Freitag, 4. Februar 2022

Bayern im Januar 2022

 

 

Von Schleswig-Holstein geht es siebenhundertfünfzig Kilometer nach Bayern.

Viel weiter weg kann ich mir kaum noch Arbeit suchen.

Doch es war nicht die Entfernung die mich reizte, nein, es ist diese Schäferei. Ganzjährige Hütehaltung, gesunde, proppre Bergamaskerschafe, ordentlich durchstrukturierter Betrieb und ein handfestes, herzliches Schäferpaar.

 

 

 Ihre Herde ist bereits für die Lammzeit aufgestallt. Doch die große Herde des Schäfers ist unterwegs auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Die Donau ist nicht weit, alles ist flach, dicht besiedelt, wenig Grünland, dafür um so mehr Acker.

 

 

So weiden die Schafe hauptsächlich Zwischenfrucht, Senf, Ölrettich.

 


Landschaftlich fühle ich mich fast erschlagen von so viel Bebauung, Straßen, Häuser, Industrie, Bahn, befestigte Wege, hier kann man Mensch nicht entkommen.

 

 

Gleichzeitig macht es das Tägliche abwechslungsreich und spannend. Wege für die Herde zu finden gleicht der Suche durch ein Labyrinth.

 

  

Gleich am ersten Tag müssen wir Landstraße und Bahn queren. Der Zug kommt alle zehn Minuten, bei einer Herde dieser Größe ein zu riskantes Spiel. Die Alternative bedeutet über eine vielbefahrene Straße, eine Treppe für Fußgänger hinunter in die Unterführung unter der Bahn hindurch.

Ja, und ich soll voran gehen!

Ich bin etwas ungläubig ob dieses Vertrauens. Nicht nur in mich, auch in die eigenen Schafe, dass sie mir Fremden, mit fremden Hunden, folgen werden. Gleichzeitig gibt Letzteres mir auch Zutrauen. Ein Schäfer kennt seine Schafe. Wenn er glaubt, sie machen das, dann wird es gelingen.

Aber gut, ein neuer erster Moment, das flatternde Gefühl im Magen gehört dazu.

Pferch auf und los geht’s. KOOOMT ALDI, KOOOMT.

Und sie kommen!

Ziehen an, laufen mir nach, beäugen nicht einmal meine Hunde allzu misstrauisch, zu sehr sind sie Altdeutsche Hütehunde dieses Schlages gewohnt.

Wir sind oben am Hang und müssen runter ins Tal. Nicht den Weg, den ich mit dem Auto gefahren wurde. Also hier ein Stück geradeaus und dann rechts runter. Die Schafe folgen, trotz meiner unsicheren Schritte.

Geht es hier schon rechts?

Ich spähe durch die Heckenöffnung auf die nächste Wiese unter mir. Sieht nicht so aus, als käme man da unten durch. Also doch noch ein Stück gerade aus. Die Spitze der Herde folgt, doch dann biegen einige ab.

Hm … Schafe kennen ihren Weg, sie werden es sicher besser wissen!

Also laufe ich an der Herde zurück, biege ab. Und tatsächlich folgt die Herde brav. Die Wiese runter … aber da ist kein Durchgang durch die Büsche.

Mist!

Bin ich doch falsch?

Ich drehe mit der Herde, laufe zurück bergauf, wieder nach rechts.

All das machen diese unglaublich geduldigen Schafe mit. Etwas weiter eine Obstbaumwiese, aber es sieht überhaupt nicht danach aus, als ginge es hier entlang. Ich bleibe stehen. Hier kann ich auch besser ins Tal blicken. Die Wiese auf der das Karottenfrühstück wartet sehe ich nicht, doch über die Bahn rüber, war das nicht alles viel weiter rechts? Hätte ich doch über die andere Wiese gemusst?

