Samstag, 18. März 2017

Frühjahr 2017

Februar 2017 in Hessen.
Wir sind immer noch draußen.


Es ist ein perfekter Winter. Genug Futter, nicht zu viel Regen, nicht zu kalt und in den kurzen Zeiten mit starkem Frost hat Schnee das Gras vor dem Absterben geschützt.


Die Herde ist rund und zufrieden.
Doch das Hüten ist ziemlich anstrengend.
Manchmal würde ich es sogar als nervenaufreibend bezeichnen.
Winterweide.
Das sind nie die eigenen Stücke. Es sind landwirtschaftliche Flächen, ob Ackerfrucht, Mäh- oder Obstbaumwiesen. Der Bauer freut sich, wenn der Bewuchs nochmal runter kommt. Gemäht wird um diese Jahreszeit auf Grund von Nässe und Kälte nicht mehr. In kurzes Gras kann der Frost nicht einfallen und es wächst im Frühling schneller.
Für die hessener Herde gibt es hauptsächlich Obstbaumwiesen.
Leider will nicht jeder in einer Gemarkung, dass seine Flächen nachgeweidet werden. Also sind es meist kleine Parzellen und Streifen die zu hüten sind, kaum zu unterscheiden von den verbotenen daneben.
Als ich die Stücke gezeigt bekomme, habe ich Schwierigkeiten, mir zu merken, wo ich drauf darf und wo nicht.
„Da, da kannst du drauf. Da nur bis zu dem etwas kürzeren Gras. Da nicht. Da wieder. Da nur drüber ziehen, wenn sie etwas fressen macht es nichts. Auf das gar nicht, der mag uns nicht und macht gleich den riesen Tamtam, wenn er da nur einen Köddel findet. Das kannst Du ganz hüten usw. usw.“
Dazu die Problematik mit dem Nachtpferch. Viele wollen schon mal gar nicht, dass man auf ihren Stücken pfercht. Und denen, die es es erlauben, will man natürlich auf keinen Fall die Fläche „schwarz machen“. Stehen die Schafe nachts zu eng und ist der Boden noch etwas matschig, oder es regnet die Nacht, ist morgens der Pferch schwarz. Nicht nur kann jeder von weitem sehen, was einem da passiert ist, auch wächst es im Frühling später.
Dazu ist das natürlich keine gemütliche Nacht für die Schafe.
Also groß einsperren.
Und das mit all den Obstbäumen.
Mit der vielen Zeit, die so ein Schaf nachts hat, da nagt es auch mal an einem alten Baum, den es sonst höchstens mit dem Arsch angucken würde. Ja, zum schuppern eignet sich die borkige Rinde immer.
So baue ich also Nachtpferche kurvig, mit schleifen. Viel, viel Zaun für wenig Fläche.
Doch die eigentliche Herausforderung sind die Obstbäume am Tag.
Das die Stücke so klein sind, finde ich als Schleswig-Holsteiner zwar ungewohnt, aber gleichzeitig macht das auch Spaß, ist ordentlich Arbeit für die Hunde.
Das eigentlich nervenaufreibende sind die Bäume.
Ist der Stamm geschält, hat der Flächeneigentümer die Herde sicher den letzten Winter drauf gelassen.
Für mich ist es das erste Mal.
Mit der Merinoherde im Taunus hatte ich schon im Frühherbst Obstbaumstücke gehütet. Aber das ist kein Vergleich. Damals waren die Schafe, und ich, mit Obstessen beschäftigt, die Rinde hat niemanden interessiert.
Nun gibt es kein Fallobst mehr, die paar Äpfel am Boden sind in Sekunden weggefressen, da lockt der Baum.
Mancher mehr, mancher weniger.
Und ich habe keinen Ahnung von Bäumen, schnelles lernen ist angesagt.
Wahlnussbäume.
An denen darf man nicht mal vorbei ziehen. Die reizen das Schaf, wie mich ein Schokoladentörtchen aus kleiner Manufaktur.
Glatte Rinde mögen sie lieber als borkige.
Junge Bäume schmecken besser als alte.
Ist man frisch auf dem Stück, zieht Schaf erst mal das Gras vor.
Doch die Ziege niemals.
Zum Glück sind bis auf vier schon alle aufgestallt.



Ben, Böcki, Bobo, Bodo, ich wache über euch!
Sind die Bäume nicht zu Hochgewachsen bevorzugen Ziegen Wassertriebe, hängen in den Baumkronen und lassen so die Stämme in ruhe.
Da sind aber auch Klimke, der Leithammel, Balthasar, die Schöne und noch so paar Spezialisten die Rinde besonders lecker finden.
Dazu gibt es Bäume die anziehend sind, denen ich aber überhaupt nicht ansehen kann, was an ihnen so anders ist.
Schön sind Stücke, auf denen frisch die Bäume beschnitten wurden und die Zweige noch nicht abgeräumt. Da kommt jeder auf seine Kosten.


