Donnerstag, 13. August 2020

Sylt, die Zweite

Da bin ich zurück auf der Insel.

Das Wetter begrüßt mich gewohnt schlecht, mit Wind, Regen, Sturm.

Doch habe ich das besondere Geschenk einer schon eingezäunten Regenwiese bekommen.

 

Drei halbe Tage Futter für ganz hartes Wetter, welch Luxus.

Und die Schafe.

Die erste Stunde etwas nervös über die Hunde.

Kann ich ihnen nicht verübeln, ist besonders Lille doch außer Rand und Band. Endlich wieder Hüten! Das ist kein gleichmäßiges Traben in der Grenze, das ist aufgeputschtes Sprinten.

Doch er läuft sich schnell ein und die Schafe erinnern, dass er viel aufgeplustert Macker und weniger dahinter ist.

Hallo Linda!

Mich hingegen nehmen sie sofort mit offenen Armen auf, fressen nahe bei mir, achten auf mein Wollen. Ach, ich mag sie!

 Die ersten Tage ist das Wetter die besondere Herausforderung. Ich muss feststellen, dass der durch Wind starke Wasserdruck meine Regenhose einfach durchdringt und ich habe Mühe meine Kleidung über Nacht trocken zu bekommen.

 Aber das schöne an dieser Nordseeinsel ist, das Wetter bleibt nie gleich. Es ändert sich täglich, manchmal stündlich.

 Und so liebe ich es auch.

Was wäre es schrecklich, eingesperrt in einem Büro von all dem nichts mitzubekommen?

 Gibt es eine schönere Müdigkeit, als nach einem durchgepusteten Tag abends in seine Decken zu kuscheln? Ich schlafe wie ein Wickelkind.

Morgens erwache ich ausgeruht von alleine, fahre zur Herde. Die liegt meist noch.

Meist, da Schafe an Regentagen lieber stehen.

 Aber sonst blinzeln sie mir verschlafen entgegen, erheben sich gemächlich und kommen freudig mit. Um halb acht sind wir dann auf dem Futter und auch wenn es pferchnahe Heide ist, über die wir jeden Tag gehen, als Morgenhappen immer noch zu genießen.

 

Sie stellen sich auf, fressen.

In ihrer Art erinnern mich Fjordlandschafe weit mehr an Merinos als an Schnucken.

Nicht in dem was sie fressen, wirklich nicht. Merinos würden hier stehenden Halmes verhungern. Einer jeden Landschaft seine Schafe.

 Nein, es ist ihr Verhalten. Die Art wie sie sich festfressen.

Schafe, egal welcher Art, also die, die ich bisher gehütet habe, mögen nicht länger als eine Stunde an einem Platz fressen. Egal wie frisch es ist. Schnucken drängen dann weiter.

Um ehrlich zu sein, Schnucken drängen auch schon nach zehn Minuten weiter, müssen daran erinnert werden, dass sie nicht über die Fläche eilen dürfen, nur das Beste rauspickend, am Ende nicht satt seiend.

Da habe ich schon in der Lehre gelernt: Hüten heißt halten.

 Nicht so Fjordlandschafe, oder Merinos, finden sie das Eckchen nicht mehr schmackhaft, machen sie Pause, fangen an wiederzukäuen. Zeit für mich, sie zum weiter gehen zu animieren. Da braucht es keinen Hund, das mache ich, in dem ich selbst die Position wechsle, Räume frei gebe, manchmal auch, in dem ich ruf: „Kommt man Schoppi, wir wollen noch etwas weiter."

 Kaum auf neuer Fläche fressen sie wieder.

Manchmal gehen sie alleine weiter, können sich da aber auch verzetteln. Landen auf Altheide, wo die doch nur schmeckt, wenn der Bauch noch nicht all zu rund ist. Da stehen sie dann, pausieren.

Bis ich sie wieder aufnehme. „Kommt man, da ist noch schmackhafteres.“

Und immer wieder erststaunlich, was sie alles als lecker empfinden, nicht nur Heide, auch Krähenbeere und besonders Kartoffelrosen. Speziell die Blüten der Rose, aber auch die ganze Pflanze wird als Delikatesse betrachtet Da kann man hindrücken, in den Augen leuchtet der Genuss. Etwas, was mich wirklich erstaunt, hatte ich doch noch nie zuvor Schafe, selbst Schnucken, gehütet, die Kartoffelrose auch nur anknabbern.

 

Was für ein Glück für Sylt.

