© Dagmar Clausen |
Nein, noch habe ich keinen neuen Hund.
Und ja, ich weiß, darüber habe ich schon viel geschrieben. So kann es sein, dass manches nicht neue ist. Ich betreibe Plagiat von mir selber. Vielleicht sollte ich als Kanzler kandidieren. Ha, ha.
Doch nicht einmal geplant, da ich nicht in alten Berichten stöbere, das nimmt mir nur den Flow.
Zu Anfang wie immer: Das ist meine Herangehensweise, sind meine Gedanken zu dem Thema. Für den, der es besser weiß und kann, freu Dich, kein Grund mich dafür zu sperren. Und wenn doch, nur zu. Zwinkersmily.
Bei mir kommt der junge Hund nicht etwa mit zum Hüten, wenn er das passende Alter dafür hat. Er kommt einfach mit. Fertig. Dies aber aus Notwendigkeit, der Hund lebt bei mir im Haushalt und ich weiß gar nicht wo sonst mit ihm hin. Klar bin ich zum Arbeiten auf dem Betrieb, und da leben meine Hunde auch im Zwinger. Das machen sie gut, ist selbstverständlich für sie, und doch fände ich es eine Zumutung für den Welpen, wenn ich in dieser eh schon fremden Umgebung die Althunde mitnehme und von dem kleinen Pups erwarte alleine zurück zu bleiben.
So ist der Junghund also bei den Schafen, die ja noch gar nichts für ihn sind. Und damit ist das Erste was er lernt, sich zu benehmen, Ruhe zu halten, nicht zu nerven. Was heißt, an der Leine gehen, nicht rumzoppeln, nicht bellen, aus der Schafherde raus bleiben, in meiner Nähe.
Zum Glück brauchen Altdeutsche Hütehunde Zeit bis der Drang zu hüten richtig erwacht, der Trieb hält mit der körperlichen Entwicklung schritt.
Ganz anderes kenne ich das vom Border Collie, der schon als kleiner Welpen mit unglaublichem Fokus und Konzentration auf Schafe reagiert. Natürlich ist das viel zu viel für so einen jungen Hund. Selbst wenn er das Alter zum Starten hat, um das erste Lebensjahr herum, ist seine Anspannung so intensiv, dass er nur dosierte Trainingseinheiten haben sollte.
Der Altdeutsche ist da anders, von ihm erwarte ich, dass er auch in Gegenwart der Schafe mal runterfährt, Pause macht. Natürlich, ein Hütetag ist lang und ich habe seltenst die Möglichkeit Hunde zu wechseln.
Nun habe ich also einen kleinen Hund der schon weiß, dass er in meiner Nähe bleiben muss, nicht in die Herde darf, der ab und an mit dem Althund in der Grenze dödelt und dem nun so langsam dämmert, das Schafe ja wohl das Größte sind. Sein uralter, über Generationen gezüchteter Trieb erwacht. Unbedingt muss er etwas mit ihnen machen. Da der Hütetrieb vom Jagdtrieb kommt, kann sich das durchaus in dem starken Verlangen ein Schaf zu packen äußern.
Nun komme ich ins Spiel, die Ausbildung beginnt.
Möchte ich ja, dass der Jungspund mal die Schafe hütet.
Und ich gehöre nicht zu denen, die gerne einen Hund hat, den ich dazu zwingen muss, zu tun was ich will, während der Hund die ganze Zeit darauf lauert, endlich seinen eigenen Wünschen zu folgen.
So ist meine Ausbildung darauf aufgebaut mit dem Hund zusammen zu arbeiten, ihm zu zeigen, welch Freude es macht, die Herde beim Hüten zu lenken, zu steuern, mit mir und den Schafen eine Harmonie zu bilden.
Die Veranlagung für diese Art des Schafehüten muss der Hund natürlich mitbringen. Ich möchte einen Hund der sich an mich bindet, der nach mir schaut. Da achte ich schon bei der Auswahl darauf, ist er interessiert an mir? Dafür bin ich auch bereit Abstriche bei seinem selbständigen Arbeiten zu machen. An diese Grundlage knüpfe ich alles weitere.