Außer mir, ich habe nur die ganze Zeit die Herde, die Ziegen, die Baumliebhaber unter den Schafen und die Bäume im Auge. Immer in der Herde unterwegs, bereit zur Verteidigung der Rinde.
So viel zu gemütlicher Schäferromantik.
Aber da war doch noch was.
Ja, genau.
Eigentlich hüte ich ja mit Hunden.
Der eine dazu noch ziemlich jung.
Lillebror ist nun 14 Monate. Er hat sich zu einem fleißigen Riesen gemausert, der nie die Füße still halten kann. Er läuft unermüdlich, mit Überblick und sehr weit. 

 


Doch auch, wenn er von Natur aus weit ist, ist er mir eigentlich noch zu klein für die Außenseite. Es ist eine Sache, ihn raus laufen zu lassen, eine ganz andere, ihn zu zwingen dort zu bleiben. Noch braucht er die Sicherheit, dass er jeder Zeit wieder zu mir kommen kann. Ich möchte ihn nicht in die Selbständigkeit drängen. Er hat noch zu oft Blödsinn im Kopf, als dass ich ihn ermutige, losgelöster von mir zu arbeiten.
Aber das eine was man will, das andere was man muss.
Ich muss mich in der Herde bewegen, Bäume schützen.
Das innere der Herde ist für den Junghund unantastbar, da darf er nicht rein.
Somit muss er draußen bleiben.
Auf der Außenseite.
Er ist dabei sehr unsicher, aber sein starker Lauftrieb lässt ihn schnell pendeln.


So habe ich also Schafe, Ziegen, Bäume, jungen Hund und Hütegeschehen dauerhaft im Blick und in der Konzentration.
Ist es Winter?
Kalt ist es mir nicht.
Und dann fangen die Schafe an zu lammen.


Ja, es kommt nicht überraschend.
Immerhin war vor 150 Tagen, oder 5 Monaten, der Ritt eröffnet worden. Was heißt die Böcke kamen in die Herde.
Seit Wochen hatten wir schon immer mal ein ungeplantes Lamm, da irgendein Lammböckchen zu lange in der Herde geblieben war.
Auch, dass die Schafe jetzt gleich richtig loslegen, war absehbar. Da sind viele Mütter so kugelig, dass sie sehr langsam ihre runden Bäuche und Euter tragen.
Alles was Zwillinge bekommt oder nicht ganz sicher fit ist, kommt Heim.
So habe ich nur frischgebackene Mütter mit Einzellämmern in der Herde.
Der junge Hund darf arbeiten, arbeiten, arbeiten.
Ich habe schon mal erwähnt, das Ylva, meine Haupthündin, nicht in die nähe von Neumüttern geht. Viel zu gefährlich.
Immerhin, Lille lässt sich davon nicht beeindrucken.
Er arbeitet Mutterschafe entschlossen, ohne dabei auf das Lamm daneben auszuweichen. Dabei findet er Lämmer nicht uninteressant. Wenn sie etwas älter sind, anfangen Grenzen zu testen, zeigt er viel Talent sie vorsichtig, aber bestimmt zu behandeln.




Die Lammzeit startet richtig durch.
Morgens fahre ich nun in aller frühe zur Herde.
So dass ich mit dem ersten Licht durch die Schafe wandern kann. Die liegen zu meist noch und lassen sich von mir nicht stören.
Ich verschaffe mir einen Überblick. Wie viele frische Lämmer? Haben alle eine Mutter? Haben alle schon getrunken? Ist überall alles in Ordnung?

Ein ungeliebter Zwilling. Ich klaue mit ihm Biestmilch bei einer Einzelmutter mit viel Milch. Zuhause bekommt er die Flasche.

Nun zeichne ich Zwillinge mit ihren Müttern zusammen. Alle drei bekommen mit dem Viehzeichenstift einen Strich an die gleiche Stelle. Dann lade ich sie ein.

Fehlt jemandem, dass ich mich hingerissen über diese kleinen Lämmer äußere?
Ja, vielleicht habe ich nach 26 Jahren Lammzeit nicht mehr dieses: Oh, wie süüüüüß!
Aber ich sehe mich nicht als abgestumpft. Mich sprechen einfach andere Dinge an.
Ein Schaf, das sein Lamm problemlos bekommt.
Der erste Kontakt zwischen Mutter und Lamm.
Das tiefe Grunzen der Mutter und das zarte zirpen des Lammes.
Dieser Moment ist so magisch!
Das zu beobachten erfüllt mich zu tiefst.