Den Schafen reichts, hinten dreht ein Teil der Herde, kippt zurück auf die Wiese. Der Rest dreht, voller Galopp davon. Verübeln kann ich es ihnen nicht, auch rennen sie nicht weit, bleiben auf der Fläche. Nun sind sie wirklich misstrauisch. Ich überhole auf der oberen Wiese, schlage mich durchs Gebüsch und stehe endlich auf der richtigen Seite vor der Herde.

Ich rufe.

Keine Reaktion.

Ja, kann ich verstehen.

Hund mag ich jetzt auch nicht schicken. Auf unsichere Schafe einen fremden Hund knallen lassen, keine gute Idee!

Lille stößt ob meines Rufens hohe Jiffeltöne aus, ICH KANN DAS, LASS MICH, und ist überhaupt völlig durchgerattelt. Endlich wieder Schafe, nach einem halben Jahr Pause!

Ich leine ihn an, Ylva schicke ich durch das Gebüsch auf die Wiese über uns, da läuft sie aufgeregt. Die Schafe sehen den Hund parallel, ich rufe weiter. Dann besinne ich mich auf den letzten Trick, den ich morgens mit auf den Weg bekommen habe. Ich schmeiße Brotkrumen von einem alten Baguette. Die Ziegen kommen gierig vor und endlich zieht die Herde an, folgt. Und tatsächlich musste ich diese Wiese im Slalom zurück, da geht ein Weg weiter gen Tal. Ylva folgt auf ihre typische, die Herde nicht störende, Weise. Und da sind die Karotten. Die Schafe verteilen sich glücklich.

 


 

 Schäferpaar und Helfer sind versammelt, um die Querung abzusichern.

Als die Karotten gefressen sind, ist Straße und Bahn dran. Die Schafe ziehen nur zögerlich an, es braucht Hilfe von ihrem Schäfer. Doch als er zur Seite weicht, folgen sie mir, über die Straße, die Treppe hinunter, unter der Bahn durch. Ich laufe schnell, um den Zug möglichst schmal und lang zu machen. Alles läuft wie am Schnürchen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Und schon bin ich mit der Herde auf der Zwischenfrucht. Die Schafe beißen hungrig an und Lille kann endlich seine Glieder strecken, Grenze laufen.

 

 

Etwas, was er die nächsten zwei Wochen ausdauernd machen wird, unermüdlich, sechs bis sieben Stunden am Tag, ohne auch nur einmal Erschöpfung zu zeigen. Im Gegenteil, ich kann sehen, wie die Kondition zurückkehrt, wie das Geweine aufhört, wie der Hund von Glück und Zufriedenheit erfüllt ist. Sein Laufen wird immer gleichmäßiger, entspannt und doch immer den Verstand im Geschehen. Die Flächen sind meist in unterschiedlicher Form rechteckig, deutlich begrenzt durch anderen Bewuchs oder Feldwege. Ist die Herde auf der Parzelle, wird nicht gehalten, sie fressen wo und wie sie wollen. Und Lille pendelt auf Höhe des Druckpunktes, oder dort wo Tiere zu nahe der Grenze kommen. Gibt es zwei Fronten ist da auch immer noch Ylva, die erstaunlich motiviert arbeitet.

 

 



 

Ja, das Hüten hat uns wieder.

Im Januar.

Das Wetter bleibt um die null Grad, oft diesig, mal Schnee, selten Regen, kaum Wind.

Normalerweise ist November der Monat, in dem ich am meisten friere.

Gewöhnung.

Und nun? Ja, ich finde es entsetzlich kalt. Doch ziehe ich einfach unglaubliche Mengen an. Wolle über Wolle über Wolle und viel heißen Tee. Das geht schon, und wie gesagt, immerhin kaum Wind. Der Süden hat seine Vorteile. Ha, ha.

 

  

Meine Füße? Sie tragen mich.

Auch am zweiten Tag, als es gilt sieben Kilometer zu ziehen. Durch Wald, über die Donau und an ihr entlang. Eine unglaublich schöne Strecke, ja, und die Herde folgt mir, der Fremden. Ein so erhabenes, tolles Gefühl. Füßejaulen später in der Nacht allemal Wert.