Beim Hüten ist belauern, starrten und natürlich erst recht greifen, schütteln und packen verboten. Gleichzeitig motiviere ich den Hund, dass er in die Bewegung kommt, sich an der Herdenfront bewegt. Und der Hund lernt schnell, dass dieses Laufen auch Befriedigung bringt. Grenzen sind mir dabei nicht so wichtig. Klar, habe ich welche, erwarte ich das Hund darin bleibt. Das ist oft das einfachste. Schnell rast der Junghund in seiner Grenze auf und ab, begeistert Energie auslaufend.
Aber nur all zu oft habe ich gar keine Grenzen, oder wenn, ist dort nicht der Schafsdruck.
So stehe ich an der Herde, meine Position und Blickrichtung gibt den Ausschlag für die Arbeit. In meinem Rücken braucht kein Hund rumduddeln.
Will er es doch, schließe ich den Raum mit der Schippe. Meine Schäferschippe ist der verlängerte Arm, nicht zum Hauen, nein, zum Räume schließen oder öffnen. Will der Hund hinter mir weiter, ist da die Schippe. Will der Hund zwischen mir und der Herde durch, ist da die Schippe. Stellt oder glotzt sich der junge Hund an der Herdenfront fest, laufe ich dahin, löse das festsaugen auch mit der Schippe, einfach in dem ich sie zwischen Schafe und Hund halte, den Hund zurück in die Bewegung stupse. Dabei Lobe ich viel, aber immer mit ruhiger, entspannter Stimme.
Mit dem Althund mitrennen lasse ich wirklich nur ganz am Anfang zu. Das macht einfach viel zu viel Spaß, ist schnell als Highlight schwer wieder abzugewöhnen. Da kommt die Leine ins Spiel. Weiß ich schon, dass es schwierig wird, den Jungen am Mitrennen zu hindern, leine ich ihn an. Natürlich könnte ich es auch erzwingen, aber warum? Wozu dieser heftige Druck auf das junge Gemüt, dass einfach noch oft überschäumend ist.
Überhaupt halte ich das für sehr wichtig, Druck nur, wenn nötig, dass heißt, wenn es vom Hund angenommen und umgesetzt werden kann, dann auch gerne heftig und nachdrücklich. Und ganz wichtig, das monotone Rumgemecker abstellen. Ha, ha, so einfach gesagt.
Genauso wichtig die Gratwanderung zwischen Kontrolle und Loslassen.
Ein Hund der mitdenken soll, muss die Freiheit haben selbständig Entscheidungen zu treffen. Die sich natürlich nicht immer mit meinen decken. Und so ist das Zusammenspiel zwischen mir und Hund immer auch Kommunikation mit Nuancen.
Es gibt NO-Gos die unverhandelbar sind.
Und selbst da bin ich nicht immer konsequent.
Zum Beispiel will ich nicht, dass der Hund zwischen mir und der Herde durchläuft. Wirklich nicht. Ich gehöre zur Herde, jedes Leitschaf kann bei mir stehen, ist unantastbar. Die anzugehen gibt Höllenärger.
Doch hüte ich an einem Weg und habe eine gute Sitzgelegenheit auf der Böschung gegenüber diesem Weg, dann ist es natürlich ok, wenn der Hund zwischen mir und den Schafen pendelt.
Oder ich verteile Futter und möchte dabei nicht von der Herde überrannt werden, dann hält der Hund die Schafe von mir fern.
Ja, er muss dann entgegen einer Grundregel arbeiten und doch hatte ich nie das Gefühl, dass er nicht genau weiß, dass diese Ausnahmen nicht generalisiert werden dürfen.
Den jungen Hund los zu lassen, ihm zu vertrauen, ihn ins Arbeiten lassen, braucht Mut.
Um Lillebrors ersten Geburtstag hatte ich mit Abstand von gerade ein paar Monaten zwei Fernsehteams da. Was machte ich mir vorher Sorgen, wie es laufen würde. Ich abgelenkt und dann dieser junge Wildfang dazu. Beim ersten Mal entschloss ich mich, Lille an der Leine zu behalten. Das führte dazu, dass er total unzufrieden war und meist leise vor sich hin weinte. Zum Glück verrät der Schnitt des Filmes das nicht wirklich. Zu sehen ist, was für Power in dem Hund steckt, als ich ihn einmal, noch mit viel Körpersprache, schicke. Auch gibt es die kurze Sequenz, wo ein altes Schaf meint, es könne den Jungspund zurrechtweisen. Schon da zeigte Lille wer er ist, kurz ausgewichen und dann sofort nachgesetzt.
