Nachmittags.
Mit
12°C, kaum Wind und Sonne ist es der zweite warme Tag.
Warm
bedeutet auf Sylt im Mai, dass ich für die zweite Hüterunde die
lange Wollunterwäsche unter der gefütterten Hose und die Fellweste
über den zwei Wollfliesjacken weglasse. Die dicke
Marineoffiziersjacke bleibt an.
Die
Schafe dürfen aus dem Pferch.
Nach nun zweieinhalb Wochen kennen sie
mich, die Hunde, meine Routine. So fangen sie gleich an Heide zu
fressen, die Hunde laufen die Grenze zur leckeren Pferchwiese.
Ich
klappe noch eben den Zaun auf für das schon vorbereitete frische
Stück Nachtpferch. Immer nur einen kleinen Nachtisch in einem großen
Pferch. Groß ist er, damit die Schafe Fluchtraum haben vor eventuell
angreifenden Hunden.
Plötzlich
sehen ich die Schafe zusammen laufen und in wildem Galopp über die
Grenze meines Hundes rennen.
Wie
dreist Lillebrors Nettigkeit so auszunutzen!
Ich
lasse alles stehen und liegen, renne auch, animiere Lille seine
Grenze zu halten.
Da sehe
ich hinter der Herde einen Dalmatiner stürmen, dahinter die
Besitzer.
Oh, die
Schafe haben gut schnell reagiert, noch ist der Hund nicht in der
Herde.
Ich
renne, vielleicht kann ich ihm den Weg abschneiden.
Die
Schafe peitschen wild durcheinander.
Erst
nun sehe ich das kleine, schwarze Etwas zwischen ihnen. Schnell wie
eine Flipperkugel, wie irre die verängstigten Tiere hetzen. Es ist
eine französische Bulldogge. Unter anderen Umständen würde ich
vielleicht bewundern, dass es tatsächlich ein seltenes Exemplar
seiner Art ist, das genug Luft bekommt, um sich wie ein Jagdterrier
zu gebären. Dang!! Qualzucht hat seine Vorteile.
Die
Frau hat geschafft den Dalmatiner zu sichern, ihr Partner versucht
die Bulldogge zu erwischen.
Ich
auch.
Und
brülle und animiere meine Hunde den Räuber zu packen.
Aber
Lille und Ylva, gewohnt, das Spaziergängerhunde grundsätzlich Tabu
sind, verstehen meine Ansage als Aufforderung die Herde unter
Kontrolle zu bringen. Etwas, was natürlich völlig unmöglich ist
und beide Hunde total aufputscht. Sie greifen sich abspritzende
Schafe und ich muss auch noch nach ihnen rennen und schreien. Sie
reagieren zwar, aber jedes Mal, wenn ich wieder nach der Bulldogge
schaue, die dank ihrer Größe, Wendigkeit und Schnelle zwischen den
Schafen untertaucht, starten meine Hunde erneut durch. Das Frauchen
mit dem Dalmatiner, anstatt ihren Hund zu jagen, rennt plärrend auf
meine los.
Die
Schafe sind in totaler Panik und versuchen doch, zusammen zu bleiben,
kreiseln, scheppern über den dünnen Draht der, in Schafbrusthöhe
installiert, Besucher auf den Wegen halten soll.
Oh,
Gott, hoffentlich bricht sich keiner was.
Endlich,
endlich hat der Typ es zwischen Herde und seinen Hund geschafft,
bekommt ihn bei seinem erneuten Anflug auf die Schafe am Geschirr
gepackt, lupft das zappelnde Biest hoch in die Luft. Frauchen kommt
mit Leine und Dalmatiner.
Ich
rufe meine Hunde ins Platz, fordere die Adresse und Telefonnummer.
Ich
werde ignoriert, also eile ich ihnen nach, zücke das Handy und
filme, fordere weiter die Adresse. Da dreht sie sich um, schreit mich
an, was ich mir einbilde, sie hat gerade geholfen meine Hunde von den
Schafen abzuhalten, ich sollte ihr Dankbar sein.
Zorn
und Adrenalin kochen in mir über, ich brülle aus voller Lunge, dass
es ihr kack Köter war, der meine Schafe gejagt hat. Meine Hunde
hatten nur versucht für Ordnung zu sorgen und waren mit der
Situation hoffnungslos überfordert. Ich filme, würde jetzt die
Polizei rufen.
Zurück
kommt, soll ich doch, sie würde mich Anzeigen, weil meine Hunde die
Schafe gebissen hätten und ich ihr zu nahe gekommen bin.
Von
hier ab wird die Konversation definitiv nicht besser. Auch die
Lautstärke nicht, verpissen die beiden sich doch nun zügig.
Während
ich natürlich bei der total verängstigten Herde bleibe.