Wenn ich denke, dass es okay ist zu stören, nehme ich das Lamm an den Vorderbeinen.
Etwas, was Tierfreunde auch gerne monieren.
Wie kann ich auf so grobe Art das Lamm halten!
Hab ich denn gar kein Gefühl?
Doch.
Das ist nicht mein Baby! Hat in meinen Armen nichts verloren!
Keine fremden Gerüche und Keime an dieses Neugeborenen.
Es gehört mir nicht!
Möchte ich mein egoistisches Kuschelbedürfnis ausleben, kann ich das mit älteren Lämmern machen. Toll finden die das auch nicht, nehmen aber keinen Schaden daran.
Oder ich kuschel mit Flaschenlämmern. Die sind mutterlos und einsam, für jede Zuwendung dankbar.
Ich nehme also das Lamm an den Vorderbeinen und halte es dabei so, dass es nicht auf dem Boden schleift und das sein Bauch und Nabel der Mutter zugedreht sind.
Ein gutes Schaf läuft mir nun überallhin nach.
Weg von der Herde, über den Acker, zum Auto, egal.
Auch das berührt mich sehr.
Dieser absolute Trieb, diese Liebe zu dem eben geborenen.

Zuhause kommen Mutter und Lämmer erst einmal in eine Einzelbucht. So können sie sich in Ruhe aneinander gewöhnen und wir habe den Blick darauf. Nach ein paar Tagen, wenn alles sicher ist, bekommen die Lämmer je nach Geschlecht ins rechte oder linke Ohr eine weiße Marke mit identischer Nummer. Die wiederum bekommt die Mutter auf den Pelz gesprüht. So kann man sie auch später noch zusammen erkennen, sollte doch noch etwas sein.
Aus der Einzelbucht geht es in eine größere Gruppe mit anderen Zwillingen.
Einzellämmer bekommen eine grüne Marke und kommen im Stall auch in Gruppen zusammen. So kann man beim Füttern den Zwillingsmüttern mehr geben.

Ich mache mir schnell Frühstück und fahre aufs Neue raus. Als erstes wieder die Herde kontrollieren.
Dann baue ich den neuen Nachtpferch auf. Glück habe ich, wenn der direkt neben dem Alten liegt, so kann ich Frischgelammte gleich dort rein setzen und habe sie beim Hüten nicht dabei.
Das ist jetzt eh ziemlich abenteuerlich.
Immer muss ich im Blick haben, dass alle Mütter ihre Lämmer mitführen. Dabei akzeptiere ich, dass manche ihr Kind in eigenen Tempo nachbringen. Lillebror schicke ich nicht zu ihnen, würde der sie nur stressen und zur Verteidigung ihres Lammes anregen.
Auch wenn ein Schaf lammt, lasse ich sie mit ihrem Neugeborenen stehen.
Abends kann ich sie immer noch holen.
Es ist Dorfrand und all die Spaziergänger sagen mir dauernd Bescheid, wo noch eine Mutter mit Lamm steht. Ich beruhige und erkläre.
Lobo hat ein Lämmchen!!! Sie war so ein Krepel un nun eine tolle Mutter!