Durch den Wald mit der Herde hinter mir, das liebe ich. Keine Gefahren, auf die ich achten muss, die Herde läuft und ich kann den Moment in mich einatmen.

 

  

Doch dann erschrecken einige Schafe, machen entsetze Sprünge nach vorne. Wie eine Welle rauscht es durch die Herde, erwischen mich unerwartet. Die ersten Zwei sind an mir vorbei gesprintet, die dritte packt Lille und macht sie doch nur schneller. An die zwanzig Tiere sind an mir vorbei, bis ich sie aufgehalten bekomme. Da galoppieren sie vor uns. Auch wenn das Bollwerk aus mir und den beiden Hunden erstmal hält, nicht lange, zu stark ist der Drang der Herde ihren fliehenden Kameraden zu folgen. Die ersten brechen durch. Ich leine Lille an, hier kann er nichts lösen. An der nun rennenden Herdenseite versuche ich Schritt zu halten, gleichzeitig rufe ich den Schäfer an. Er erwartet mich an der Landstraße zur Donau. Es ist noch ein ganzes Stück, sehr wahrscheinlich werden die Schafe vorher stoppen. Doch darauf verlassen möchte ich mich nicht. Besser er ist vorgewarnt, dass womöglich die Herde ohne mich gerannt kommt. Denn so schnell wie eine rennende Schafherde bin ich beim besten Willen nicht.

Gott sei Dank, nicht viel weiter, als der Waldweg etwas mehr Platz lässt, steht die Spitze. Ich biege in den Wald, schlage einen großen Bogen, nichts soll sie wieder in Gange setzen, bis ich die Spitze wiederhabe. An der Herdenfront angekommen, ziehen wir weiter, als hätte es die Situation gerade nie gegeben.

 


Gesittet biegen wir auf die Landstraße, nun aber zügig. Nicht nur wegen dem Autoverkehr. Ein ganzes Stück vor der Donaubrücke beginnen links und rechts Leitblanken. Schafe, die auf der falschen Seite laufen, haben oft Schwierigkeiten diese dann wieder zu überwinden. So laufe ich schnell, ziehe den Zug in die Länge, lasse die Hunde links und rechts laufen. Bei diesem Laufen ist es schwierig gleichzeitig Hunde, Verkehr und das Herdenende im Blick zu haben, meine Nerven!

 

 

Aber drüber sind wir und runter von der großen Landstraße, einfach den Waldweg rein. Auch wenn ich nun die Herde wieder drehen muss, das U um die Leitplanke direkt auf den Donaudamm wäre doch zu scharf gewesen. Wieder lasse ich das Ylva-Hundchen vor der Herde, laufe an der Herde nach hinten, mache das Hinten zum Vorne. Die Schafe folgen brav.

Wer hier denkt, das ist doch einfach, hat entweder sehr gut gezogene Schafe, oder keine Ahnung.

Eine Schafherde ist nicht wie ein Zug in einem Sackbahnhof, ich steige nicht vorne aus der Zugmaschine und laufe nach hinten, steige in eine andere.

Schafe lieben ihren Platz in der Herde. Es gibt die, die vorne laufen, Leitschafe und die die folgen, auch die Schlusslichter sind meist die gleichen Tiere. Will ich das ganze in die andere Richtung drehen, besonders auf einem schmalen Weg, braucht es Vertrauen und willige Leitschafe, zu folgen, diesen, aus Schafssicht, Unsinn, mitzutragen. Danach muss sich das Kuddelmuddel erst wieder entwirren.

Und da sind wir auf dem Donaudamm! Ich ziehe mit einer Herde Schafe an der Donau entlang! Wow! 

 

  

Der Schäfer begleitet mich ein Stück, um die nächste zwickelige Stelle abzusichern. Ich sage, wenn ich hier jetzt immer weiterziehen würde, käme ich bis zu meinem Cousin, der bei Wien an der Donau wohnt. Er erwidert, dass das aber den nächsten Nachbarschäfern nicht gefallen würde und zählt Namen auf. Ich sage, dass ich doch so schnell wäre, das würden die gar nicht mitkriegen, wildern würde ich des Nachts. Wir lachen.