Ich
rufe meine Chefin an, schicke das Video. Sie sagt, sie kümmert sich,
macht die nötigen Telefonate und ist sehr aufbauend.
Da
stehe ich.
Da
stehen die Hunde.
Da
stehen die Schafe.
Dicht
an dicht, keiner frisst.
Der
Schock hält die Zeit still.
Wir
stehen.
Irgendwann
besinne ich mich, rufe die Schafe:
„Komm
man, Schoppi!“
Die
Hunde behalte ich bei mir.
Und sie
folgen, zögerlich.
Ein
Ortswechsel, frisches Futter und langsam fangen die ersten an zu
fressen.
Hat es
mir jetzt alles versaut? All das gerade erst entstehende Vertrauen?
Werden sie meine Hunde nun als Bedrohung sehen?
Da
kommt eine Freundin meiner Chefin, von ihr gesandt, einen großen
Eisbecher in der Hand. Nervennahrung für mich. Mir kommen fast die
Tränen. Ich höre liebe Worte und bekomme einen dicken Drücker.
Ja, ich
weiß, nicht richtig mit der momentanen Lage. Und doch brauche ich
ihn so nötig.
Das Eis
kickt meinen Blutzuckerspiegel wieder hoch, das Zittern, das irgendwo
ganz tief in mir drin ist, verschwindet. Ich löffele den ganzen
Becher. Sage herzlichen Dank.
Die
Herde frisst, doch schreckt sie immer wieder nervös zusammen. Ich
beobachte sie, versuche Verletzungen auszuschließen. Auch die
Umgebung habe ich im Blick, ängstlich den nächsten Hund erwartend.
Es wird spät, bis ich sie einsperre und trotzdem ich total
erschöpft bin wird es eine schlaflose Nacht.
Der
nächste Tag zeigt, dass mein Gedankenkarussell und Furcht
unbegründet waren. Die Schafe schenken mir und den Hunden das
gleiche Vertrauen wie zuvor.
Was die nächsten Tage bleibt, ist eine
erhöhte Schreckhaftigkeit. Besonders bei tief fliegenden, schwarzen
Schwalben die plötzlich aus dem Augenwinkel schießen. Da drüber
kann immer noch der ganze Haufen zusammen springen. Aber alles
weitere ist wieder Alltag, den ich in vollen Zügen genieße.
Hüten,
auf Sylt, in dieser einmaligen Kulisse, mit diesen Prinzessinnen von
Schafen. Ja, sie erwarten einen guten, respektvollen Umgang. Dafür
geben sie aber auch so viel zurück. Ihre Zuneigung, ihr Vertrauen,
ihre Kooperation.
Halt.
Wundert
sich jemand?
Was?
Wie?
Sylt??
War sie
nicht gerade noch in der Eifel?
Ja.
Stimmt.
Ich war
ab ende April in der Eifel.
Nach
fünf Wochen Corona Pause. War ich froh, dem zu entrinnen!
Chefs
Frau zu drücken, der erste Körperkontakt seit dem wir uns zum
Abschied berührten, fünf Wochen zuvor. In die Schäferei
eintauchen, die Welt da draußen vergessen.
Und
dann Frühling!
Meine
liebste Jahreszeit! Mai! Alles sprießt, grünt und blüht!
Futter
satt für die Schafe, die dieses Jahr so friedlich sind. Kein
Misstrauen mehr, sie folgen mir begeistert in die neuen Futtergründe.
Ich baue Netze und es ist nicht zu heiß, nicht zu kalt, meine
Gedanken fliegen. Das Leben ist perfekt.
Naja, fast.
Da ist
der Schwarzdornstachel den ich mir bis auf den Knochen ramme. Mein
Daumen schwillt an, wird heiß, pocht. Schmerz, der den ganzen Arm
hoch zieht. Natürlich ist es der Abend des 30. April. Drei Tage
keine Möglichkeit zum Arzt zu gehen und es ist ja auch nicht die
Zeit, wo du mit Verdacht auf Blutvergiftung in ein Krankenhaus
möchtest.
Doch
wie es auf dem Dorf ist, jeder ist für jeden da, ich bekomme
Schwedenkräuter und Quarkwickel und nach dem langen Wochenende ist
auch klar, dass es ohne ärztliche Hilfe heilen wird.
Zäune
bauen ist für eine Weile die Hölle, abbauen geht ein paar Tage
sogar gar nicht. Doch werde ich tatkräftig Unterstützt.
Hauptsächlich
richtet sich der Betrieb nun auf die Schur aus. Normalerweise wird
ende April geschoren, schwierig dieses Jahr. Die Scherer aus Polen
dürfen erst nicht Einreisen, dann dürfen sie nicht zusammen im Auto
kommen. Die Scherer hier haben einen proppe vollen Terminkalender.
Und überhaupt. Schur, das sind Scherer, Aufträger, Wollestopfer,
Schweiß, laute Stimmen, alle dicht aufeinander.
Und
doch können Schafe auch nicht ungeschoren davon kommen.
So sind
wir am Vorbereiten. Die Herde muss Heim, drei Tagesmärsche durch
herrlich grüne Wälder.
Und
Sortieren steht an, alle dicken Bocklämmer raus, den Rest entwurmen.
Abends
bin ich so erschlagen, dass kein Schlaf kommt.
Mein
Talent: Es wird Anstrengen, ich weiß nicht genau was Ansteht, bin
Erschöpft, völlig Egal, auf jeden Fall in einem Zustand, wo Schlaf
die beste Hilfe wäre, aber nein, ich verzichte dankend.
Dochvermutlich kennt jeder solche Nächte.
Nachts
um eins bekomme ich eine WhatsApp. Der Schäfer einer Freundin ist
plötzlich unpässlich, die Herde muss auf der Insel gehütet werden,
die auf dem Festland ist mitten in der Lammzeit. Hilfe!
Meine
erste Reaktion: Fuck!
Zweite:
Nein!
Dritte:
Du könntest es tun!
Vierte:
Ich will nicht!
Fünfte:
Sie ist eine Freundin!
Also
kein Wunder, dass danach auch nicht wirklich Schlaf kommt.
Ja,
bei meinem Lebenslauf und Wandel glaubt es mir keiner, aber ich hasse
neue Situationen. Und erst recht plötzliche Planänderungen. Und das
in der Schäferei, wo dies alltägliche Norm ist. Aber tatsächlich
versuche ich mich auch nicht von meinen Gefühlen klein kriegen zu
lassen. Dinge nicht zu tun, zu verweigern, nur weil der Bauch in
Angst rumort? Nein! Da geb ich mir einen Tritt, da muss ich durch!
So
spreche ich am nächsten morgen mit meinem Chef. Die letzte Hoffnung,
vielleicht sagt er ja, er braucht mich.
Aber
nein, das Gegenteil ist der Fall, ich soll fahren, gleich, noch vor
der Schur. Sie bekommen das schon gewuppt.
So,
kein zurück mehr.
Ich
belade mein Auto mit all den Sachen die ich hier in der Eifel
gelagert hatte, inklusive alle Winterklamotten. Und Heim geht es, 670
Kilometer nach Lübeck.
Oh, wie
schön, mein Garten blüht und die Katze freut sich.
Ich erst! Ein
Abend mit Kind, eine Nacht im eigenem Bett. Ich lade nur die dreckige
Wäsche aus, wasche sie durch. Für alles andere fehlt mir der Nerv.
Was brauche ich sonst noch auf der Insel?
Und am
nächsten Tag geht es auch schon weiter nach Sylt.
Gott,
bin ich aufgeregt!
Könnte
ich nicht schon eine Woche da sein? Die Situation kennen?
Das bin
ich jetzt, nicht nur eine Woche, sondern drei.
Habe
ich erwähnt das ich es Liebe?!
Selbst
das Wetter, das nicht nur beständig windet, sondern zu Anfang so
kalt war, das mir die Dezember Kleidung der Eifel nicht ausreichte,
ich mir ein Päckchen Wollsachen von Zuhause nachschicken habe
lassen. Wie gut, dass ich nichts Ausgeladen hatte!
Das
Meer!
Der
Himmel!
Dieser
Blick!
Und
erst die Schafe!
Fjordlandschafe.
Nicht
nur die schönsten Schafe, die ich je gesehen habe.
Auch
und besonders in ihr Wesen habe ich mich verliebt. Ihre
Aufmerksamkeit mir gegenüber. Es ist so deutlich zu merken, dass sie
gewohnt sind, gut behandelt zu werden und ihrer Chefin zu vertrauen.
Frauenschafe.
Ihre
Begeisterung für Heide, Krähenbeere, Kartoffelrosen, die sie nicht
nur widerwillig nibbeln sondern mit echter Leidenschaft futtern.
Ach,
dies könnte mein Platz sein!
Genau
meine Arbeit!
Nicht
dieses Jahr, noch sind die Kinder nicht flügge genug um einen ganzen
langen Sommer auf die Mutter zu verzichten.
Aber
vielleicht nächstes Jahr!
Und
plötzlich verliert das leere Nest seinen Schrecken!
Zufriedens
Lächeln hier!
Dankeschön für deine schöne Geschichte. Habe mal Schäfer gelernt und ich fühlte mich beim lesen ein wenig wie früher..... bei der Herde. Ich wünsche Dir viel Kraft und immer einen guten Hund bei der Arbeit. Sg aus Tirol
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