Fragt sich nun jemand, wie wir überhaupt die Schafe draußen lammen lassen können?
Ist es im Stall nicht viel besser, sicherer und einfacher zu handeln.
Dazu macht man sich nicht durch Tierschützer angreifbar.
Letzteres stimmt sicher.
Aber ich widerspreche entschieden der Behauptung das Lammzeit im Stall immer besser ist.
Und damit meine ich nicht, dass noch draußen zu bleiben, weniger Arbeit macht und die Futterkosten senkt. Sicher, letzteres ja.
Aber auch für die lammenden Schafe ist es besser.
Natürlich gehört dazu, dass das Futter gut ist, die Temperaturen nicht zu tief unter 0°C fallen oder es zu nass ist, man die Weide häufig wechselt und die Herde in Überwachung hat.
Schafe die zum Lammen mehr Platz haben sind entspannter, haben weniger Schwergeburten, stehen sicher zu ihren Kindern.
Im Stall muss ich auch nachts dauernd raus und trotzdem kommt es zu vertauschten und verlorenen Lämmern, die dann nicht mehr angenommen werden. In meiner Erfahrung deutlich häufiger, als draußen.
Auch Krankheiten streuen lange nicht so schnell. Der Infektionsdruck draußen ist wesentlich geringer. Wobei ich da nun nicht von Standweide rede.
Im Stall verbreiten sich Infekte schnell und häufig.
Natürlich, Stallhygiene ist dabei mit entscheidend.
Aber auch wenn sich an alle Protokolle gehalten wird, wie Nachgeburten entsorgen, Wasser- und Fresströge regelmäßig und gründlich reinigen, häufig Einstreuen, kalken, kein Eutersekret ins Stroh melken usw. ist der Krankheitsdruck im Stall größer.
Wir brauchen doch nur bei uns Menschen gucken. Was für unglaubliche Hygienemaßnahmen gibt es in Krankenhäusern und wie oft werden dort Menschen angesteckt?
Krankenhäuser sind kein gutes Beispiel, da da so viele Kranke aufeinander treffen?
Dann schaut doch mal in Kindergärten und Schulen.
Gerade im Winter, wo es nicht viel raus geht, jagt eine Infektwelle die nächste.
Und wie oft steht an der Eingangstür: „In der Mäusegruppe sind Läuse aufgetreten“ oder „In der Blümchengruppe gibt es Würmer“.
Warum sollte es dann in Tierställen anders sein?
Viele glauben, im Stall ist alles gut.
Doch die Wahrheit ist doch, wir sehen nicht, was in Ställen abgeht.
Bisher habe ich immer in Betrieben gearbeitet, die möglichst lange draußen geblieben sind und ich hatte nie das Gefühl, das irgendwann dadurch Tierwohl gefährdet war.
Es ist natürlich immer eine nervenaufreibende Zeit. Jeder neue Tag ist anders, man muss immer schnell und spontan auf Futtergegebenheiten und Wetter reagieren.
Gibt es zum Beispiel Eisregen, und das Gras ist mit einer dicken Eisschicht überzogen, muss sofort gefüttert werden.
Zu viel Regen und aufgeweichte, matschige Weiden, dazu noch kalter Wind. Schnell in den Stall.
Der Nachtpferch muss nicht nur in der Größe passen, sondern auch richtig liegen. Wird es stürmisch braucht es Schutz im Windschatten.
Schnee, nicht zu hoch, schützt das Gras vor Frost und die Schafe scharren sich gerne ihr Futter frei. Regnet es auf den Schnee und friert dann wieder, kommt kein Schaf mehr ans Gras.
So bringt der Winter viel Spannung und muss gemanagt werden.
Etwas was sich nicht mit Tierschutzgesetzen regeln lässt und auch nicht von Amtstierärzten, die von Schafhaltung leider meist zu wenig Ahnung haben.
Den Schäfern ihr Wissen und Können abzuerkennen und sich mit „alle Tiere im Winter in den Stall“ zu behelfen, ist nicht im Sinne der Schafe!

Zurück zu der draußen lammenden Herde.
Wir sind bei über 20 neuen Lämmern am Tag.
Das Hüten wird nicht mehr möglich, habe ich doch nun so viele Schafe die Junge führen, dass sie einfach stehen bleiben, in ihrem großen Verbund keinen Trieb mehr haben, sich der Herde anzuschließen. Ich laufe von vorne nach hinten, schiebe Schafe nach.
Leider hatte die Handycamera nicht gedreht und für mehr war der Moment zu hektisch

Aber da waren doch auch noch die Obstbäume auf die geachtet werden muss.
So geht’s nicht weiter.
Es ist auch abzusehen, dass sie in dem Tempo weiter lammen werden.
Aber wie schon gesagt, spontanes Neuplanen ist Alltag in einer Schäferei.
Es gibt drei Möglichkeiten.
A - alle Schafe die gelammt haben werden Heim gefahren
B - wir bauen draußen einen Trichter auf, lassen die Schafe durch laufen, kontrollieren die Euter und fahren alle Hochtragenden Heim
C – wir stallen auf
A bedeutet nicht nur einen riesen Aufwand, sondern auch Stress für Mütter und Lämmer bei diesen Ablammzahlen.
Das gleiche gilt für B.
Da das Futter draußen bei besten Witterungsbedingungen nur noch ein bis zwei Wochen reichen würde und wir dann bis zum Frühjahr eh aufstallen, entscheiden wir uns für C.
Drei Etappen sind es bis nach Hause.
Es sind keine langen Märsche, die Herde soll es gemütlich haben.
Ich gehe vorne, habe den entspannten Spaziergang.

Die hinten haben den Stress. Alle nicht laufenden Lämmer werden ins Auto verladen. Das bringt natürlich die Mütter in Rage. Sie suchen ihre Lämmer und der Hund hinten muss hart arbeiten, sie der Herde nachzuscheuchen.
Auf der Etappenwiese angekommen, werden die Lämmer ausgeladen. Schnell sortiert es sich und Friede kehrt ein.
Die Sonne kommt raus und es schmeckt fast nach Frühling.
Die Schafe fressen entspannt, die Mütter nahe bei ihren Lämmern, durch rufen immer wieder Kontakt haltend.
Ich genieße diesen letzten Hütetag in vollen Zügen.