Die Sylter Rose ist zwar ein Zeichen der Insel. Doch ist die Kartoffelrose invasiv, aus dem Asiatischen Raum eingewandert und würde ohne Beweidung über kurz oder lang die ganze Insel bedecken. Sylt im Dornröschen Schlaf, die Schafe die edlen Prinzen.

Ja, so scheinen sie mir. Natürlich eher Prinzessinnen. Aber wer hat schonmal davon gehört, dass die Prinzessin den Prinzen wach küsst?

Warum eigentlich nicht?

Die Art in ständigem intensivem Kontakt zur Herde zu hüten, immer am Puls der Motivation, schützend, leitend, hegend. Ich bin durch und durch Hirtin.

Die Hunde, von mir gesteuert, laufen zwar ihre Wege an der Herde, doch wirken sie mit weilen fast unnötig.

 Ha, ha.

Nicht wirklich.

So sehr die Schafe mit mir kooperieren, verschmelzen, wäre da kein Hund zu Nachbars Hafer, das würde sofort bemerkt. Und genutzt.

Immer wieder erstaunlich, wie die Herdenkommunikation funktioniert.

Da merkt eine, dass da hinten, hinter den Büschen, der Hund die Grenze nicht abdeckt. Bemerkt und genutzt, ins verbotene genascht. Und sofort gehen bei anderen Schafen die Köpfe hoch: „Mäh, mäh, wir wollen das auch!“

Schade, da ist der Hund ja doch, scheucht den Nascher zurück.

Wir hüten bis halb zwölf und zurück geht es in den Pferch.

Mittagspause, Zeit zum Widerkäuen. Ich bereite schon etwas den anzubauenden Nachtisch für Abends vor.


Als ich die Schafe verlasse, liegt schon alles, ruht, bis es um vier Uhr zur zweiten Runde geht.

Da ist der Hunger wieder da. Los geht es.


 Das Gebiet ist so traumhaft schön! Die Hügel, die Heide, die Küste, die See.

Ich komme aus dem Gucken gar nicht heraus, trinke die Aussicht in mich.

 Die fressende Herde darin, das i Tüpfelchen.

 Ach und die Schwalben. Glücklich darüber, dass die Schafe Insekten aufscheuchen, immer im Tiefflug über der Herde. Dazu die Stare. Sie hupfen direkt in der Herde, sitzen auf den Rücken. Die Tiere haben davon keinen Nutzen, es ist nicht so, dass die Vögel das Fell nach Ungeziefer absuchen. Haben die Schafe ja auch nicht. Und doch lieben sie ihre Stare. Sitzt einer auf dem Rücken, halten sie ganz andächtig still. All zu oft ergibt sich der Moment, dass ich die Herde weiterführe, und mich wundere, warum kommt die da hinten nicht nach?

Ach so. Sie hat einen Vogel.

Wartet, bis er weiter zieht.

Dann kommt sie, ein paar fröhliche Bocksprünge einbauend.

 Es wird Abend.

Die Touristen, die uns beobachten, an Wegen in nette Gespräche verwickeln, die Hunde kuscheln, werden weniger. Wir genießen diese Stimmung, bis auch wirklich kein Kraut mehr Platz im Magen findet.

Der Feierabend ruft. Und wie war das? Nachtisch geht immer!

Sagen sich auch die Schafe, stürmen beglückt in ihren Pferch.

Und ich fahre Heim, den Abendhimmel bewundernd.

 Die Tage verschwimmen zu einem großen Ganzen. Ich bemerke kaum, dass die Zeit vergeht.

Nur das Wetter beschließt endlich den Sommer.

Oh, wie angenehm sind diese auf der Insel.

Nicht zu heiß, Sonne, Wolken, Briese.

Auch ich Frostköddel finde es warm genug, in die Nordsee zu tauchen, über Wellen springen, mich vom Salz tragen zu lassen. Einfach nur herrlich.

 Bin ich so eins mit Schaf, Land, Hund, da ist immer eine gewisse Wehmut, wieder zu fahren.

Doch ich hoffe auf ein Widersehen.



4 Kommentare:

  1. Wunderbar. Da hast du es schoen. Gruesse aus Amerika. Ulf

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  2. Liebe Anna, was für ein wundervoller Bericht. Danke, dass Du uns mitgenommen hast! Kennen wir uns von früher vom Reiten? Liebe Grüße aus Löwenstedt, Kirsten Wosnitza

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    1. Liebe Kirsten,

      Vielen Dank.
      Ha, ha, mit Pferden hab ich nichts zu tun.
      Liebe Grüße
      Anna

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