Diese Hartnäckigkeit ist so unglaublich wertvoll für mich, sie zeichnet Lille aus. Egal wie sehr es gerade auf die Fresse gegeben hat von Ziege oder renitentem Mutterschaf, ob die Pfoten durchgelaufen sind, ob er eigentlich nicht mehr kann, Lille geht wieder hin, macht weiter.
Natürlich zeigt er gleiches Verhalten auch im Umgang mit mir, versucht Dinge wieder und wieder. Ok, liegt sicher auch daran, dass ich nicht konsequent hart genug bin. Lach.
Als sich dann das nächste Fernsehteam ankündigte, wusste ich vorher, nur an der Leine lassen würde nicht funktionieren. Der quietschende Hund wäre mir peinlich und doch würde ich mich auch nicht trauen hart genug zu sein. Schon weil Lille genau wüsste, dass ich nicht bis ans Ende meiner Methodik gehen würde, nicht vor der Kamera.
Das Wiesental auf dem die Schafe zu Hüten waren, hatte zum Glück einen Teerweg als feste Grenze. So war mein Plan darauf zu vertrauen, dass Lille diese laufen würde ohne auf unsinnige Gedanken zu kommen.
In dem Beitrag sieht man, wie ich ihn einmal auf Kommando vorhalten lasse. Körperlich muss ich da nun nichts mehr unterstützen, ein einfaches Ansprechen reicht, um ihn gewohnt heftig losfliegen zu lassen. Keine Überraschung.
Die große Überraschung ist in dem Film kaum zu sehen. Ich war abgelenkt, Interview, Filmteam, deren Vorstellungen von Aktion und hatte kaum ein Auge für den Hund.
Und was machte klein Lillebror?
Nützte er es aus? Zog die Grenzen enger?
Nein, im Gegenteil. Er übernahm die Herde, das Hüten. Nicht nur den geteerten Weg an der Seite. Er hielt vor, bremste den Vorwärtsdrang der Schafe und gab ihnen doch Raum.
Nachdem ich ihn das eine Mal habe Kippen lasse und die Schafe zurück fraßen, lief er auch da. Immer am Druckpunkt der Herde, ohne zu stören.
Ich war schwer beeindruckt!
Ja, er schnitt Ecken, aber das kümmerte mich nicht.
Eine sich fressend vorwärts bewegende Herde bildet von sich aus diese Front ) warum sollte der Hund dann ] laufen? Das ist ihm völlig unlogisch.
Nach diesem Erlebnis konnte ich Lille da viel mehr Freiheit lassen. Er entwickelte sich zu einem Hund, der das Hütegeschehen selbständig übernimmt.
Und damit springe ich in die Zukunft, ins Heute.
Lillebror wird im November sechs Jahre und ist damit nicht nur voll ausgebildet, er ist auch gefestigt in seinem Verhalten.
Es gibt viel, was wir erreicht haben und ja, auch Dinge, die ich mir anders wünschen würde.
Doch ich habe gelernt duldsam mit meinem Hund und mir selbst zu sein.
Nicht jeder kann alles, weder Hund noch Mensch.
Auch spielt die Konstellation mit dem anderen Hund eine entscheidende Rolle.
Es gibt Dinge, die macht Ylva, Lilles nun neunjährige Tante, einfach besser.
Zum Beispiel das Stehen, Ylva kann ich an jedem Punkt abbremsen und hinstellen. Somit mache ich dies eben mit ihr.
Ja, Lille kann ich ans Pfercheck stellen, abends beim Einfahren. Aber eigentlich fällt ihm Stehen schwer, sein Bewegungsdrang lässt ihm keine Ruhe. Warum etwas erzwingen, was der anderen so leichtfällt?
