Dienstag, 1. Januar 2019

Von Lämmern und Monstern

Anfang Dezember.
Zurück in der nassen Eifel.
Von Schleswig-Holstein bis in den Taunus, überall zu wenig Regen.
In der Eifel nicht.
Regen, Regen, Regen.
Schon okay, dafür bin ich gerüstet.
Zwei Wochen war ich weg und die Schafe erinnern sich noch.
Zumindest an das Schlechte.
Das war doch die, mit den fiesen Hunden.
Panik schon als wir aus dem Auto steigen.
Vielen Dank!
Also wieder das alte Programm.
Ylva, meine erfahrene Strobelhündin, mit viel Abstand und auf den Punkt arbeiten lassen.
Und Lille, meinen überschäumenden dreijährigen Tiger, nur in klaren Grenzen, an denen er sich fest halten kann, die die Schafe als „no go“ klar erkennen können. 


Und dann erinnern sie sich doch auch an das Gute.
Das war doch die, die einen zu leckerem Futter geführt hatte!
Das waren doch die Hunde, die, wenn man sich an die klar nachvollziehbaren Regeln hielt, absolut verlässlich freundlich waren.
Wir fangen an das Hüten zu genießen.


Eigentlich sollten die Schafe ja lammen. Dafür bin ich hier, um zu unterstützen.
Aber die ersten drei Tage kommt nichts.
Ich hab gleich ein schlechtes Gewissen.
So wenig zu tun.
Dabei, mit morgens Hütehunde bewegen und versorgen, Stall füttern, zur Herde fahren, Nachtpferch bauen, Hüten... damit ist der Tag auch gut rum.
Außerdem füttere ich dann eben noch bei den Einstellpferden mit.
Pferde.
Wunderschöne Tiere.
Und mir total fremd.
Heißt angelegte Ohren nicht schlecht gelaunt?
Ich kann sie nicht lesen, gar nicht.
Deswegen habe ich als Jugendliche auch schnell jeden näheren Kontakt aufgegeben. Immer mit einer gewissen Erleichterung, keine Pferdeleidenschaft zu haben. Spart viel Zeit und Geld.
Jetzt finde ich spannend, dass ich zu diesen Tieren keinerlei Gefühl habe, wo ich doch hingegen bei Hunden, Schafen, Katzen sehe oder auch spüre, was sie denken.
Na, die Pferde bleiben bei dem Wetter immerhin im Stall. Nicht, weil sie lieber drinnen wären, nein, sie müssen, damit sie die Weiden nicht unterpflügen.
Da haben es die Schafe auf ihren Winterweiden deutlich besser. Nur ich muss mit ihnen im Regen stehen. Und der wird von Tag zu Tag doller. Dazu kommt sogar noch Wind.
Fast wie Zuhause in Schleswig-Holstein.


Den ganzen Tag im strömenden, kalten Regen arbeiten, das kostet egal wie Kraft.
Als ich abends rein komme, werde ich gefragt, ob es nicht heute so ein Tag war, an dem ich meine Berufswahl bereue.
Was? Heute?
Nein!
Denn dieses Gefühl, nach solch einem Tag abends ins warme Haus zu kommen!
Unbeschreiblich!
Aus den klammen Stiefeln schlüpfen.
Den aufgequollenen und doch noch dichten Filzhut von den strähnig am Kopf klebenden Haaren lupfen.
Die nassen Sachen vom Körper schälen.
Den Modder mit warmem Wasser und Seife von den Händen schrubben.
Rot glühende Wangen spüren.
Auf einer Toilette sitzen, und nicht den kalten Hintern in den Regen halten müssen, an der Regenhose vorbei zielend.
Unter die heiße Dusche steigen, harte lösende Strahlen auf verspannten Rückenmuskeln.
Frische Hausklamotten.
Heißer Tee und warmes Essen.
Und dann ins trockene Bett.
Die müden Glieder, der müde Geist.
Alles streckt und rekelt sich.
Absolut zufrieden!
Der Himmel auf Erden!
Dieses Gefühl bekommst Du nicht, wenn Du Dich vielleicht gerade mal zwei Stunden mit dem Hund raus gequält hast.
Und es ist eines der schönsten in meinem Beruf!