Und dann bin ich da, neue Zwischenfrüchte, die Schafe fressen, die Hunde laufen. Rechteckige Fläche, klingt einfach. Ist es auch, bedingt. Denn es sind nun mal Hüteschafe und die haben ihre Ansprüche. Selten stehen sie einfach weit verteilt, fressen und wenn, nicht für lang. Meist schon nach einer Stunde ist das Futter langweilig, Schaf möchte weiter. Da ist immer die Abwägung, wie lange bestehe ich darauf, dass das noch zu genießen ist und wie viele Tiere fressen tatsächlich noch. Es gibt immer ein paar denen es schnell nach Frischem gelüstet. Wenn dieser Wunsch dann nicht erfüllt wird, steht man halt gelangweilt rum. Aber andere fressen ja noch zufrieden, wie viele brauchts, um mich unter Druck zu setzen? 

Das kommt nicht nur auf die Zahl an. Ausschlaggebend ist auch, was ich noch in petto habe. Wie viele Stunden sind es noch bis zum Einpferchen? Nicht, dass ich schon um drei Uhr auf der letzten Fläche lande. Auch die Frage, ob ich hier morgen nochmal längs komme? Fressen sie, dann wieder hungrig, besser? Oder geht es weiter, würde das noch gute Futter verschwendet?

 

  

All diese Stücke liegen selten direkt nebeneinander. Ja, was soll ich sagen, wir sind nun mal im Süden Deutschlands. Nichts von den großen Schlägen des Nordens oder Ostens. Feldchen würde es dort wohl heißen, wenn es überhaupt beackert würde. Nun ist da ein Stück Zwischenfrucht, dort Acker, da junger Weizenaufwuchs, dort Wiese. Oftmals mit unterschiedlichen Besitzern. So kann ich mich nicht einmal am Bewuchs orientieren ob ich da drauf kann, nein, der Bauer muss auch noch einverstanden sein. Natürlich bekomme ich alles gezeigt, aber mein Gehirn muss es sich auch noch merken. Und dann muss ich von einer Parzelle zur nächsten kommen. Auf Feldwegen, gerade so breit wie die zwei Reifenspuren und links oder/und rechts Ackerfrucht. Ich gucke mir die Wege vorher genau an, plane. An welchen Stellen habe ich immerhin eine Seite mit reinem Acker an den ich mich lehnen kann, wo ist links und rechts Getreideneueinsaat und wie lange. Es ist nicht einfach.

Ja, ich bin schonmal im Feld gezogen, ja, ich habe gute Hunde.

Aber Fakt ist, mir fehlt Routine und Praxis. Denn eben „schonmal“ macht keinen Profi.

Die meisten Herden die ich in den letzten Jahren gehütet habe, waren nicht fürs Feld erzogen. Ja, sie liefen als Herde hinter einem Schäfer. Aber in einer selbstgewählten Form, höchstens durch Gräben, Knick oder Wald in eine schmale lange Form gepresst. Die Schafe waren nur zum Teil überhaupt gewohnt, dass Hunde die Seiten flankieren und gar nicht, dass ein Hund da formend eingreift, Druck macht.

Die wenigsten Hunde können dies überhaupt, der Border Collie oder Kelpie sicher nicht, die mitteldeutschen Altdeutschen nicht und auch der Deutsche Schäferhund schwächelt hier. Es sind die kräftigen Süddeutschen Schläge des Altdeutschen Hütehundes, für die diese Art zu arbeiten schon immer erforderlich war, die dies in den Genen haben.

Ja, solche Hunde habe ich. Und ich habe auch schon manche Herde tief geschockt mit dieser Urgewalt die da an der Herde entlang prescht, durch die Schafsblase pflügt.

Hier endlich eine Herde, die dies gewohnt ist, für die solche Hunde Normalität sind.

Und doch, leicht ist es nicht.

Möchte ich weiter, rufe ich. Von Vorteil ist dann, wenn die Schafe schon weiter wollen, und ich eine Richtung vorgebe, mit der sie einverstanden sind. Denn ja, sie wissen schon, dass sie mich und die Hunde nicht kennen.

Bisher hat sie ja alles richtig gemacht, aber ganz sicher kann man ja bei soner Dahergelaufenen nie sein! Sie ruft, wir wollen auch weiter, also könnte man ja eigentlich folgen?

Bis dahin ist die ganze Herde zusammengelaufen, überlegt. Die treuen Altziegen sind dann die, die sich erbarmen, auf mein Rufen loslaufen. Der Rest folgt. Nun habe ich eine unglaublich breite Herdenfront, die doch gleich auf autoachsenbreiten Weg verschmälert werden soll. Also versuche ich mit Anlauf loszuziehen. Nur dass auch die beste Hüteherde den Sinn auf einer Fläche schmal zu laufen nicht sieht. So lasse ich Ylva und Lille links und rechts rennen, das bringt Form. Wie gesagt, es sind anständige Schafe, nicht wie andernorts schon erlebt, dass bei so viel Gewalt ein Teil der Herde nach vorne und der andere nach hinten flieht. Kopflos und entsetzt. Nicht diese hier. Doch sie werden schnell. So muss ich vorne rennen. Ylva läuft ihre Seite fast wie eine Grenze, nach hinten nicht ganz durch. Lille läuft vom ersten bis zum letzten, wird auf den letzten Metern laut und packt an. Ein lauter Anpacker. Gold wert, im Frühjahr auf langen Reisen mit kleinen Lämmern. Nun erhöht dieses laute Anpacken das Tempo der Herde. Ich renne vorne, eingepackt wie ein Michelin Männchen, dazu der Rucksack. Rückwärts schaffe ich das nicht, schon so habe ich Schiss, dass mich ein folgendes Leitschaf zu Fall bringen könnte. Besonders da ich beim Rennen über die Schultern nach den Hunden schaue. Lilles Lautstärke kann den Schwanz hinten bei Ylva ins Feld scheuchen. Dann muss ich sie motivieren weiter nach hinten zu laufen, ohne dass sie dies zum Anlass nimmt, in die Schafe zu knallen. Die Herde langgestreckt ist zu lang, als dass ich auf Lille, am Ende angelangt, bremsend einwirken zu könnte.

Endlich sind wir auf der nächsten Fläche angelangt. Die Herde verteilt sich glücklich mampfend, die Hunde laufen Grenzen und ich stehe, beobachte. Spüre wie der klatschnasse Schweiß auf meiner Haut kühler und kühler wird, die Kälte des Wintertages zurückkriecht.

Für die Umstände bin ich mit meiner Feldarbeit ganz zufrieden. Nicht so der Schäfer. Es gehört zu seinem Ehrenkodex und natürlich auch zur Verständigung mit den Bauern, dass seine Herde sauber durchs Feld geht. Er kritisiert es nicht, nein, er kommt und übernimmt die besonders schwierigen Stellen.

 


Und recht hat er, denn das könnte ich nur mit mehr Zeit und Gewöhnung. Die Herde steht noch im weiten Gehüt, da ruft er leise. Die Leitschafe, die natürlich immer seine Nähe suchen, ist der doch ihr Hüter, reagieren sofort. Er zieht mit ihnen los. Bis der ganze Haufen begriffen hat, dass es weiter geht, ist er mit der Spitze und dem lang folgenden Schlauch schon weit im Feld. Die Herde ist ja gut erzogen, die Hunde braucht es jetzt nur, um allzu vorlaute Lämmer oder Ziegen zu reglementieren, oder die verträumten Nascher hinten mal zu gemahnen.

Mir macht es Freude dieses Zusammenspiel, dieses Können, zu beobachten.

Auf der Fläche übernehme ich die Herde wieder, hüte sie, bis es dunkel ist.

 


 

Ich liebe Sonnenuntergänge.

 



 

Doch auch bei diesigem Wetter ist das Fallen der Nacht immer wieder beeindruckend. Wie sie langsam jedes Licht, jede Sicht verschluckt. Bis der Weg in den Pferch nur noch zu erahnen ist. Gute Nacht ihr Schafe.

 

 

Es ist Schäferleben.

Alles zirkelt um die zu hütende Herde.

Jeden Tag geht es ein Stück weiter, weg von der Sommerweide, Richtung Heimat. Jeden Tag ein neuer Pferch, ein neuer Weg, neue Weiden. Immer im Kontakt mit den jeweiligen Landwirten. Hier nur grasen, da kann der Pferch, da das Karottenfrühstück, hier nicht so doll, das kann gerne ganz runter.

 

  

 

Und dann ist ja auch noch eine Herde im Stall. Die Muttern wurden auf Trächtigkeit geschallt. Es sind nicht viele Nichttragenden, noch weniger, die bereits ein zweites Mal güst sind und damit Bracken. Die Nichttragenden werden zur Hüteherde gefahren, kein Stall und Silo für sie. Die Schurkolonne kommt, im Stall brauchts keine Wolle. Ab nun können wir beim Einstreuen das Stroh von den Förderbändern einfach über die Schafe gabeln. Keine Wolle die sauber gehalten werden muss.

 

 

Abends, nach für mich getaner Arbeit, geht es für den Schäfer noch ins eigene Schlachthaus, Lämmer metzgern. Besser kann es ein Lamm nicht haben, in der Herde bei Mutter und Familie heranwachsen, immer draußen, immer lebendiges, grünes Futter, Freiheit. Dabei hat es auch noch für nachhaltigen Naturschutz und Flächennachpflege gesorgt. Und dann auf dem Hof geschlachtet, direkt vermarktet, nach Kundenwunsch zerlegt.
 

 

 

Wie würde ich mir wünschen, dass jeder Fleischkonsument auf solche Bedingungen wert legt. Ist solch Lamm noch nicht einmal teuer. Das aus Neuseeland im Supermarkt kostet auf jeden Fall mehr.

Aber dem ist nicht.

Und was sind das für Arbeitstage?

Warum kann es nicht mehr lohnend sein, Landwirtschaft auf diese Art zu betreiben?

Ich bin Schäferin. Es sind 30 Jahre, dass ich nun Schafherden betreue.

Die Definition meines Ichs erfolgt darüber.

Ich bin Schäferin!

Und doch ist da nun ein Hadern. Eine Erschöpfung.

Die mir noch unangenehmer ist, sehe ich wie viel mehr das Schäferpaar schafft.

Viele Gedanken, viel Rumoren.

Es ist mein erster Arbeitseinsatz, nach wirklich langer Krankheitspause. Es gilt mich neu zu finden.

Ja, wenn ich mit der Herde und meinen Hunden unterwegs bin, bin ich zufreiden.

Und der Betrieb hat alles, was ich mir von einer Schäferei nur wünschen kann.

Ich weiß es nicht. Oder doch?

 


 

 

 

 

4 Kommentare:

  1. Superklasse geschrieben,hat richtig Spaß gemacht das zu lesen,als wenn man dabei wäre 👍 Dankeschön dafür 👍

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  2. Sehr spannend und das wirkliche Schäferleben beschrieben, nicht glorifiziert

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  3. Toll geschrieben, leider geht all dieses Wissen , die Hütekunst, in den jungen Schäfereien verloren, so zumindest meiner Beobachtung nach.
    Schade Schade - und ich weiß wovon ich schreibe, hab dieses Handwerk selbst über 40 Jahre ausgeübt in ähnlicher Form wie hier von Dir eindrucksvoll geschildert.

    Nur in einem Punkt möchte ich Dir widersprechen, der DSH kann schon den erwarteten und benötigten "formenden Druck" bewirken wenn benötigt wird um durchs Feld und die Gemarkung zu ziehen, aber auch in die Hütehundausbildung wird leider vielfach zu wenig Sorgfalt investiert.

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