Natürlich, was mache ich, wenn Ylva mal ausfällt, oder irgendwann …?
Doch wenn ich eins in Schäfereien beobachte, dann, dass Lücken sich schließen. Dass Hunde, denen man das nie zugetraut hätte, plötzlich Dinge bewältigen, einfach weil es nötig ist.
Aber dafür braucht es auch die Lücke. Eine besetzte Nische, warum sollte Hund die füllen?
Habe ich eine klar umrissene Außenseite, dann stelle ich Ylva da hin und sie läuft, hält.
So lange, wie ich sie zumindest Teilweise überblicken kann. Außer Sicht mogelt sie sich irgendwann wieder rein, zu mir. So weiß ich, dass Außenseiten nicht komplett außerhalb meines Blickfeldes sein dürfen. Ja, dieses Reinmogeln zu mir hat mich schon so manches mal richtig ärgerlich gemacht. Gleichzeitig ist es nun mal Ylva und ich sollte es akzeptieren, mache ich es mir doch auch oft genug zu nutze. Denn ziehe ich mit der Herde irgendwo ab, durch enge Wege, eingewachsen mit Wald und Gestrüpp, kann ich doch Ylva immer zurücklassen. Ich weiß, sie taucht irgendwann wieder neben mir auf, ohne dabei die Herde gestört zu haben.
Lille hingegen hat nie gelernt, die Außenseite auf diese Weise zu laufen. Nicht, dass er nicht weit läuft, auch weit draußen, aber eine Grenze, aus der er nicht zu mir zurückkommen darf? Geht nicht. Er ist so angebunden an mich, dass er es unerträglich findet, nicht zu mir kommen zu dürfen. Gebe ich die Order in einer entfernten Grenze zu bleiben, kann ich ihn da schon halten, aber er ist nur noch gestresst. All seine Gedanken und Streben konzentrieren sich darauf, zu mir zurück zu kommen.
Somit gebe ich diese Order einfach nicht.
Denn Lille ist definitiv kein Mannseitenhund. Obwohl beide seine Eltern dies waren. Sowohl Marlis als auch Budd liefen nur wirklich gut die Mannseite. Nicht so Lille, er hütet die ganze Herde, egal wie weit. Ist der Druckpunkt weit draußen auf der Außenseite, läuft er da, unermüdlich, hält die Herde. Nur, würde ich sagen, „bleib da“, würde sein Selbstvertrauen zerbröseln. Er braucht das Wissen, jederzeit zurück kommen zu können, zu gucken, ob bei mir alles in Ordnung ist, um dann wieder zur Arbeit zurückzukehren.
Ylva verlässt sich leider immer mehr darauf, eigentlich nicht nötig zu sein. Sie buddelt Mäuschen, bringt Touristen dazu, sie zu streicheln, dümpelt mal eine Grenze mit Lille, ja, wozu arbeiten, wenn der Neffe alles macht.
Trotzdem braucht es zwei Hunde für eine Hüteherde. Selbst ein nie die Füße stillhaltender Hund wie Lille, oder gerade so ein Hund, würde sich alleine totlaufen. Die Wege sind einfach zu weit. Besonders, da Schafe es ja auch sofort spitz haben, ist da nur ein Hund, dann haben sie es raus, zwei Fronten aufzumachen, an einer doch ihren Willen zu bekommen.
So unnötig Ylva manchmal scheint, sie ist es nur, weil sie da ist, weil ich sie jederzeit einsetzen kann.
Meist habe ich nur zwei Seiten zu wehren. Komme ich mit der Herde in ein frisches Gebiet ist es das Erste, was ich mache. Formen aushüten, dem Gebiet eine Gestalt geben, die die Hunde gut bewältigen können. Schafe wollen immer das neue, frische Futter.
So halte ich sie eisern in ihrer ersten Form. Lange genug, dass das Stück für zumindest diesen Hütetag allen Reiz verloren hat. Und schon habe ich zumindest eine Seite, zu der sie garantiert nicht drücken.
Ich habe genug über Schafe satt hüten geschrieben, wie wichtig es ist, morgens, bei hungrigem Magen mit altem Futter anzufangen, den frischegrad langsam zu steigern. Aber ja, es erfüllt auch den Zweck der Grenzbildung, das Gebiet hütbar machen, Strecken zu schaffen, die die Hunde bewältigen können.