Und dann fangen sie doch an zu lammen.
Noch nicht viele, ein zwei am Tag.
Reicht.
Ich hatte im letzten Bericht erwähnt, dass es sehr ursprüngliche Schafe sind.
Was heißt, sie lammen absolut problemlos, stören sich nicht an dem Wetter. Lämmer die schnell auf den Füßen sind, sofort das Euter finden, dick und rund bei ihren zuverlässigen Müttern stehen.
Was will man mehr?
Nja, dem Lamm nach laufen wäre auch nicht schlecht.
Aber nein, so gut kennen wir Dich ja nun auch nicht! Wenn Du mir das Lamm klaust, muss ich es aufgeregt suchen.
Aber Dir zu dem Hänger folgen?
Nö!
Auf keinen Fall!
Es sind nicht alle Mütter gleich schlimm. Manche bekomme ich mit viel Tricks bezirzt, andere aber gar nicht.
Da muss ich dann die Herde eng stellen.
Weil das ja so wunderbar funktionierte.
Aber was muss, das muss.
Mit Ylva dränge ich die Schafe vorsichtig, mit möglichst wenig Unruhe, in eine Ecke des Pferches.
Lille hyperventiliert derweil im Auto. Wie kann ich nur wagen, ohne ihn zu arbeiten?
Und so bekomme ich dann die unwillige Mutter gefangen, da ihr Fluchtweg durch andere Schafe versperrt ist. Nun muss ich sie nur noch zum Hänger schleifen, wo sie sich dann über ihr Lamm freuen kann.

Mehr zu Lammzeit im Freien:
Frühjahr 2017
Zombies in der Lammzeit

Das Zusammenstellen der Schafe funktioniert doch erstaunlich gut. Sie haben sich mit mir und meinen Hunden arrangiert. Da kann ich das doch auch gleich mit Lille trainieren, dem das ruhige Arbeiten in so einer schnell hoch gepuschten Situation noch sehr schwer fällt. Und dem ein oder anderen Schaf die Klauen schneiden. Lang geht das eh nicht, höchstens zwanzig Minuten. Immerhin steht der Pferch auf Bauernwiesen und die wollen wir ja nicht schwarz machen, zertreten.
Dann geht es hüten. Zufrieden fressende Schafe, fleißige Hunde, Schäferglück.


So eingespielt könnte ja Routine einkehren.
Aber nein, der Nachbarschäfer zwei Täler weiter muss drei Tage auf eine Fortbildung.
Und ich bin die Vertretung.
Zwei Tage vorher zeigt er mir alles.
Es sind auch Schwarzkopf-Kreuzungen, aber größer, mit doch deutlichem Merinolandschaf-Einschlag.
Für die drei Tage gibt es einen riesigen Schlag Gras, eigentlich könnte man auch komplett koppeln. Lammen werden sie auch nicht.
Wozu er mich dann überhaupt braucht?
Ja, so hätte es auch ein Freund bewerkstelligen können. Aber wir hatten den Termin schon lange abgesprochen, da wusste er noch nicht, wo die Herde steht. Und er ist einfach froh, mich verlässlich gebucht zu haben.
Das ist doch schön.
Über Nacht kann ich in dem ersten Betrieb bleiben, brauche also nicht mal mein ganzes Geraffel und Reisekatze umziehen.
So breche ich am ersten Morgen mit dem schönen Gefühl auf, einen wirklich entspannten Tag vor mir zu haben.
Höre ich da den ein oder anderen schon lachen?
JA!
ICH HABS VERGESSEN!
Die erste Schäferregel.
Sage NICHT, dass heute ein entspannter Tag wird!
Niemals!
Wirklich NIEMALS!
Hört auf zu kichern!!!
Mir ist da eher zum Heulen.
Als ich ankomme, steht die Herde in acht Netzen bestem Futter, pappe satt.


Aber Lämmer über Lämmer.
Zwei mal Zwillinge, drei Einzelne und ein Schaf am Machen.
Letztere hat Schwierigkeiten.
Woher ich das weiß?
Das ist das Problem für Anfänger in der Schäferei.
Ich kann nicht erklären, woher ich es weiß.
Das ist etwas was Zeit, Gefühl und Erfahrung lehrt.
Das A und O in der Schäferei.
Schafe beobachten.
Sie zeigen bei Problemen keine deutlich beschreibbare Symptome.
Und ich muss sie trotzdem wahrnehmen.
Und so weiß ich, dass dieses Schaf Schwierigkeiten bei der Geburt hat.
Ich lade erstmal alles auf, was gelammt hat.
Die Muttern laufen hier nicht besser, als in der anderen Herde.
Im Gegenteil, sehen sie mich und die Hunde heute doch zum ersten Mal.
Nie würde ich auf die Idee kommen, eine fremde Herde die uns nicht kennt zusammen zu stellen, um einzelne Tiere raus zu fangen.
Aber was muss, das muss.
Die mit den dicken Einzellämmern könnten ja draußen bleiben.
Zwei davon laufen aber auch.
Zwillinge und Schwergeburt, die müssen.
Herde zusammen stellen.
Also Lille zum empört Kreischen ins Auto gesteckt.
Ylva ist die bessere Wahl, immerhin kennen die Schafe schwarze Hunde.
Ich präge mir die Schwergeburt ein. Groß, weiß, um jedes Auge einen braunen Ring. Hinten sieht man nichts, nur etwas Feuchtigkeit.
Nun rufe ich den Hund, schiebe mit ihm die Herde in die Ecke des Pferches nahe dem Hänger. Dabei lasse ich das Schaf nicht aus den Augen.
„Ylva! Was machst Du?“
Blick nach dem Hund.
„Hör auf Nachgeburten zu fressen! Arbeiten.“
Und damit habe ich das Schaf verloren.
Langsam wandere ich durch die Herde.
Wo ist sie?
Oh, gibt es da viele Weiße mit braunen Augenringen.
Such.
Nein, ich finde sie nicht.
Muss ich halt warten, bis sie wieder presst.
Doch!
Da ist sie!
Woher ich jetzt weiß, dass sie die ist?
Kann ich wieder nicht erklären, nur, dass sie es ist.
Mit der Schippe angehakt und kurz nachgefühlt. Ja, da liegt etwas falsch. Aber erstmal Heim zum Betrieb.
Dort sind Einzelbuchten aufgebaut: „Ich bau ein paar Buchten auf, nur für den Fall. Sie könnten zwar lammen, aber haben die ganze Zeit nicht. Da werden sie die drei Tage auch nicht.“
Jo.
Ich verstaue die Schafe mit ihren Lämmern in Buchten.
Dann laufe ich über den Betrieb. Es ist ein großer Hof mit jede Menge Einstellpferden, fetter Reithalle und allem drum und dran was jedes Pferdemädchenherz höher schlagen lässt.
Ich finde jemanden vom Hof, der auch gerne mitkommt, mir hilft.
Ich angel das Schaf vom Hänger, lege es auf die Seite und bitte, es einfach ruhig zu halten, damit ich entspannt helfen kann.
Ein Lamm liegt normalerweise mit dem Schnäuzchen auf den Vorderfüßen und rutscht so durch den Geburtskanal.
Dieses Lamm hat die Vorderbeine weiter zurück und die Nase liegt auf die Brust geklappt. Nun wird mit dem Pressen der Hinterkopf geschoben. Unmöglich, dass es so raus kommt.
Ich schiebe es gegen die Wehen zurück in die Gebärmutter und richte den Kopf richtig auf den Füßen aus. Nun versuche ich zu ziehen. Aber auch, wenn es ein kleines Lamm ist, zusammen mit meiner Hand passt es nicht durch den Geburtskanal. Auch die Füße bekomme ich nicht richtig zu fassen. Was nun? Eine Schnur um den Kopf müsste helfen.
Ich überlasse das Schaf kurz den haltenden Händen meiner Hilfe und suche mir eine Strohschnur.
Doch als ich zurück bin, ist das Lamm durch die nun richtige Lage ein ganzes Stück weiter vor gerutscht. Ich bekomme es auch so raus.
Ein totes Frühchen.
Arme Mama.
Sie kommt zur Erholung in eine Einzelbucht.
Ich lasse mir noch eine Waschmöglichkeit zeigen, bedanke mich herzlich für die Hilfe und eile, die Herde müsste nun doch langsam Hunger haben.
Doch wie war das mit fremden Schafen?
Da stehen sie auf dem frischen leckeren Futter, dicht gedrängt mittig, beäugen mich und die Hunde misstrauisch.


Kommt Schofis! Wir sind harmlos!
Und ich bin so platt von dem Vormittag.
Und ungeduldig.
Kurz überlege ich, einfach einen großen Zaun zu bauen.
Dann könnten sie ungestört fressen und ich habe meine Ruhe.
Aber das würde ja das Problem nur nach hinten verlagern.
Die Schafe würden sich nicht an mich oder die Hunde gewöhnen und wenn ich etwas an ihnen machen muss, wäre es weiter die Katastrophe.
Also lasse ich die Hunde in ihren Grenzen, schaue den Schafen beim Nichtfressen zu.
Humpf.
Doch auch hier ist es erstaunlich, wie schnell sie umschalten, anfangen zu fressen. Erst zögerlich und dann mit großem Hunger. Als sie merken, dass ich und die Hunde keine Gefahr sind, geht es auch gleich einen Schritt weiter.
Dann kann man anfangen zu drücken.


Auf der anderen Seite des Hundes schmeckt es sicher besser!
Nachdem auch das geklärt ist, verteilen sie sich weit, fressen ruhig.
Als hätte sie darauf gewartet kommt die Sonne raus, bescheint uns in totaler Schäferromantik.


Doch sie lammen weiter.
Und ich beschließe, alle mit runden, fitten Einzellämmern draußen zu lassen.
Nicht nur, um meine Kräfte zu wahren. Es reicht mir, die mit Zwillingen zu fangen und zum Hänger zu zerren, so ein Merinomix ist ja auch kein Leichtgewicht, auch um die Wiese zu schonen. Wie gesagt, Fremdwiesen schwarz machen kommt bei dem Eigentümer nicht gut.
Man will ja im nächsten Winter wieder drauf.


Am anderen Morgen erwartet mich wieder einiges an neuen Lämmern, aber nur einmal Zwillinge und eine, bei der nur der Lämmerkopf raus hängt.
Sch***
Gefangen.
Das Lamm ist tot, und deutlich auch schon lange. Damit meine ich, es ist nicht unter der Geburt gestorben, sondern das Mutterschaf stößt den sich schon zersetzenden Leichnam ab. Doch ist das Lamm riesig und der Geburtskanal komplett trocken. Dazu ist die Mutter zappelig und unruhig. Ich entschließe mich zur gleichen Aktion wie am Tag davor.
Die Fracht zum Betrieb gefahren und gucken, ob ich jemand finde. Zwei Frauen und ein Mann stehen um ein Pferd herum. Ich grüße und frage, ob jemand vom Hof da ist.
„Nein. Sind schon alle weg. Weshalb?“
Ich erkläre meine Situation und sage, dass ich mich einfach freuen würde, wenn mir jemand das Schaf hält.
Die eine Frau quietscht: „Ühh, das kann ich nicht!“
Die andere, die vor dem Pferd kniet, am Huf am machen ist, sagt: „Hält das Schaf nicht still?“
„Doch. Vermutlich schon. Ich finde es nur ganz nett, wenn jemand sie sicher hält.“
„Also, ich hatte nie das Glück, dass da jemand zum Halten war!“
„Vielen Dank!“
Die ganzen Wörter mit F gibt’s nur in Gedanken.
Ich hole das Schaf vom Hänger, lege es hin und mache mich an dem Lamm zu schaffen.
Da alles so trocken ist und ich keine Ahnung habe, wo ich Gleitschleim finden könnte, ist es ziemlich schwierig. Zurück schieben geht nicht. Manchmal bekommt man ein Lamm auch nur am Kopf raus. Nicht dieses mal. Ich muss an zumindest einen Fuß kommen, diesen greifen und raus ziehen. Was schließlich auch gelingt. Das Lamm kommt. Kurz droht das Bein abzureißen, es ist eben nur noch ein Kadaver. Aber dann kommt auch der Rest.
Mama! Du hast es geschafft.
Und so brav still gehalten.
In eine Einzelbucht mit Dir.
Schnell zur Herde.

Und FOR YOU.
Ich bin 42 Jahre.
Habe den Sinn des Lebens erreicht!
Habe mehr Lämmer alleine aus Gebärmüttern gepult, als sich nur ansatzweise zählen lässt.
Ich habe es nicht nötig, mich da zu beweisen.
Wirklich nicht.
Und wenn jemand am Kopf des Schafes ist, eine ruhige tröstende Hand am Hals der Mutter, dann kann ich hinten einfach entspannter meinen Arm in die pressende Gebärmutter tauchen.
For you!

Das Hüten ist heute noch mal schwieriger. Die frischgebackenen Mütter, die zwar mir mit ihren Lämmern im Leben nicht auf den Hänger folgen würden, bleiben brav bei ihrem Neugeborenen.
So stehen an unterschiedlichen Stellen auf dem Stück ein Schaf mit Lamm.
Vielleicht erinnert sich der ein oder andere, wie Ylva auf so etwas reagiert...
Genau, sie stellt das Arbeiten komplett ein.
Die Mütter könnten ja gefährlich sein.
Nö, sie macht nichts mehr, außer Nachgeburten mampfen.
Ein Glück, dass ich tags zuvor gehütet habe. So haben die Schafe diesen riesigen, hellen, druckstarken Tiger schon einmal erlebt, mit dem ich nun alles machen muss. Da fällt mir dann erstmal auf, wie viele von den diffizilen Hütesituationen ich Ylva regeln lasse.
Und wie angenehm es ist, einen Hund für die Mannseite und einen für die Außenseite zu haben.
Das muss nun alles mit Lille gehen.
Geht es auch.
Aber es kostet Energie und ich bekomme nicht mal eine Tasse Tee am Tag getrunken. Schön, dass ich die volle Kanne mit schleppe.
Wenn Ihr Euch das jetzt gerade alles vorstellt, vergesst nicht den Wind, die fünf bis sieben Grad und den Regen.
Und da ist auch schon der dritte und letzte Tag.
Drei Schwergeburten an drei Tagen?
Das wird nicht passieren!
Selbst zwei sind doch schon total ungewöhnlich.
Als ich ankomme gibt es nur einmal Zwillinge. Die Mutter folgt sogar. Aber in den Hänger steigt sie nicht. Oder doch, bleibt aber nicht drinnen, rennt davon, wenn ich näher komme.





Also die Herde zusammen gestellt und sie gefangen. Kaum hab ich sie, stellt sie sich tot, was heißt, ich muss diesen 80 kg Sack zum Hänger schleifen. Aber ich schaffe es und alle Einlinge sind gute Mütter, können bleiben.
Eine ist am Machen, aber noch nicht lange, wir gehen hüten.
Zwei Stunden später ist klar, dass sie Probleme hat.
Die Herde auf altes Futter geschoben, zusammen gestellt.
Wo ist sie jetzt?
Ach, da. Gefangen, Hund mach Platz!
PLATZ!
ES IST NICHTS ZU TUN!
Zumindest für Hund nicht.
Bei dem Schaf rein gegriffen und ein Schwänzchen gefühlt.
Steislage.
Manchmal geht das auch so.
Aber nicht hier.
Das Lamm tiefer rein geschoben, nach den Hinterbeinen geangelt und diese vorsichtig nach hinten ausgeklappt. Nun zügig das Lamm gezogen. Schnell ist wichtig, da der Kopf ja noch drin ist, wenn die Nabelschnur reißt.
Diese Sorge ist überflüssig, das Lamm ist tot.
Ich lange noch einmal rein, zur Sicherheit.
Da ist ein Zweites. Auch hier der Hintern zu mir.
Als ich es raus habe, wirkt es nicht ganz so tot.
Ich befreie es vom Schleim, rubbel, massiere, klopfe.
Nach einer viel zu langen Ewigkeit holt es plötzlich Luft, fängt an zu atmen.
Viel zu lange, weil es mehr nicht tut.
Nichtmal ein Kopfwackeln, kein Saugreflex.
Nur atmen.
Die Mutter steht auf, geht, keine Lust auf diese Lämmer.
Und lange atmet das Kleine auch nicht.
Gesund war es im Bauch neben dem toten Geschwisterchen sicher nicht.
Für mich Schäferalltag.
Ja.
Und doch.
Mist!
Es ist nicht ungewöhnlich.
Lammzeit heißt, dass viele Schafe auf einen Zeitpunkt Lämmer bekommen.
Früh- und Todgeburten kommen nun mal meist früher.
So ist es häufig, dass die Lammzeit mit Toten beginnt.
Gar nicht außergewöhnlich.
Zufall, dass es genau meine drei Tage sind.
Und doch bin ich fertig.
Auch körperlich.
Mir tut alles weh.
Fertiger als ich zugeben mag.
Vor mir.
Vor anderen.
Abends bin ich in einem tiefen, schmerzenden Loch.
Denn damit kommen die Monster.
Die Selbstzweifel.
Was bin ich für eine Schäferin, wenn mir so bisschen Lammzeit so zusetzen?
Tauge ich überhaupt für meinen Beruf?
Kann ich überhaupt noch?
Will ich überhaupt noch?
Schmerz der mir die Beine weg zieht.
Das Herz durchbohrt.
Wackelig an Körper und Seele kehre ich am nächsten Tag zu der vertrauteren Eifelherde zurück.
Fünf Lammungen.
Vier folgen mir brav auf den Hänger.
Nur mit der fünften muss ich kämpfen.
Die Herde versucht beim Verladen neben mir aus dem Pferch zu schlüpfen.
Ich bin doch die, mit dem frischen Futter.
Sie freuen sich über mich, gucken nach mir.
Mir geht das Herz auf.
So gerne habe ich sie!
Am Abend gebe ich mir einen Ruck, thematisiere vorsichtig, wie es mir am Tag zuvor ging.
Nicht um Mitleid zu bekommen.
Oder Verachtung.
Sondern weil ich eigentlich überzeugt davon bin, dass es ein Schritt ist, ehrlich über seine Monster zu reden.
Am nächsten Morgen erhalte ich das Angebot, dass mit raus gefahren, die Lämmer abgesammelt werden.
Und sofort ist es da, das schlechte Gewissen.
Nein, natürlich schaffe ich das alleine.
Überhaupt jammere ich doch auf hohem Niveau.
Die Schafe gebären problemlos, kümmern sich um ihre Lämmer. Diese sind sofort fit, auf den Füßen, finden das Euter, unberührt von allen Wettern.
Da kenne ich es auch ganz anders. Vertauschte, verlorene, schwache Lämmer, nicht vernünftig Milch, will das Lamm nicht usw.
Was ist dagegen schon, dem Lamm nicht zu folgen, wenn ich es trage!
Als ich raus komme sind es acht Mütter und neun Lämmer.
Die bekomme ich nicht mal alle auf den kleinen Hänger.
Durchatmen.
Mut fassen.
Mir einen Tritt geben.
Und das Telefon greifen: „Du hattest doch heute morgen angeboten mit raus zu kommen. Du hattest recht! Könntest Du mit dem großen Hänger kommen? Vielen, vielen Dank.“
Ja.
Ich.
Deren Mantra ist: „Ich schaffe das alleine!“
Vermutlich auch so eine Schäferkrankheit.
Ohne die wir den Beruf nicht machen könnten.
Ich kann mich dem jetzt, während ich den Nachtpferch umbaue, auf die Verstärkung warte, genauso gut stellen.
Das die Pferdefrau mit ihrem doofen Spruch getroffen hat, wie mit einem Dolch.
Das sind meine eigenen Monster.
Meine eigenen Schuldgefühle.
Nicht zu genügen.
Nie genug zu sein.
Nicht das zu leisten, was andere nebenbei machen.
Und doch der unbedingte Wille tatsächlich mehr auf mich zu achten.
Ehrlich gegenüber anderen und besonders mir zu sein, wie es mir geht.
Etwas, was so, so, so schwer ist.
Ein Grund für meine Selbständigkeit als Aushilfsschäferin.
Da kann ich sagen, da habe ich Zeit und da nicht.
Da kann ich ganz klar meinen Kindern den Vorrang geben, deren Anspruch auf eine intakte Mutter.
Und sollte ich mal so krank sein, dass abgesprochene Arbeit nicht geht, braucht mich immerhin keiner bezahlen.
Angestellt?
Ich weiß nicht ob ich die nötige Achtsamkeit schaffen würde. Trotz aller erlangten Weisheit.
Immer habe ich mich weit hinter dem Betrieb angeordnet.
So sind wir Schäfer.
Doch auf der anderen Seite, wie viele halten auf Dauer durch?
Seelisch?
Und Körperlich?
Nein.
Ich will! Ich habe! Für mich zu sorgen!
Nur ich kann mich selbst retten!
Ich weiß, die meisten Schäfer leben nach dem Motto:
Ich habe keine Zeit für mein burn out.
Oder nach der alten Soldatenweisheit:
Wenn Du nicht mehr kannst, hast Du erst 20% Deiner Kräfte mobilisiert.
Die aber müssen mit 60 auch nicht mehr durch Schützengräben hopsen.
Wir hingegen ...


