Sonntag, 5. Mai 2019

Lämmer, Lämmer, Lämmer


Lammzeit 1996
Ein Wochenberichte vom 18.03. - 24.03.1996 aus meinem Berichtsheft:
Ich sitze hier in einer Pause. An meinen Händen sind noch Reste von Viehzeichenfarbe und Geburtsschleim. Diese Woche geht es nun richtig rund. Dienstag 40, Mittwoch 32, Donnerstag 44, Freitag 51 Lämmer. 25 Flaschenlämmer, so viele Zwillinge wie nie zuvor. Während der Arbeitszeit ist einer immer am „Lämmersortieren“, nach Feierabend wechseln wir uns ab, um 20.00 Uhr, 22.00, 01.00, 04.00 Uhr und dann Früh wieder. Mit anfangs 16 später 20 Einzelbuchten. Bei so vielen Mutterschafen mit Lämmern heißt das: Mutterschaf mit Lamm rein, Mutterschaf mit Lamm raus, teilweise stündlich, Zwillinge sollen etwas länger drinnen bleiben. Keine Milch, will den Zwilling nicht, will gar kein Lamm, kaum Milch, will das Lamm von der da drüben, Lamm tot, also unterstoßen eines Flaschenlammes, an einem Tag drei, also drei Einzelbuchten besetzt, Scheidenvorfall, kitzlig am Euter, Schwergeburt, Tierarzt muss kommen, Gebärmuttervorfall, bei den Nichttragenden findet sich ein neugeborenes Lamm …
Trotz des Stress gehört die Lammzeit für mich zu den schönsten, befriedigendsten Jahreszeiten. Wenn ich dann todmüde aber zufrieden im Bett liege, gehe ich in Gedanken die Einzelbuchten nochmals durch und sortiere im Traum Lämmer.


Ja, viel hat sich da in den letzten 22 Jahren nicht geändert.
Hauptsächlich, dass die Lammzeit nun nicht mehr zu meiner Lieblingsjahreszeit gehört.
Die Kräfte sind ja auch nicht mehr die selben.
So bin ich froh nach vier Wochen eine Woche Pause zu haben, um etwas erholt in die letzten drei Wochen zu starten.
Eine Woche verändert viel.
Die Herdenschutzhundwelpen sind ausgezogen.
Mutter Yuna ist erfolgreich in das größere HSH Rudel integriert.


Nur ein Welpe, Goran, bleibt und lebt weiter im Stall. Zur Seite hat er seinen Vater Gunnar, der sich zwar mit Schafsböcken anlegt, aber mit Schafen, Lämmern und kleinen Welpen die Sanftmut in Person ist. Auch würde er nie über eine Hurde springen. Ein gutes Gespann.
Morgens, während dem Füttern, sperre ich Gunnar auf eine Wiese, so kann ich meine Hütehunde laufen lassen.


Für den Welpen ist das Hundeabwechslung, für Ylva und Lillebror Bewegung und für mich Hilfe. Lille räumt die Gangraufe frei, damit ich die Seiten runter lassen kann, ohne Schafhälse zu quetschen. Und er hält Muttern und Lämmer zurück, während Heurundballen in die Raufen gefahren werden.

Hier ein Link zu einem Filmchen über das morgentliche Füttern:

Das Gröbste ist nun geschafft, es sind 100 Muttern nach, die noch lammen müssen.
Auch die Spitzen mit über 30 Lämmern am Tag sind geschafft.


So möchte ich in diesem Bericht auf Probleme in den Einzelbuchten eingehen.
Wer etwas empfindlich zu drastischen Beschreibungen und Bildern ist, sollte sich vielleicht diesmal den Bericht schenken.


Ein neugeborenes Lamm braucht Biestmilch oder auch Kolostrum genannt. Es enthält wie die später gebildete Mich Proteine, Enzyme, Vitamine, Mineralien, Wachstumsfaktoren, Aminosäuren und von der Mutter gebildete Antikörper, jedoch in wesentlich höheren Anteilen. Damit wird das Lamm gestärkt und seine Immunabwehr aufgebaut. Hat ein Lamm keine Biestmilch bekommen, überlebt es in der Regel nicht.
So sucht ein Lamm auch, kaum auf den Beinen, nach dem Euter der Mutter und trinkt.
Hierfür lasse ich Mutter und Lamm gerne etwas Zeit, bevor ich mich einmische.
Ob das Lamm etwas im Bauch hat, lässt sich gut erfühlen. Bin ich unsicher kann ich nun auch das Euter überprüfen, ist es schon angetrunken? Oder noch durch einen Pfropfen verschlossen?
Dabei teste ich gleich beide Euterhälften, sind beide frei? Nicht, dass eine einseitige Euterentzündung entsteht.
Lämmer die über längeren Zeitraum noch nichts im Bauch haben, wirken erstmal nicht unbedingt unfit. Nur werden sie in ihrem Suchen immer chaotischer, lutschen an Beinen, an Hurden, rufen, sind schnell unterwegs. All das ist ein Zeichen, dass dringend Hilfe nötig ist.
Da muss nun schnell Milch rein.
So schiebe ich das Muttertier in der Einzelbucht in eine Ecke und hake den Hinterfuß zu meiner Seite in die Hurde hoch. Das Lamm und ich haben nun freien Zugang zum Euter.
Vorne halte ich das Schaf mit einem Arm, oder sogar nur mit einem Knie, um die Hände frei zu haben. Mit denen steuere ich das Lamm ans Euter.
Bin ich sicher, überzeugt und entspannt hält die Mutter brav still.