Dabei gibt meine Position die Richtung vor. Über mich geht es weiter zu neuen Weidegründen. In die Richtung in die ich Blicke, hält der Hund. Hinter mir ist der Raum geschlossen, da hat der Hund nichts verloren.
Ich stehe nicht immer an der Herdenfront. Haben die Schafe einen starken Vorwärtsdrang, gilt es den zu halten und zu managen, dann stehe ich dort, natürlich.
Doch manchmal beißen sie sich auch fest, ich möchte mit mehr Tempo über die Fläche, gerade um auch die weit entfernten Ecken des Gebietes ordentlich auszuhüten. Wäre ich nun an der Herdenfront, müsste ich Hund beständig von hinten schieben und nachholen lassen. Dies auf Kommando bringt viel Unruhe. Also stehe ich hinter der Herde. Schiebe mit meiner Position, der Hund kann Flanken begrenzen. Da muss natürlich sitzen, dass der Hund nicht zu weit rausläuft, die gewünschte Herdenbewegung nicht behindert.
Lille liest mich, denkt mit und macht das alles super. Er ist weit, vorsichtig, begleitend.
Doch hat er nie gelernt, dass ich ihn zu diesen weiten Aktionen schicken könnte. War dies doch mein erklärtes Ziel in seiner Ausbildung, ich habe es nicht erreicht.
Gebe ich ihm ein Kommando, knallt er los. Ich kann ihn abstoppen, ja, muss dabei aber so laut sein, dass meist die Schafe schon ohne Hund kippen. Sie wissen doch, dass bei diesem Ton irgendwo Lille fliegt. Selbst wenn er ganz weit draußen ist und ich will, dass er da etwas Aktion macht, funktioniert es nicht. Er dreht sofort total auf. „MAMA, BRAUCHT MICH! ICH SOLL WAS TUN! ICH KANN DAS! ICH!!“ Jedes Denken und Zuhören schaltet sich ab, er kommt zurück zu mir, will hören, wo er jetzt Aktion machen darf. Ihn nun von mir aus wieder rauszuschicken wäre nur unnötiges ranpoltern.
Und ich habe einiges probiert.
Wenn er in die richtige Richtung guckt, leise Loben. Das hatte kurzzeitig Erfolg, dann nahm er Lob als Startkommando.
Ihn vorsichtig mit dem Knie in die gewünschte Richtung stupsen. Gleicher Effekt, es ginge eine Zeit, bis er es als Kommando wahrnahm. Und da war sie wieder, die kopflose Begeisterung, die jedes vorsichtige Gehen ausschaltet.
So arbeite ich hauptsächlich mit meiner Position, mit Räume öffnen und schließen und mit dem Vertrauen in meinen unglaublich schlauen Hund. Lille arbeitet die Herde, sieht was nötig ist, macht selbst Flächen bei langsamem Druck der Schafe auf, gibt ihnen Freiräume. Will ich das nicht, spreche ich ihn auf dem Rückweg an, ohne irgendein Kommando, schon sein nun mehr energetischer Gang bringt dann den gewünschten Druck.
Ja, Druck hat Lille. Und wenn ich mir manchmal wünschte, er wäre nicht so stur und fordernd, muss ich mir nur ins Gedächtnis rufen, was es heißt, die Kontrolle über eine Herde zu verlieren. Was es bedeutet, wenn du hütest und gleichzeitig genau weißt, dass es jeden Moment entgleiten kann, dass, wenn es hart auf hart kommt, die Hunde dem Druck nicht standhalten. Wenn du selbst rennst, Schafe anbrüllst, Hunde anfeuerst, doch noch etwas mehr zu geben …
Nicht mit Lillebror. Er hat jede Herde im Griff, immer. Und die Schafe wissen es, sie sehen ihn und beschließen nicht außer Kontrolle zu laufen.
Und Lille läuft. Völlig egal. Es kann Kröten hageln, Regen peitschen, die Sonne brennen, er läuft. Er kann abends aus dem Auto fallen vor Erschöpfung, steif und staksig auf seinen Schlafplatz hinken, am nächsten Morgen schaut er mich glühend an, will wieder los.