Und dann kommt die Unterstützung, zeigt mir, wie ich mit dem Elektrozaun zwei kleine Fächer vor den Hänger baue. Die Herde wird ruhig davor platziert und nun die Mütter mit ihren Lämmern da rein gesteuert. Vor dem Hänger können sie nochmal zur Ruhe kommen, sich mit ihrem Lamm zusammen finden. Alles ganz ruhig und entspannt.
Dann wird erst die Klappe geöffnet, sie auf den Hänger getrieben.
Nur eine muss wirklich gefangen werden, bekommt mit einem dünnen Seil ein Halfter und wird so zum Hänger geleitet.
Ruhig und Entspannt.
Ja, das kostet Zeit.
Bis die Hängerklappe hinter der letzten schließt ist es drei Uhr.
Aber ich kann ja noch bis ins dunkle Hüten und der Pferch für die Nacht ist groß mit ordentlich Fallobst.
Also alles entspannt.
Anna! Entspanne!
Dieses Leben lohnt sich!
Und immer wieder, jeder kann sich nur selbst retten!
Trotzdem vielen Dank an alle, die mich mögen, unterstützen und schätzen.
In diesem Sinne allen die bis hierher gelesen haben:
Besinnliche Weihnachten.
Und einen guten Start ins neue Jahr.
In die richtige Lammzeit.
Passt auf euch auf!
Der Frühling kommt gewiss!