Beim Lämmersteuern ist das Wichtigste, möglichst wenig Zwang. Je mehr ich festhalte, presse, je mehr leistet es Widerstand, trinkt nicht.
Sollte ich es so nicht zum Saufen bekommen, setze ich die Mutter um, auf den Hintern zwischen meine Beine. Das Lamm lege ich zwischen ihre Beine vor das Euter. Nun greife ich mit einer Hand den Kopf des Lammes und klemme mit dem Finger das Mäulchen auf, mit der anderen melke ich Milch hinein. Ich schließe das Maul um die Zitze, hoffe auf Schlucken. Fördern kann ich das noch mit streicheln des Lammhintern oder leichte Stoßbewegungen des Lämmerkopfes gegen das Euter. Meist fängt das Lamm nun an gierig zu saugen. Tut es das nicht, mache ich eben weiter mit meinen Überredungskünsten.


Hat die Mutter keine oder nicht genug Milch gehe ich mit dem Lamm auf Klauertour bei anderen frischen Einlingsmüttern. Sind keine da, taue ich Biestmich im Wasserbad auf, nicht zu heiß, sonst gehen die Inhaltsstoffe verloren.
Biestmilch eingefroren von Schafen mit viel Milch oder Ziegen ist immer die beste Lösung. Es gibt auch unglaublich teures Pulver. Oder man fragt beim nächsten Milchbauern an, für den sind ein, zwei Liter Biestmilch nichts, kippt er sie oft sogar weg und bei uns rettet das mal eben zehn Lämmer.
Hat das Lamm etwas im Bauch lasse ich Mutter und Kind erstmal wieder in Ruhe.
Viele Dinge lösen sich mit Zeit und Ruhe von ganz von alleine.
Lässt ein Schaf ihr Lamm nicht trinken, kann das unterschiedliche Gründe haben.
Mag sie einen ihrer Zwillinge nicht, kann ich nichts tun. Zumindest habe ich noch kein Schaf dazu gebracht, das gehasste Lamm doch noch zu nehmen. Und gerade bei diesen Schnucken, die doch schon so selten zwei bekommen, kommt das ziemlich häufig vor.
Da habe ich dann ein Flaschenlamm.
Manchmal will eine Mutter aber noch nicht mal ihr eines Lamm. Gerade bei Erstlammenden kommt auch vor, dass sie kitzelig am Euter ist, oder zu aufgeregt zum stillhalten, oder ohne Verständnis dafür, was das Lamm da unter ihrem Bauch will.
In meiner Ausbildung habe ich gelernt, dann das Schaf anzubinden. Mit zwei Stricken oder breiten Spanngurten wurde die Mutter stehend an der Hurde fixiert. Nicht zu fest, aber schon so, dass sie diese Position nicht verlassen konnte. Wichtig dabei war, das die Nachgeburt schon draußen war, man das Tier in Überwachung hatte, es an Futter und Wasser gelangte und man es nicht zu lange hängen ließ. Aber meist reichten auch schon ein, zwei Stunden. Denn nun konnte das Lamm ohne Schwierigkeiten an das Euter und trinken. Und die Mutter konnte fühlen, dass das gar nicht so ein Drama ist, konnte am Hintern des Lammes riechen und es als ihres erkennen. Diese Anbindemethode war fast immer von Erfolg gekrönt.
Und was mache ich, wenn die Mutter ihr Lamm sehr liebt und sie genügend Milch hat, das Lamm aber nicht überlebt? Dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe, Frühgeburt, im Bauch oder unter der Geburt gestorben, im Fruchtwasser erstickt, lebensschwach, schwer verkrüppelt, erkrankt, usw. Lämmertode sind vielfältig. Nun habe ich da eine trauernde Mutter, die ihr Kind vermisst. Warum sie nicht mit einem neuen beschenken, ihr eines unterstoßen?
Dafür „mäntel“ ich das neue Lamm.
Es sollte ungefähr genauso groß oder kleiner als das Tote sein. Auch sollte es noch erinnern, wie man aus einem Euter trinkt. Ein dickes Flaschenlamm, das nur noch nach dem Menschen schreit, werde ich keinem Schaf mehr andrehen können. Dazu sollte es hungrig sein. Bestes Szenario ist, ich setzte das bemäntelte Lamm zu seiner neuen Mutter und es strebt sofort zum Euter, fängt an zu trinken. Die Mutter riecht am Hintern und erkennt ihr Lamm.
Sehr gut!
Zum Mantel selbst, hier gibt es unterschiedliche Methoden, ich erkläre meine.
Das tote Lamm wird an einem Hinterfuß aufgehängt. Mit einem scharfen Messer ringele ich die beiden Hinterbeine und schneide dann von einem Bein zum anderen eine Linie durch die Haut.
Nun ziehe ich das Fell ab, den Schwanz lasse ich am Fell, trenne nur den Knochen vom Rumpf.


So kann ich das Fell, wie man einen Pullover auszieht, von dem Lamm ziehen.

Hängt der Mantel nur noch umgekehrt an Kopf und Vorderbeinen ringele ich auch hier und ziehe ihn ab.


Nun drehe ich alles wieder richtig herum und ziehe das ganze dem Mutterlosen wie ein T-Shirt an. Wichtig ist, dass der Hintern abgedeckt ist. Eine zweite Geburt für das Lamm.


Der Mantel bleibt so lange drauf, bis es darunter genauso entsetzlich stinkt. Nun wird das alte Fell stückweise von dem Lamm geschnitten.
Dieses Jahr kann ich sagen, dass wirklich jedes bemäntelte Lamm, und es waren einige, von den Müttern angenommen wurden.
Und wenn sich keine liebende Mama findet?
Was dann?
Dann muss der Zwerg wohl mit der Flasche aufgezogen werden.
Flaschenlämmer.
Oh, Flaschenlämmer.
Nun mach ich das ja auch schon seit fast 30 Jahren.
30 Jahre Flaschenlämmer.
Nein, definitiv schon lange nicht mehr mein Lieblingszeitvertreib.
So möchte ich auf keinen Fall Zeit mit unnötigem Getüddel vertun.
Was heißt ich renne nicht mit Nuckelflaschen und Thermoskannen durch den Stall.
Es geht mir darum, das Lamm möglichst schnell an die Lammbar zu gewöhnen.


Lammbar ist ein Eimer mit bis zu sechs Saugern, den ich an einer Halterung auf Stehhöhe der Lämmer anbringe und aus dem sie dann die Milch trinken.
Beachtet man ein paar Dinge, ist es kein Hexenwerk und ziemlich schnell trainiert.
Das wichtigste, der Sauger auf der Flasche muss von der gleichen Art wie die an der Lammbar sein.




So kann ich das kleine Babylamm, dass noch nichts weiß und erst Trinken lernen muss, auf meinem Schoß anlernen. Auch hierbei gilt, je weniger ich halte und zwinge, je eher trinkt das Lamm.
Ist das Lamm so weit, gierig zu saugen, ist es ein leichtes, es an die Lammbar zu schieben.
Habe ich schon Lämmer die gut an der Bar saufen, lernen die Neuzugänge sogar oft von alleine dort auch zu trinken.
So stelle ich auch immer zuerst die Lammbar auf. Dann füttere ich mit der Flasche die Lämmer, die noch irgendwo in Einzelbuchten bei Müttern sind. Zwischendurch fische ich alle Lämmer deren Bäuche prall wie Ballons sind von der Bar, sperre sie weg. Platzen sollen sie ja nicht und so haben nun andere Raum zum Trinken. Erst zum Ende schaue ich, ob alle Mägen ausreichend gefüllt sind. Bei jüngeren Lämmern füttere ich gegebenen Falls noch Flasche nach, bei älteren unterstütze ich ihr Trinken an der Bar.


Dieses Jahr bringe ich nicht fertig, liebenden Schafsmüttern mit nicht ausreichend Milch ihr Lamm abzusetzen. So kommen sie in eine Bucht direkt neben den Flaschenlämmern. Ich kann ihre Lämmer zum Trinken an die Bar setzen und später zurück zu ihren Müttern.
Die liebe zwischen Mutter und Lamm, diese innige Bindung ist und bleibt das, was mir am meisten Freude macht!