Manchmal dauere ich, dass wir nicht so viel Schafe hüten, wie er es sich wünscht. Dann sag ich mir, wäre er in einer Schäferei, wäre er so nötig, dass er jetzt wahrscheinlich schon auf allen Knochen auf wäre, verschlissen. Da ist es bei mir besser, auch wenn er in seinen Hütepausen so entsetzlich gelangweilt ist, nur von Schafen träumt.
Lillebror liebt Hüten und einen Begleiter zu haben, der jeden Arbeitstag mit ungebremster Freude entgegenjubelt, auch das tut mir gut.
Überhaupt habe ich gerade das Glück, das perfekte Hundegespann zu haben. Besser war es nie, besser kann es nicht werden.
Oh, da kommen mir sofort Tränen. Eigentlich müsste ich mich schon kümmern. Einen Nachfolger zumindest für Ylva heranziehen. Ausbildung dauert seine Zeit. Und sollte Lille jetzt etwas passieren, sei es nur eine aufgeschnittene Pfote, könnte ich mit Ylva alleine keine Herde hüten.
Ja, ich weiß.
Aber ich halte mich an das jetzt, halte an mein perfektes Team.
© Dagmar Clausen
© Dagmar Clausen
© Dagmar Clausen |
© Dagmar Clausen |
Außerdem muss ich erstmal wieder gesund werden, wieder laufen können, um ernsthaft an einer Hütezukunft zu planen. Frustrierend? Ja, sehr.
© Dagmar Clausen |
November. Es wird Zeit diesen Bericht endlich zu veröffentlichen.
Wirklich? Der einzige Schafsbericht in 2021. Sollte der nicht scheinen, Herausragen aus der Masse aller anderen? Aber das tut er definitiv nicht, ist einfach ein weiterer Bericht über Hundeausbildung. Ja, das einzige Schäferei Thema, dass mir selbst jetzt Nahe ist, wo doch alles so weit weg scheint. Denn immer wieder, wenn ich mit befreundeten Kollegen spreche, geht es um Hunde und Ausbildung. Ich liebe darüber zu philosophieren, nachzudenken, zu diskutieren. Und so kam dieser Bericht.
Sollte ich nicht einen Beitrag über die zwei Monate auf Sylt schreiben?
Nein. Den wird es nie geben. Noch nie habe ich so krank, mit solch Schmerzen, unter solch Belastung gearbeitet. Nichts wird mich dazu bringen, auch nur gedanklich in diese Zeit zurück zu gehen.
© Dagmar Clausen |
November.
Hoffnung erhellt den Horizont. Die drei Sitzungen Stoßwellentherapie, die die Krankenkasse erst dann zahlt, wenn man nachweißlich sechs Monate alle anderen möglichen Maßnahmen erfolglos ausprobiert hat bewirkt Wunder. Ich bin runter von den Schmerzmitteln, schlafe durch Nächte ohne von pochenden Schmerzen geweckt zu werden, die Fersen glühen nicht mehr dumpf und heiß. Wer hätte gedacht, dass ich mich mal freue wieder dicke Socken tragen zu müssen. Und Laufen rückt wieder ins Vorstellbare. Beim wöchentlichen Einkauf passiert mir nicht mehr, dass ich hinten an der Kühltheke überlege, wie ich es denn nun jemals zur Kasse schaffen soll, überhaupt, Schlangen im Supermarkt, Apotheke, Arzt verlieren ihren Schrecken. Ich muss nicht mehr selbst Strecken von 300 Metern mit dem Fahrrad zurücklegen, kann auf weichem Naturboden erst eine viertel, dann eine halbe und endlich auch schon eine Stunde laufen. Ja, dann tut es weh, aber eben nur weh. So viele Stufen im Schmerz. Jetzt fühle ich die Besserung, langsam, Schritt für Schritt. Immer noch viel Geduld fordernd, doch endlich kommt die Hoffnung, der Glaube zurück, dass ich wohl in naher Zukunft endlich wieder mit Schafen laufen werde.
© Dagmar Clausen |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen