voll, Ausgebucht mit Stammkunden.
Und doch kaum eine Woche ohne Anfrage, die Hoffnung auf Urlaub, ein paar Tage raus, den Betrieb in guten Händen wissen.
Aber auch oft Verzweiflung, Not, Krankheit, Verletzung.
Und die Herde muss doch laufen!
Ist denn niemand da der rettet?
Und alles was ich mache ist ablehnen, alles Gute und viel Kraft wünschen.
Die Daumen für eine Lösung drücken.





Und dann die andere Seite:
Junge, engagierte SchäferInnen, die sich an diesem Ehrenkodex aufreiben.
Kein Frei, kein Urlaub, kein Feierabend.
Ein Gehalt das weit, weit vom Mindestlohn entfernt ist.
Da kann sich ein Schäfer schon freuen, wenn er Mindestlohn auf eine normale 38,5 Stunden Woche bekommt. Eine Stundenzahl bei der man spätestens Donnerstag Nachmittag die Schippe fallen lassen könnte.
Aber Frei?
Gibt es nicht.
Standard ist in etwa so:
Klar kannst Du frei machen. Bau Netze vor.
Natürlich, ich baue 12 bis 20 Netze zusätzlich, stelle die Herde da rein. Fahre mit dem unsicheren Gefühl, wird das Futter reichen? Und dann, wieder zurück, müssen die Netze ja auch zusätzlich abgebaut werden.
Niedergang eines Berufstandes, der doch so wertvoll ist.



Aber genug davon.
Ich bin wieder in Hessen.
Hier habe ich 2015 mit meiner Selbständigkeit begonnen.
Das erste mal aus Schleswig-Holstein raus gearbeitet.
Das erste mal Merinos.
So viele Erinnerungen.
Und so viel hat sich verändert.
Ich habe mich verändert.
Keinerlei Furcht mehr, dass mir die Herde aus der Kontrolle geraten könnte.
Und Merinos sind keine unbekannte Spezies mehr für mich.
Tiefe liebe erfüllt mich für diese weißen, großohrigen Riesen.
Und sie danken es mir.
Was habe ich früher gekämpft, dass sie mir horchen.
Ich lockte, und vielleicht guckte mal jemand in meine Richtung, mehr nicht.
Jetzt folgen sie mir auf Schritt, ein Ruf genügt, sie achten auf mich.


Nach zwei Jahren!
Natürlich spielt meine Sicherheit und Selbstvertrauen eine große Rolle.
Und Lillebror.


Hast Du solch einen Hund, dann braucht gar nicht so viel geschehen.
Eingehütete Schafe wissen genau, was sie dürfen und was nicht.
Aber sie sind auch Meister im erkennen der Schwachstellen, besonders im Hund.
Ein Hund wie Lille, da wird es gar nicht erst versucht.
So ist das Hüten der Herde mal wieder mein großes Vergnügen.
Zusammen mit meinen Hunden, der Herde, unterwegs durch Wald und Feld.
Es ist und bleibt meine große Leidenschaft.


Wenn nicht da die Sorge um Lillebror wäre.
Er hatte Rückenschmerzen.
Beim Springen ins Auto oder über einen Graben schrie er.
Die Osteophatin kam, behandele ihn.
Auch wenn eine Behandlung so viel kostet, wie ich an einem Tag verdiene.
Es ist faszinierend wie sie durch fühlen und schieben die verdrehten Wirbel wieder an ihren Platz rücken. Auch die Organe liegen nicht richtig. Ob es noch daran liegt, dass als Welpe der Heurundballen auf ihn gefallen ist?
Er bekommt Entzündungshemmer und Schmerzmittel. Durfte nicht arbeiten. Für die Eifel ok, war ich dort doch nur am Netzen.
Doch hier in Hessen muss er wieder, will er wieder.
Der Rücken zeigt sich gut, doch er fängt an auf der Hüfte zu eiern.
Dazu bei unbedachten Bewegungen Schmerzäußerungen.

 
  
Ich bin besorgt.
Nein, panisch!
Er wird doch diesen Monat erst vier Jahre!
Viel zu jung für solche Probleme.
Es gibt HD, sowohl in seiner Mutter als auch in seiner Vaterlinie.
Hüftgelenkdysplasie, etwas, was wir Schäfer so gerne als nicht unser Problem betrachten.
Dabei kommt es vor. Und, da die Hunde ja muskulär in top Kondition sind, fällt es oft erst sehr spät auf. Der Hund ist bereits alt, hat sich schon längst vererbt. Machen kann man dann ja auch nichts mehr, warum also untersuchen lassen?
Lille läuft so schlecht, dass ich mir schlimmstes ausmale.


Ist die Zeit die wir mit einem Hund haben nicht schon viel zu kurz?
Muss denn da noch Krankheit verkürzend eingreifen?
Und dann Lille!
Der Hund in meinem Leben!
Nicht nur der begabteste aller Hütehunde mit denen ich je gearbeitet habe, nein, auch der, der am tiefsten in meinem Herzen sitzt.


Für Zuhause mache ich direkt einen Röntgentermin für Hüfte und Rücken. Dazu, sollte sich der Verdacht bestätigen, gleich die Kastration. So braucht es nur eine Narkose. Und ich möchte nicht, dass er mit solch einer Genetik vererbt.
Bange Tage für mich.
Und viel zu viel Gedankenkarussell.
Was machen, wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten?
Für den Hund ein neues Zuhause finden?
Wo er in seinem Bewegungsdrang eingeschränkt wird, wo er keine Schafe sieht?
Oder ihn behalten, auf Schmerzmitteln laufen lassen, so lange er möchte?
Ist das Egoismus?
Könnte man ihn Fragen, wäre seine Antwort klar.
Lillebror würde immer die Schafe wählen.
Er läuft unter Schmerzen, mit offenen Pfoten, auf drei Beinen, egal.


Die Zeit, in der er nicht mit darf, heult er entrüstet.
Ja, für Schafe würde er sogar mich stehen lassen.
Hüten, hüten, hüten.
Ist dies Egoismus?
Und dann der Termin, die Aufnahmen.
ALLES GUT!!!!!
Keine HD, nichts am Rücken!
Perfekte Knochen!
Yeah!
Was er dann hat?
Vielleicht ein Nerv der einklemmt.
Man könnte eine Tomographie in einer Klinik machen.
Ein 1000der würde da aber gewiss fällig. Lach, Schnaub.
Jetzt ist er erstmal wieder auf Schmerzmittel und wir schauen, wie der nächste Arbeitseinsatz wird.